20 Jahre „Schwedisches Modell“ - eine Lösung gegen Menschenhandel?
Teresa Roelcke und Ines Schaberger – Vatikanstadt
Der Besuch von Papst Franziskus am Donnerstagnachmittag ist für viele das Highlight der Konferenz in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften im Vatikan. Mit gezückten Smartphones verfolgen die Teilnehmerinnen die spanische Ansprache des Papstes aus Lateinamerika, der sie ermutigt, im Kampf gegen Menschenhandel nicht locker zu lassen.
Danach ist Zeit für Gespräche und Fotos. Die 50 Richterinnen und Staatsanwältinnen stürzen in Richtung Papst. „Er ist ein Rockstar“, kommentiert eine von ihnen. Der Papst lächelt, segnet Heiligenfiguren, fragt nach den Familien der Teilnehmerinnen. Die Stimmung ist gelockert.
Schwedische Justizkanzlerin will Blick auf Prostitution umdrehen
Etwas abseits vom Getümmel steht die schwedische Justizkanzlerin Anna Skarhed. Sie habe diese Situation schon öfters erlebt, und immer sei es ähnlich lebendig und chaotisch zugegangen, sagt sie. Anna Skarhed war Richterin am Obersten Gerichtshof in Schweden, seit zehn Jahren ist sie Justizkanzlerin, eine Art Ombudsfrau der schwedischen Regierung.
Sie ist hier, um das sogenannte „Schwedische Modell“ vorzustellen. 1999 wurde in dem skandinavischen Land ein Gesetz eingeführt, dass die Prostituierten entkriminalisiert und dafür die Freier bestraft.
„Das schwedische Modell ist es, den Blick gewissermaßen umzudrehen: Die Person, die Sex kauft, ist die Person, die das Geschäft der Prostitution am Leben hält. Man könnte also sagen: Wenn es keine Nachfrage gäbe, dann gäbe es auch keine Prostitution", sagt Anna Skarhed.
Rechte Parteien seien zu Beginn dagegen gewesen, doch mittlerweile befürworte die gesamte Bevölkerung Schwedens dieses Gesetz. Straßenprostitution konnte halbiert werden, entgegen der Befürchtungen sei versteckte Prostitution nicht gestiegen. Prostitution im Internet habe sich im Vergleich zu den Nachbarländern weniger verbreitet. Vom „Schwedischen Modell“ inspiriert, haben beispielsweise Irland, Frankreich, Kanada, Norwegen und Island, aber auch Südkorea und Südafrika ähnliche Gesetze erlassen.
Was ist der Grund dafür, dass sich viele Länder wie Deutschland und Österreich und auch die Vereinten Nationen gegen diesen Ansatz wehren?
Anna Skarhed: „Geld wäre wirklich die Antwort. Denn Prostitution ist eine Industrie, die extrem lukrativ ist. Im Vergleich zu Waffen oder Drogen können Menschen immer wieder und wieder verkauft werden."
Ist Sexarbeit freiwillig?
Viele Hilfsorganisationen lehnen zwar Menschenhandel ab, betonen jedoch, dass „Sexarbeit“ auch eine freiwillig ausgeübte Tätigkeit sein kann, die Prostituierte gerne tun. Anna Skarhed sieht das anders.
„Das sagen nur sehr wenige. Allein in Europa werden mehr als 150.000 Frauen und Mädchen als Prostituierte benutzt. Und niemand kann mir erzählen, dass sie alle aus ärmeren Ländern hierher gekommen sind, weil sie sich überlegt haben, dass das so ein schöner Beruf wäre. Man kann sehen, dass die meisten Frauen, die danach Prostituierte werden, zuvor vergewaltigt wurden oder gravierende wirtschaftliche oder psychische Schwierigkeiten hatten, die sie dazu gebracht haben, sich für die Prostitution zu entscheiden."
Die Heilige Lucia und die Hoffnung
Niemand kann das alleine schaffen, plädiert Anna Skarhed am Freitagmorgen im Plenum. Eindringlich wirbt sie für das „Schwedische Modell“, das auch vom Europäischen Parlament empfohlen worden sei. Trotz der tragischen Realität dürfe man die Hoffnung nicht verlieren.
Denn der dunkelste Moment der Nacht ist derjenige, kurz bevor die Sonne aufgeht. Ein Symbol für das Licht der Hoffnung sei die heilige Lucia, die die Menschen in Schweden am 13. Dezember feiern, erklärt sie, und stimmt kurzerhand das Lied der Heiligen an. Viele Frauen in der päpstlichen Akademie der Wissenschaften summen mit.
(vatican news)
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