Vatikan: „Der Haushalt des Heiligen Stuhles gilt allein seinem Auftrag"
Der spanische Jesuit und ausgebildete Ökonom leitet seit Jahresbeginn das vatikanische Wirtschaftssekretariat und ist damit für die notorisch komplizierten Finanzen des Heiligen Stuhles und des Vatikanstaates zuständig. Die geschätzten Mindereinnahmen infolge der Corona-Pandemie beziffert Guerrero im Interview unseres Chefredakteurs Andrea Tornielli mit 25 bis 45 Prozent. Er stellt aber auch klar, dass der Vatikan kein Wirtschaftsunternehmen ist, sondern einer besonderen Sendung nachkommt, die eben auch Geld kostet. Guerrero, der auf eigene Bitte und der des Jesuitengenerals Arturo Sosa einfaches Ordensmitglied bleiben und nicht zum Bischof oder Kardinal ernannt werden soll, spricht sich für Transparenz und zentral gesteuertes Investment aus.
Vatican News: Pater Guerrero, letzte Woche tagte ein Treffen der Kurienleiter zur finanziellen Situation des Staates Vatikanstadt und des Heiligen Stuhls. Können Sie uns sagen, wie die Lage ist?
P. Guerrero: Die ganze Welt steckt in einer Krise, die durch zwei Faktoren gekennzeichnet ist: ihr Charakter als Ausnahmesituation und die Ungewissheit ihrer Dauer. Was wir erleben, ist eine einzigartige Zeit. Eine schwierige Zeit, die uns vor unsere Verantwortung stellt. Wir müssen einen Weg finden, unsere Sendung zu gewährleisten. Aber wir müssen auch verstehen, was wesentlich ist und was nicht. Ebensowenig können wir in unserem Wirtschaften nicht alles nur als Defizit oder als bloße Kosten bemessen.
Vatican News: Was heißt das?
P. Guerrero: Wir sind kein Unternehmen. Unser Ziel ist es nicht, einen Gewinn zu erzielen. Jede Behörde, jede Abteilung erbringt eine Dienstleistung. Und jede Dienstleistung hat Kosten. Unser Einsatz muss von maximaler Nüchternheit und Klarheit geprägt sein. Unser Haushalt muss ein Haushalt der Mission sein. Das heißt, ein Haushalt, der die Zahlen mit der Mission, mit dem Auftrag des Heiligen Stuhls in Beziehung setzt. Das klingt nach Vorbemerkung – aber es ist der Kern der Sache. Und das darf nie aus den Augen verloren werden.
Vatican News: Können Sie uns einige Zahlen nennen?
P. Guerrero: Was die Zahlen betrifft, so sind die des Heiligen Stuhls viel kleiner, als sich das viele Menschen vorstellen. Sie sind zum Beispiel geringer als eine mittelgroße amerikanische Universität. Und auch das ist eine Wahrheit, die oft ignoriert wird. Jedenfalls sagt uns die Buchhaltung, dass zwischen 2016 und 2020 sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben im Vatikan konstant geblieben sind. Die Einnahmen sind in der Größenordnung von 270 Millionen. Die Ausgaben beliefen sich je nach Jahr auf durchschnittlich rund 320 Millionen. Die Einnahmen stammen aus Beiträgen und Spenden, Mieteinnahmen der Immobilien und in geringerem Maß aus der Finanzverwaltung und den Aktivitäten der Dikasterien. Ein wichtiger Beitrag ist der des Governatorates des Vatikanstaates. Er hängt weitgehend, aber nicht ausschließlich, von den Museen ab, die heute geschlossen sund und im verbleibenden Teil des Jahres wahrscheinlich Schwierigkeiten haben werden, da die Erholung nur langsam voranschreiten wird.
45 Prozent Personal, 45 Prozent allgemeine Ausgaben, 7,5 Prozent Spenden
P. Guerrero: Wenn ich nur die Zahlen und Prozentsätze betrachte, könnte ich sagen, dass sich die Ausgaben mehr oder weniger wie folgt verteilen: 45 Prozent Personal, 45 Prozent allgemeine und administrative Ausgaben und 7,5 Prozent Spenden. Oder ich könnte sagen, dass das Defizit (die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben) in den letzten Jahren zwischen 60 und 70 Millionen geschwankt hat. Aber allein aufgrund dieser Zahlen könnte mancher denken, dass das Defizit ein Loch ist, das auf schlechte Verwaltung zurückzuführen ist. Oder dass sie eine unbewegliche Bürokratie finanziert. Das ist nicht der Fall. Damit hat das nichts zu tun. Hinter diesen Zahlen steht die Sendung des Heiligen Stuhls und des Heiligen Vaters, steht die Fülle des Lebens und des kirchlichen Dienstes. Es ist nicht richtig zu sagen, dass das Defizit durch den Peterspfennig finanziert wird, als ob der Peterspfennig ein Loch stopfen würde. Der Peterspfennig ist auch eine Spende der Gläubigen: Er finanziert die Sendung des Heiligen Stuhls, zu der auch die Nächstenliebe des Papstes gehört und die nicht über ausreichende Einnahmen verfügt.
