Sekretär der Glaubenskongregation: Weg der Wahrheit beschreiten
Andrea Tornielli und Mario Galgano - Vatikanstadt
Ein Leitfaden, der Bischöfen und Ordensoberen zur Verfügung steht, um sie beim Umgang mit gemeldeten Missbrauchsfällen zu unterstützen: So definiert Erzbischof Giacomo Morandi, Sekretär der Kongregation für die Glaubenslehre, in unserem Interview das an diesem Donnerstag veröffentlichte Vademecum (hier auf Deutsch). Auf die Frage, wer dieses Dokument erstellt und warum es so lange gedauert habe - schließlich wurden die Leitlinien bereits im Februar 2019 angekündigt -, antwortet der italienische Kurienerzbischof:
„Der Leitfaden wurde von der Kongregation erstellt, vor allem auch mit Unterstützung des sogenannten Disziplinarbüros, das in den letzten Jahren besondere Erfahrungen in den betreffenden Fällen gesammelt hat. Dass es solange gedauert hat, liegt daran, dass es einen gründlichen Austausch gegeben hat, und zwar nicht nur innerhalb der Kongregation, sondern auch außerhalb, mit Fachleuten auf diesem Gebiet, mit anderen Dikasterien und insbesondere mit dem Staatssekretariat.“
Zum eigentlichen Zweck des Vademecums und an wen es gerichtet sei, sagt der Erzbischof:
„Ich nenne es gerne, wie es der Präfekt unserer Kongregation tut, ein ,Handbuch´. Es handelt sich also nicht um einen normativen Text, sondern um ein Instrument, das Bischöfen, Ordensoberen, Kirchengerichten, Rechtsfachleuten und auch den Verantwortlichen der von den Bischofskonferenzen eingerichteten Meldestellen zur Verfügung steht. In Anbetracht der Komplexität der Normen und der Praxis möchte dieser Leitfaden den Weg weisen und den Zuständigen helfen, nicht den Überblick zu verlieren.“
Es handle sich nicht um ein neues Regelwerk, erläutert Morandi. Die wirkliche Neuheit bestehe vielmehr darin, dass das Verfahren zum ersten Mal in detaillierter Form beschrieben werde, also von den ersten Meldungen über eine mögliche Straftat bis zum endgültigen Abschluss des Falles. Die Normen seien ja bekannt, erläutert der Sekretär der Glaubenskongregation - die Praxis aber sei meist nur denjenigen bekannt, „die sich bereits mit diesen Fällen befasst haben“.
„Gerade weil es sich um ein Werkzeug, also ein Handbuch, handelt, bietet sich eine ständige Aktualisierung an. Und die betrifft mögliche künftige Änderungen im Strafrecht wie auch Klarstellungen und Anfragen, die vor Ort von Ordinarien und Rechtsfachleuten kommen können. In diesem Sinne heißt die Version, die jetzt herauskommt, ,1.0´, und auch die kann aktualisiert werden. Jede Hilfe dabei, dieses Handbuch zu verbessern, ist ein willkommener Dienst an der Gerechtigkeit.“
Im Allgemeinen seien die Fälle, deren Untersuchung in den Zuständigkeitsbereich der Glaubenskongregation fallen, alle „Straftaten gegen den Glauben“ sowie schwerwiegendere Straftaten – die sogenannten delicta graviora – gegen den Glauben, die Heiligkeit der Sakramente und die Sitten. Das Vademecum beziehe sich jedoch nur auf eines dieser Delikte, das in Artikel 6 des Motu proprios „Sacramentorum Sanctitatis Tutela“ Kleriker betreffe, die Straftaten gegen das sechste Gebot des Dekalogs mit einem Minderjährigen begehen. Dies seien die Fälle, die in den Medien am meisten Schlagzeilen machen würden, „auch wegen ihrer Schwere“, so Erzbischof Morandi.
Änderung der Altersgrenze
Im strafrechtlichen Bereich gelte als minderjährig, wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erinnert er. Andere Altersunterscheidungen, also unter 18 Jahren, seien in diesem Sinne nicht relevant. Der lateinische Codex sehe in Kanon 1395 § 2 noch das 16. Lebensjahr als Erwachsenenalter an, mit dem Motu proprio „Sacramentorum Sanctitatis Tutela“ von Johannes Paul II. von 2001 sei dies jedoch auf 18 Jahre angehoben worden. Die Fälle von Missbrauch seien oft nicht leicht abzugrenzen. Klar ersichtliche Fälle seien z.B. sexuelle Beziehungen als solche oder andere körperliche Kontakte, die zwar keine richtigen „Beziehungen“ seien, aber eine klare sexuelle Absicht verfolgten. In anderen Fällen seien die Grenzen weniger leicht erkennbar oder mit Nuancen, die bewertet werden müssten, um zu sehen, ob sie nach dem damals geltenden Recht „delicta graviora im juristischen Sinne“ seien oder nicht.
Eine heikle Frage sei auch die veränderte Haltung gegenüber anonymen Anzeigen, die früher prinzipiell verworfen wurden. Anonyme Hinweise könne man nicht einfach ignorieren, „nur weil sie nicht unterzeichnet sind“. Das wäre unfair, so Morandi. Auf der anderen Seite müsse man aber auch bedenken, dass man nicht alle Hinweise uneingeschränkt akzeptieren könne, ohne die Absicht derer zu kennen, von denen sie stammen.
„Wenn der Tatbestand nicht ausreichend bewiesen ist, gilt der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“: ein Prinzip, das unserer Rechtskultur zugrunde liegt. In solchen Fällen wird also nicht die Unschuld des Angeklagten erklärt, sondern lediglich, dass er nicht für schuldig befunden wurde.“
Solche juristische Feinheiten seien sehr wichtig, so der Erzbischof. Denn es gehe nicht einfach darum, Schuldsprüche zu fällen, sondern Gerechtigkeit walten zu lassen.
Lesen Sie hier das Vademecum auf Deutsch.
(vatican news - skr)
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