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Kurienkardinal Czerny: „Meine Mutter war in Theresienstadt“

Im Vatikan leitet der kanadische Kardinal Michael Czerny die Abteilung für Anliegen von Geflüchteten. Wie sehr Migration und Verfolgung seiner eigenen Familiengeschichte eingeschrieben ist, verriet der aus Tschechien stammende Jesuit nun im Interview mit Radio Vatikan. Er sprach bei der Gelegenheit auch über sein Brustkreuz, das aus dem Holz eines Flüchtlingsbootes gearbeitet ist.

Johanna Bronkova und Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Die Großmutter starb in Auschwitz, die Mutter war im KZ Theresienstadt interniert, als Kleinkind gelangte Michael Czerny mit seinen Eltern und dem neugeborenen Bruder nach Kanada. „Meine Eltern sprachen nur selten über ihre Erfahrungen im Krieg“, resümiert der Ordensmann, den Papst Franziskus dieses Jahr überraschend zum Kardinal machte. Die Erinnerungen an die Vergangenheit seien für seine Mutter und seinen Vater schmerzhaft gewesen, sie hätten sich lieber auf ihr neues Leben in Kanada konzentriert, er freue sich aber, nun darüber zu sprechen.

Zum Nachhören

Seine Eltern hätten ursprünglich in Mähren gelebt, sagte der 1946 in Brünn geborene Kardinal. „Meine Mutter Winifred Hayek Czerny war insgesamt 20 Monate während des Zweiten Weltkriegs im Gefängnis und im KZ. Sie musste auch auf einem Bauernhof arbeiten. Obwohl sie von katholischen Eltern katholisch erzogen worden war, waren ihre Eltern jüdisch geboren und so betrachteten die nationalsozialistischen Autoritäten, die das sogenannte Protektorat von Böhmen und Mähren ab März 1939 regierten, sie als Jüdin.“ Als die nationalsozialistischen Machthaber der jüdischen Bevölkerung alle Wertgegenstände abnahmen, seine Mutter aber einige Familienschmuckstücke zurückhielt, wurde sie wegen Diebstahls zu einer Haftstrafe verurteilt und saß ein Jahr im Frauengefängnis Leipzig ein.

Auch sein Vater Egon Czerny sei katholisch gewesen, so der Jesuit weiter. Das KZ blieb ihm erspart, weil er keine jüdischen Vorfahren hatte, doch da der Vater es ablehnte, sich von seiner Frau zu trennen, als sie in Theresienstadt war, musste er die letzten acht Monate des Kriegs Zwangsarbeit in einem Lager in Postoloptry leisten.

„In ihrer Kunst hat meine Mutter dieses Übel umgekehrt“

Als „Holocaust-Überlebende“ habe sich seine Mutter nicht gefühlt, so Czerny. Sie habe ihre Erfahrungen künstlerisch verarbeitet. 1995 habe sie Theresienstadt, inzwischen eine Gedenkstätte, besucht und ins Gästebuch des Museums geschrieben: Ich überlebte. „Ja, sie überlebte ein monströses Übel, das Menschenleben vernichtete, jedes davon einzigartig, und das diese Menschen anonym machte, indem sie sie zuerst kollektiv auf Nummern reduzierte und dann durch Gas und Feuer zu Asche, zu Staub machte“, so der Kardinal. „In ihrer Kunst hat meine Mutter dieses Übel umgekehrt: Aus Staub – oder Ton – formte sie die Abbilder vieler lebender Menschen, Abbilder, die die normale Lebensspanne weit überdauern, weil sie ironischerweise in einem Ofen gebrannt werden.“ Seine Familie schenkte drei dieser Skulpturen dem Theresienstädter Museum; „eines davon zeigt mich“, sagte Czerny.

Auch die Großmutter des heutigen Kardinals, Anna Löw Hayek, war Künstlerin, und auch sie galt den Nationalsozialisten als Jüdin. 1942 oder 1943 sei sie mit ihrem Ehemann und den beiden Söhnen nach Theresienstadt gekommen. Die Großmutter sei in Auschwitz wenige Wochen nach Kriegsende gestorben, die anderen drei schon zuvor umgekommen. Unter den Kunstwerken, die sie hinterließ, ist eine „Flucht nach Ägypten“. Diese Hinterglasmalerei mit biblischem Flucht-Thema verwendete Kardinal Czerny für die Gedenkkarten zu seiner Kardinalserhebung.