Hinter diesen Zahlen verbirgt sich das Ziel
P. Guerrero: Die Zahlen müssen immer verstanden werden. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich das Ziel. Innerhalb des Haushalts gibt es die Sendung, den Dienst, den diese Ausgaben ermöglichen. Vielleicht müssen wir es besser erklären, besser erzählen. Sicherlich müssen wir uns klar ausdrücken.
Was meinen Sie mit „Haushalt der Sendung"?
P. Guerrero: Ich meine damit, was in diesen Zahlen steckt. Ein Beispiel: Die Kommunikation dessen, was der Papst tut, in 36 Sprachen, über Radio, Fernsehen, Internet, soziale Medien, eine Zeitung, eine Druckerei, einen Verlag, den Pressesaal, und so weiter - das ist ein Unterfangen, das in der Welt seinesgleichen sucht. Das hat sicherlich seinen Preis. Es erzielt auch Einnahmen. Die Kommunikation beansprucht etwa 15 Prozent des Budgets. Mehr als 500 Menschen arbeiten dort. Ich weiß nicht, ob Sie es besser machen können. Nun, das können Sie immer. Aber wenn wir einen Vergleich anstellen, glaube ich nicht, dass wir andere finden, die mit so wenig so viel produzieren.
Weitere zehn Prozent des Budgets gehen an die Nuntiaturen [Botschaften des Heiligen Stuhles, Anm.] Einige Leute mögen denken, dass das eine große Sache ist. Nein, es sind kleine Botschaften der Frohen Botschaft, die in den internationalen Beziehungen die Rechte der Armen verteidigen, die eine Diplomatie des Dialogs, des Friedens, der Sorge um die Erde als unser gemeinsames Haus betreiben. Weitere zehn Prozent gehen an die Ostkirchen, die oft verfolgt werden oder in der Diaspora leben. Weitere 8,5 Prozent werden über die Kongregation für die Evangelisierung der Völker für die ärmsten Kirchen, für die Missionen, ausgegeben. Dann gibt es den Schutz der Einheit der Glaubenslehre, es gibt die Heilig- und Seligsprechungen. Es geht um die Bewahrung eines Erbes der Menschheit wie der Vatikanischen Bibliothek und der Archive. Es gibt die notwendige Instandhaltung der Gebäude: weitere zehn Prozent. Da sind die italienischen Steuern, die wir zahlen: etwa 6 Prozent des Haushalts, das sind 17 Millionen. Und so weiter...
Vatican News: Das war die Situation vor der Zeit des Coronavirus. Und jetzt? Es wurden mehrere Hypothesen vorgestellt, eine optimistischere und eine pessimistischere: Können Sie beides kurz erläutern?
P. Guerrero: Wir haben einige Hochrechnungen, einige Schätzungen vorgenommen. Die optimistischsten rechnen mit einem Rückgang der Einnahmen um etwa 25 Prozent. Die pessimistischsten liegen bei etwa 45 Prozent. Wir können heute nicht sagen, ob es einen Rückgang der Spenden zum Peterspfennig oder einen Rückgang der Beiträge der Diözesen geben wird. Wir wissen jedoch, weil wir es beschlossen haben und wegen der Schwierigkeit, die Miete von einigen Mietern zu bezahlen, dass es zu einem Rückgang bei den Mieteinnahmen kommen wird.
Wir hatten bereits bei der Verabschiedung des diesjährigen Haushalts beschlossen, dass die Ausgaben gesenkt werden sollten, um das Defizit zu mindern. Der Notstand nach der Corona-Pandemie zwingt uns, dies mit größerer Entschlossenheit zu tun. Das optimistische oder pessimistische Szenario hängt zum Teil von uns ab, also davon, inwieweit wir in der Lage sein werden, die Kosten zu senken, und zum Teil von externen Faktoren, also davon, wie stark die Einnahmen tatsächlich sinken werden; die Einnahmen hängen nicht von uns ab. Auf jeden Fall ist klar, dass das Defizit steigen wird, wenn es keine außerordentlichen Einnahmen gibt.
