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In Beirut sind nach der Explosion vom 4. August ganze Straßenzüge immer noch verwüstet In Beirut sind nach der Explosion vom 4. August ganze Straßenzüge immer noch verwüstet 

Vatikan/Libanon: „Die Kirche ist die einzige Organisation, die hilft“

Als wäre ein Tornado durch die Stadt gezogen: So beschreibt Caritas-Generalsekretär Aloysius John seinen Eindruck vom Beiruter Hafen. Seit einigen Tagen hält er sich im Libanon auf, um der Bevölkerung die Solidarität der Caritas zu übermitteln und konkrete Schritte für die Unterstützung der Menschen einzuleiten, die durch die Explosion alles verloren haben.

Am Mittwoch war er auch an dem Ort, an dem es zu der folgenschweren Explosion gekommen war. Im Gespräch mit Radio Vatikan berichtet er, was für ein Szenario sich seinen Augen geboten hat:

„Mein erster Eindruck war der, dass dort ein schwerer Tornado gewütet hätte. Alles war komplett am Boden. Und was noch erschreckender war, die nahe liegenden Häuser sind restlos zerstört worden. Der Ort hatte für mich etwas Apokalyptisches und überall waren Ruinen.“

Er habe am selben Tag einige Beiruter Familien besucht, um ihnen die Solidarität von Caritas Internationalis zu überbringen, so der Generalsekretär des Caritas-Dachverbands. „Was ich heute sagen kann, ist, dass sich mehr als 300.000 Menschen, die meisten von ihnen Christen, in einer sehr verletzlichen und delikaten Situation befinden. So erzählte mir eine Frau gestern, dass ihr Sohn einen Freund besucht hatte, dort beim Verlassen des Hauses von der Explosion getroffen wurde und starb. Er war 33 Jahre alt. Sie selbst war in dem Moment draußen unterwegs und stellte auf einmal fest, dass sie aus vielen Wunden blutete. Sie nimmt blutverdünnende Mittel. Obwohl sie stark blutete, konnte sich im Krankenhaus niemand um sie kümmern. Und die Geschichte all dieser 300.000 Menschen ist sehr ähnlich.“

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„Dank Caritas bin ich sicher“

Die Menschen erwachten erst jetzt langsam aus dem Schockzustand und stünden nun großen Problemen gegenüber, meint John. Viele hätten ihre Wohnungen verloren oder könnten sie derzeit nicht betreten, während die Besitzer vieler Behelfsunterkünfte versuchten, die Menschen wieder loszuwerden, auch die Versicherungsfrage sei vielerorts ungeklärt, während der Staat praktisch handlungsunfähig sei: „Die einzige Organisation, die ihnen dabei hilft, ihre Häuser wieder bewohnbar zu machen, ist die Caritas. Sie hilft beim Wiederherrichten oder dabei, bessere Unterkünfte zu finden. Da ist beispielsweise ein behinderter Mann, der im 5. Stock eines nun schwer beschädigten Hauses lebte, und der nur überlebt hat, weil er zum Zeitpunkt der Explosion nicht daheim war. Als er zurückkam, war alles kaputt, kein Fenster mehr heil. Caritas hat seine Wohnung wieder bewohnbar gemacht und nun sagt er: ,Dank Caritas bin ich sicher'“.

Viele Menschen können nach wie vor nicht in ihre Häuser zurückkehren oder ihrer Arbeit nachgehen und seien deshalb auf die Hilfe der Kirche angewiesen, so John: „Caritas Libanon verteilt jeden Tag über 10.000 Lebensmittelpakete an verschiedenen Orten. Die Menschen bitten um psychologische Unterstützung und all das in einem Staat, der keine Regierung hat und in dem es keine soziale Unterstützung und Sicherheit gibt.“

„Inwieweit könnte diese Situation eine Chance darstellen, das System zu ändern?“

Der Caritas-Generalsekretär hatte sich auch mit verschiedenen Kirchenvertretern getroffen, unter anderem kam er mit Kardinal Béchara Boutros Raï und dem maronitischen Eparchen Michel Aoun – ein Namensvetter des Staatspräsidenten - zusammen, berichtet er im Gespräch mit Radio Vatikan weiter. Béchara Raï habe ihm gesagt, das Land befinde derzeit in einer sehr instabilen und schwierigen Phase. Politische Unruhen, wirtschaftliche Schwierigkeiten, zahlreiche Flüchtlinge und dann auch noch Covid-19... „Was wir uns fragen ist also, wie kann es heute weiter internationale Solidarität geben, und inwieweit könnte diese Situation eine Chance darstellen, das System zu ändern? Gestern haben wir uns auch mit dem Eparchen Michel Aoun getroffen und darüber gesprochen, wie Caritas Internationalis in der Gesellschaft Solidarität zeigen kann.“

Diese Solidarität mit notleidenden Menschen müsse weltweit erbracht werden, so der Appell des Caritas-Mannes, der bald wieder in Rom zurückerwartet wird. „Zweitens denke ich, dass es sehr wichtig ist, wirklich zu verstehen, was passiert ist. War es eine einfache Explosion, oder steckt mehr dahinter? Dieser Verdacht steht im Raum und die internationale Gemeinschaft muss dem nachgehen. Die Menschen müssen Gerechtigkeit erfahren.“

Die internationale Gemeinschaft müsse dafür sorgen, dass die Menschen entsprechend ausgestattet seien, um den Winter gut überstehen zu können, fordert Aloyisius John. Zur bereits prekären wirtschaftlichen Lage komme eine schwindelerregende Inflation, aber die Gehälter seien gleich geblieben. Negative Auswirkungen hätten auch die US-Sanktionen auf Syrien, das mit dem Libanon enge wirtschaftliche Beziehungen pflege, gibt John zu bedenken.

Immer noch keine neue Regierung

An diesem Dienstag sollte nach zahlreichen Protesten und einer politischen Patt-Situation eigentlich eine neue Regierung eingesetzt werden, zumindest hatte sich die libanesische Führung darauf mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron verständigt. Doch die Deadline verstrich – zur Enttäuschung der internationalen Gemeinschaft - ohne Ergebnis. Stündlich wird nun die Einsetzung der neuen Regierung erwartet. Was von dieser zu erwarten sei, dafür könne er keine Prognose erstellen, so John abschließend: „Der Slogan, den ich derzeit überall an den Straßen sehe, heißt: Wir werden überleben. Wir wissen nicht, wie die neue Regierung aussehen wird und was sie für die Ärmsten vorhat. Das ist die Frage, die ich mir stelle. Wird man die Bürger als etwas betrachten, was ausgeschlachtet werden kann? Wird man verantwortlich handeln? Das ist die zentrale Frage, und dafür habe ich keine Antwort. Das werden wir in der Zukunft sehen. Aber eines ist sicher: Der Libanon ist in einer Situation politischen Aufruhrs.“

(vatican news - cs/lb)

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17. September 2020, 13:09