Das Bild
Das Bild

Flucht nach Ägypten, Flucht nach Kanada

Auch über die Umstände der Migration seiner Familie nach Kanada erteilte der Jesuit Auskunft. Unter der Bedingung, einen Bürgen zu benennen, sei Kanada dazu bereit gewesen, die Eltern aus der Tschechoslowakei mit ihren beiden kleinen Söhnen aufzunehmen. Nach zwei gescheiterten Versuchen erklärten sich schließlich 1948 ehemalige Schulfreunde der Eltern dazu bereit, die Bürgschaft in Kanada zu übernehmen. „Die Familie half uns, ins Land zu kommen, nahm uns auf und führte uns durch den schwierigen Prozess, uns in der neuen Stadt zurechtzufinden, bevor wie eine neue Sprache lernen konnten“, erinnert sich der Kardinal. Die Czernys ließen sich zunächst in einem französischsprachigen Gebiet nieder, danach in einem englischsprachigen. Nach seiner Muttersprache Tschechisch habe er also zunächst Französisch, dann Englisch gelernt, das heute seine „erste“ Sprache sei, so Czerny.

Bei einem dreimonatigen Besuch in der Heimat seiner Eltern Ende 1987 traf Czerny, der 1964 in den Jesuitenorden eingetreten war, auch auf Mitglieder der Untergrundkirche in der damaligen CSSR. Der Mut und der starke Glaube dieser Menschen habe ihn sehr beeindruckt.

Das Brustkreuz
Das Brustkreuz

Ein Brustkreuz als Statement

Rotbemaltes Holz und Nägel: Ungewöhnlich in seiner Gestaltung ist das Brustkreuz von Kardinal Czerny. Der italienische Künstler Domenico Pellegrino fertigte es aus den Resten eines Bootes, mit dem Migranten von Nordafrika nach Lampedusa gelangt waren. „Das Material spielt auf das Holz des Kreuzes an, auf dem Jesus gekreuzigt wurde, um die Sünde der Welt hinwegzunehmen“, erklärte Czerny. „Der Nagel erinnert daran, dass Jesus ans Kreuz genagelt wurde. Das armselige Holz steht für das Armutsgelübde der Jesuiten und den Wunsch nach einer demütigen, engagierten Kirche. Die Herkunft des Holzes spiegelt die Flucht meiner eigenen Familie in sichere Verhältnisse, als ich sehr klein war, und auch meine derzeitige Verantwortung in der Abteilung für Migranten und Flüchtlinge. Das Splittern in der roten Farbe und im Holz erinnern an die Wunden, das Leiden, das in der Kreuzigung vergossene Blut, und die hellere Farbe im oberen Teil verweist auf die Auferstehung unseres Herrn und Retters und das Leben in Fülle, das zu bringen er auf die Welt kam.“

Das Kardinalwappen

Das Kardinalwappen des kanadischen Kurienmanns zeigt ein Boot mit einer vierköpfigen Migrantenfamilie. „Flüchtlinge und andere Menschen unterwegs benutzen oft das Boot“, erklärte Czerny die Wahl dieses Motivs. Auch seine Familie sei auf einem Boot in die neue Heimat gekommen. Die Darstellung verweise zugleich auf das traditionelle Bild der Kirche als Boot des Fischers Petrus sowie auf die – in Kanada entstandene – Bewegung der „Arche“, eine Gemeinschaft, die Barmherzigkeit gegenüber Ausgeschlossenen pflegt. Der grüne Hintergrund des Wappens sei ein Verweis auf die Sozialenzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus, die dazu ermahne, „das Wohlergehen der Schöpfung, unseres gemeinsamen Hauses, zu suchen“.

Eine Skulptur, die Flüchtlinge auf einem Boot zeigt, ist auf Initiative von Kardinal Czerny derzeit auch auf dem Petersplatz zu sehen. Die Bronze-Plastik des kanadischen Künstlers Timothy Schmalz heißt „Angels Unawares", übersetzt: Engel, ohne es zu ahnen. Papst Franziskus enthüllte das Auftragswerk am Welttag der Migranten und Flüchtlinge im September 2019. 

(vatican news – gs)

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07. Dezember 2019, 10:30