Vatican News: Pater Guerrero, riskiert der Vatikan wirklich die Zahlungsunfähigkeit, wie man es manchmal liest?
P. Guerrero: Nein. Das glaube ich nicht. Der Vatikan ist nicht in Gefahr, zahlungsunfähig zu werden. Das bedeutet nicht, dass wir der Krise nicht als das entgegentreten, was sie ist. Wir haben sicherlich schwierige Jahre vor uns. Die Kirche erfüllt ihre Sendung mit Hilfe der Gaben der Gläubigen. Und wir wissen nicht, wie viel die Menschen geben werden. Genau aus diesem Grund müssen wir nüchtern und rigoros sein.
[ Kein Schnitt wird diejenigen treffen, die am verletzlichsten sind ]
Wir müssen mit der Leidenschaft und dem Fleiß eines guten Familienvaters verwalten. Es gibt drei Dinge, die auch in dieser Krisenzeit nicht in Frage gestellt werden: die Entlohnung der Angestellten, die Hilfe für Menschen in Schwierigkeiten und die Unterstützung für die Kirchen in Not. Kein Schnitt wird diejenigen treffen, die am verletzlichsten sind. Wir leben nicht, um den Haushalt zu retten. Wir vertrauen auf die Großzügigkeit der Gläubigen. Aber wir müssen denen, die einen Teil ihrer Ersparnisse an uns spenden, zeigen, dass ihr Geld gut angelegt ist. Es gibt viele Katholiken in der Welt, die bereit sind zu spenden, um dem Heiligen Vater und dem Heiligen Stuhl bei der Erfüllung ihrer Sendung zu helfen. Ihnen gegenüber müssen wir Rechenschaft ablegen. Und auf sie können wir zurückgreifen.
Vatican News: Die Situation im Vatikan unterscheidet sich nicht von der vieler anderer Staaten, die aufgrund der Pandemie eine schwere Wirtschaftskrise zu bewältigen haben: Wie wollen Sie konkret damit umgehen?
P. Guerrero: Es stimmt, dass die Situation nicht anders ist, aber es stimmt auch, dass wir weder die Hebelwirkung der Geldpolitik noch die der Finanzpolitik haben. Wir können nur auf die Großzügigkeit der Gläubigen zählen, auf ein kleines Vermögen und die Fähigkeit, weniger auszugeben. Im Gegensatz zu dem, was viele Leute denken, gibt es hier keine hohen Gehälter.
Die gute Nachricht ist, dass das Wirtschaftssekretariat SPE, die [Güterverwaltung] APSA, das Staatssekretariat, die Kongregation für die Evangelisierung der Völker, der Wirtschaftsrat und das Governorat zusammenarbeiten, um der Krise zu begegnen und das zu reformieren, was reformiert werden muss. Wir haben jede Einheit gebeten, alles zu tun, um die Kosten zu senken und gleichzeitig das Wesentliche ihres Auftrags zu wahren. Da es sich um ein strukturelles Defizit handelt, müssen wir auf einer eher strukturellen Ebene die Finanzinvestitionen zentralisieren sowie die Personalverwaltung und das Beschaffungsmanagement verbessern. Ein Regelwerk zur Abwicklung von Ausschreibungen steht kurz vor der Verabschiedung, was sicherlich zu Einsparungen führen wird. Wir arbeiten in ständiger Verbindung mit allen Abteilungen und verbinden Zentralisierung mit Subsidiarität, Autonomie mit Kontrolle, Professionalität mit Berufung.
Vatican News: Diese Zentralisierung der Investitionen, von der Sie sprechen, wann und wie wird die umgesetzt?
P. Guerrero: Wir haben eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema, die in einer ruhigen Atmosphäre arbeitet. Es wird noch einige Monate dauern. Es geht nicht nur darum, zu zentralisieren: Es geht darum, etwas Professionelles zu tun, ohne Interessenskonflikte und mit ethischen Kriterien. Wir müssen nicht nur unethische Investitionen vermeiden, sondern auch Investitionen fördern, die mit einer anderen Vision der Wirtschaft, mit einer integralen Ökologie, mit Nachhaltigkeit verbunden sind.
Vatican News: Wie will der Heilige Stuhl die Dienste, die er derzeit anbietet, und die Gehälter der derzeitigen Angstellten sicherstellen trotz des erheblichen Einkommensrückgangs, der das Minus auf den Konten anschwellen lassen wird?
