Kardinal Müller kritisiert Höflingsmentalität
Auf die Frage des „Spiegel“, ob Franziskus ein Häretiker oder Ketzer sei, bescheinigt Kardinal Gerhard Müller dem Papst Rechtgläubigkeit: „Dieser Papst ist orthodox, das heißt im katholischen Sinne rechtgläubig“. Franziskus dürfe jedoch nicht der Versuchung erliegen, die progressive Gruppe innerhalb der Kirche gegen den Rest auszuspielen. Auch könne es nicht sein, dass die „Gesamtkirche nach den Regeln des Jesuitenordens geführt wird.“ Jeder sei von „eigenen Lebenserfahrungen geprägt, aber damit auch ein wenig einseitig“, so der frühere Präfekt der Glaubenskongregation.
Kardinalsrat zum exklusiven Zirkel geworden
Dies gelte es durch Berater und insbesondere durch den Austausch im Kardinalskollegium und mit den Bischöfen und Theologen der Weltkirche auszugleichen. In diesem Zusammenhang kritisiert Müller auch den Kardinalsrat, der anfangs vielleicht eine gute Idee gewesen sei, jetzt aber „ein exklusiver Zirkel“ geworden sei, in dem der „Management-Gedanke“ zu dominieren scheine. Die Kirche sei jedoch eine geistliche Gemeinschaft und könne nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen reorganisiert werden, betont Müller.
Der ehemalige oberste Glaubenshüter beklagte zudem, Franziskus mache sich beispielsweise bei Personalentscheidungen von „Zuträgern und ihren oft unedlen Motiven abhängig“. Dies sei auch bei drei sehr kompetenten Mitarbeitern seiner Kongregation der Fall gewesen, die „gefeuert wurden, ohne ein Wort mit ihnen zu wechseln“. Generell bescheinigte Müller dem Vatikan einen schlechten Umgang mit Personal: „ Es gibt keinen Kündigungsschutz, keinen Personalrat.“
Größter ökumenischer Witz des Jahrhunderts
Müller äußert sich in dem Gespräch auch zu dem unlängst von ihm lancierten Glaubens-Manifest. Die harsche Verurteilung der von ihm veröffentlichten „Grundsätze des katholischen Glaubens, die im Katechismus unserer Kirche von Papst Johannes Paul II. dargestellt sind“, als „halbe Wahrheiten“ durch Kardinal Walter Kasper gibt Müller allerdings „Rätsel auf“. Dass Kasper ihn sogar mit Luther vergleiche, nennt er „den größten ökumenischen Witz des Jahrhunderts.“ Müller war in seiner Zeit als Bischof von Regensburg auch Ökumene-Verantwortlicher der Deutschen Bischofskonferenz.
Mit Blick auf die Kinderschutz-Konferenz ab Mitte der Woche im Vatikan widerspricht der Kardinal der These, eine Ursache für sexuellen Missbrauch liege im Klerikalismus. Dafür gebe es keine empirischen Belege, „sexueller Missbrauch Heranwachsender kommt millionenfach in der ganzen Welt vor“. Die Ursache liege im verdorbenen Charakter der Täter. „Allerdings gab es in der Vergangenheit Fälle, wo aus geistlicher Autorität politische Macht wurde."
Zum Fall des US-Kardinals Theodore McCarrick, der am Samstag aus dem Priesterstand entlassen wurde, sagte Müller, er habe von den Anschuldigungen weder amtlich noch persönlich gewusst. Dies liege auch daran, dass die innervatikanische Kommunikationsstruktur verbessert werden müsse.
Müller bekräftigte seine These von einem Zusammenhang von Missbrauch und Homosexualität. Weit über 80 Prozent der Opfer sexuellen Missbrauchs Jugendlicher seien männlich. „Bei dem am Donnerstag beginnenden Missbrauchsgipfel aber sollen diese Daten unvernünftigerweise keine Rolle spielen“, kritisierte der Theologe. „Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird, wir werden geboren als Mann oder Frau.“
Deutschland: Trauriger Geisteszustand
Auf die Frage, warum Franziskus anders als Benedikt XVI. in Deutschland so beliebt sei, sagte Müller: „Das sagt viel über den traurigen Geisteszustand in unserer Heimat aus.“ Deutschland sei einmal theologisch führend gewesen. Dass es derzeit ausgerechnet Deutsche seien, die sich „bei dieser völligen Talfahrt an die Spitze des Zuges setzen und die Lokomotive für die Weltkirche spielen wollen“, bezeichnete Müller als „kurios“. Namen nannte der frühere Theologieprofessor dazu allerdings nicht; er „spiele nicht auf Personen an, sondern auf unerfreuliche Tatsachen“.
(spiegel – ck)
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