P. Guerrero: Wir sind keine Großmacht. Gerade wird darüber diskutiert, wie große europäische Länder jetzt über die Runden kommen. Und wir erst! Wir müssen bescheiden sein. Wir sind eine Familie mit einem kleinen Vermögen und der großzügigen Hilfe von vielen. Wir werden es schaffen. Mit unserer Fähigkeit, gut zu wirtschaften. Mit der Hilfe Gottes und der Gläubigen. Die ganze Kirche wird auf diese Weise unterstützt. Angefangen mit der Veröffentlichtung der Wahrheit über unsere wirtschaftliche Lage: Denn das Beste, was wir tun können, ist, fleißig und transparent zu sein. Wir werden das Geld einplanen, auf das wir zählen können. Wir werden einen Null-Basis-Haushalt für 2021 aufstellen. Grundlage ist das Wesentliche unserer Sendung.
Vatican News: Aber wie können wir das Vertrauen der Gläubigen stärken, nachdem im vergangenen Jahr ans Licht gekommen ist, wie einige Investitionen getätigt wurden?
P. Guerrero: Vertrauen lässt sich durch Strenge, Klarheit und Nüchternheit gewinnen. Und auch durch demütiges Eingestehen vergangener Fehler, um sie nicht zu wiederholen, und durch das Eingeständnis aktueller Fehler, falls es solche gibt. Es kommt manchmal vor, es ist auch uns passiert, zum Beispiel, dass wir uns auf Menschen verlassen haben, die das Vertrauen nicht verdient haben. Wir sind dabei immer verwundbar. Mehr Transparenz, weniger Geheimhaltung macht es schwieriger, Fehler zu machen. Genau aus diesem Grund wollen wir für unseren Investmentbereich einen seriösen Ausschuss gründen. Er soll sich aus hochrangigen Personen zusammensetzen, die in keinem Interessenskonflikt stehen. Das soll uns helfen, so weit wie möglich keine Fehler zu machen.
Vatican News: Wann wird wieder ein offizieller Vatikan-Haushalt veröffentlicht?
P. Guerrero: Ich würde mir wünschen, dass es schon dieses Jahr wäre. Damit wir gut erklären, wie wir das Geld ausgeben. Damit wir sagen, schwarz auf weiß, dass wir es ausgeben, um Gutes zu tun, und im Dienst der Kirche. Das ist, was wir mitteilen wollen. Und wir müssen das gut erzählen. Die Wirklichkeit, ich hier in den vergangenen Monaten am Heiligen Stuhl kennengelernt habe, spricht genau davon. Sie verdient Vertrauen. Diese Mission voller Schönheit wird mit der Großzügigkeit vieler erfüllt, die niemand kennt.
Vatican News: Wie fühlt es sich an, den Posten des „Wirtschaftsministers" zu besetzen? Können Sie sich in dieser schwierigen Zeit nachts ausruhen?
P. Guerrero: Ich schlafe gut, ja. Bis jetzt hat mir keine Schwierigkeit den Schlaf geraubt. Ich glaube an den Herrn des Lebens, und ich weiß, dass das Leben uns am Ende immer den Weg öffnet. Und diese Sache mit dem Minister, den Ministern der Kurie, bringt mich ein wenig zum Schmunzeln. Ich fühle mich nicht als Wirtschaftsminister. Ich fühle mich wie ein Jesuit und ein Priester, der einen Dienst für die Kirche ausführt, einen Dienst im Hintergrund vielleicht, und in Zusammenarbeit mit anderen, der darin besteht, dem Heiligen Vater und dem Heiligen Stuhl bei der Erfüllung ihrer Sendung zu helfen. Ich habe eine Aufgabe. Ich setze meinen Weg fort. Ich arbeite als Team. Ich höre auf Ratschläge. Ich lerne. Ich bin auf der Suche nach kompetenten Leuten. Ich weiß, dass Veränderungen nicht an einem Tag geschehen. Und sie ändern sich nicht von selbst. Das Ziel ist es, zusammenzuarbeiten. Ich fühlte mich vom Papst und von der Kurie sehr gut aufgenommen, ganz zu schweigen von den Mitarbeitenden des Wirtschaftssekretariats, allesamt ausgezeichnete und anerkannte Fachleute. Wir gehen Seite an Seite. Wir sind dem Weg der Transparenz, der Nüchternheit, des Fleißes, der Strenge sehr verpflichtet bei der Ausübung dessen, was unsere Sendung ist und bleibt.
Die Fragen stellte Andrea Tornielli, Chefredakteur von Vatican News.
(vatican news - gs)
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