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Die Advents-Predigt in der vatikanischen Audienzhalle Die Advents-Predigt in der vatikanischen Audienzhalle 

Advents-Predigt: Dinge aus der Perspektive des Totenbetts betrachten

Memento mori – sei dir deiner Sterblichkeit bewusst. Um diese Mahnung drehte sich die erste der Betrachtungen, die der Vatikan-Prediger Raniero Cantalamessa traditionell an den Freitagen der Adventszeit für den Papst und die Kurienangehörigen hält. Eine Neuheit in diesem Jahr: Ausdrücklich waren auch die Mitarbeiter der Kurie zu den Betrachtungen eingeladen, während diese in den Vorjahren vor allem den Kurienspitzen vorbehalten waren. Christine Seuss war für uns da.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Pünktlich um 9 Uhr schlossen sich die schweren Holztüren der vatikanischen Audienzhalle, die in diesem Jahr aufgrund der größeren Teilnehmerzahl und coronabedingt  den etwas nüchternen Rahmen für die traditionellen Advents-Predigten bildete. In der ersten Reihe: Papst Franziskus, umgeben von Kardinälen und Dikasterienleitern, in den hinteren Reihen, auf fest montierten Holzstühlen, die Mitarbeiter. Am Pult: Haus-Prediger Raniero Cantalamessa, der 86-jährige Kapuziner, der am vergangenen Samstag gemeinsam mit zwölf weiteren verdienten Geistlichen von Papst Franziskus in den Kardinalsstand erhoben wurde – eine Tatsache, an die nur der rote Pileolus erinnerte, den der in sein normales Ordensgewand gekleidete Prediger auf dem Kopf trug.

Hier können Sie den Beitrag zur Advents-Predigt von P. Cantalamessa nachhören

Zur Einstimmung wurde gemeinsam das Ave Maria gebetet, bevor Kardinal Cantalamessa – auf Deutsch würde sein Name übrigens bedeuten: Singe die Messe – zu seiner Betrachtung ansetzte. Sie stand unter dem den Psalmen entnommenen Titel: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz“. (Ps 90,12)

Pandemie als Lehre für persönliches und spirituelles Leben

Ausgangspunkt der Überlegungen war die Pandemie, die die Weltgemeinschaft derzeit fest im Griff hat. „Der Herr, so hat der heilige Gregor der Große geschrieben, lehrt uns manchmal mit Worten, und manchmal aber mit Tatsachen“, so der Prediger. „In dem Jahr, das durch die schreckliche Tatsache des Coronavirus gezeichnet ist, strengen wir uns an, die Lehre anzunehmen, die jeder von uns für sein persönliches und spirituelles Leben daraus ziehen kann.“ 

Die Advents-Predigt in der Aula Paul VI.
Die Advents-Predigt in der Aula Paul VI.

Die „ewigen Wahrheiten“, über die er in seinen Betrachtungen sprechen wolle, seien drei, kündigte der Vatikan-Prediger an: erstens, dass wir alle sterblich sind, zweitens, dass das Leben eines Gläubigen nicht mit dem Tode endet; und drittens, dass wir nicht allein auf der Welt sind, da Jesus Christus unter uns gekommen ist. Die erste dieser Wahrheiten sei der Erfahrung geschuldet, die anderen beiden dem Glauben zugehörig, so Cantalamessa:

Memento mori

„Beginnen wir mit einer Meditation über die erste dieser ,ewigen Maxime‘: den Tod. Memento mori, erinnere dich daran, dass du sterben wirst. Die Trappistenmönche haben dies als Motto ihres Ordens gewählt und schreiben es an den Durchgangsorten ihres Klosters. Doch dies gilt natürlich nicht nur für die Mönche, sondern für alle Menschen.“

Die Advents-Predigt in der Aula Paul VI.
Die Advents-Predigt in der Aula Paul VI.

Vom Tod könne man auf zwei Weisen sprechen: einerseits aus der Perspektive dessen, der daran glaubt, dass Christus über den Tod gesiegt habe und dieser eine Brücke darstelle, die ins ewige Leben führe – oder aus der Perspektive der urmenschlichen Erfahrung, dass das Leben stets mit dem Tod ende, „mit dem Zweck, daraus Lehren zu ziehen, um gut zu leben“, betont der Kardinal: „Das ist die Perspektive, die wir in dieser Meditation einnehmen.“

Jean-Paul Sarte und Heidegger

Christlichen Denkern aller Jahrhunderte, aber auch Angehörigen anderer Kulturen sei das Bewusstsein dafür gemein, dass das Leben unweigerlich mit dem Tod enden müsse. Doch die Schlüsse, die daraus gezogen würden, seien durchaus vielfältig, gab der Prediger zu bedenken, indem er zwei führende Denker der Moderne zitierte: Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger. Ersterer habe die Existenz über die Essenz gestellt, sei also davon ausgegangen, dass das Leben nicht festen Werten untergeordnet sei, denen sich der Mensch unterzuordnen habe, sondern andersherum, nichts sei vorher festgelegt und jeder Mensch sei seines eigenen Glückes Schmied. Doch mit dem unausweichlichen Ende der Existenz werde dieser Prämisse der Boden unter den Füßen weggezogen, so Cantalamessa: „Was kann ein Mensch planen, wenn er weder weiß, noch es von ihm abhängt, ob er morgen noch am Leben sein wird? Sein Versuch gleicht dem eines Gefangenen, der seine Zeit damit verbringt, den besten Weg zu planen, um von einer Zellenwand zur anderen zu gelangen.“

Die Advents-Predigt in der Aula Paul VI.
Die Advents-Predigt in der Aula Paul VI.

Sein zum Tode

Glaubwürdiger sei da der Gedanke des deutschen Philosophen Heidegger, der zwar in seiner Existenzphilosophie von ähnlichen Prämissen wie Sartre ausginge, aber zu anderen Schlüssen komme. „Indem er den Menschen als ,Sein zum Tode‘ definiert, macht er aus dem Tod nicht einen Unfall, der dem Leben ein Ende setzt, sondern die Substanz des Lebens, das, aus dem das Leben gemacht ist. Leben ist sterben.“ So werde der Tod nicht nur zum Ende, sondern auch zum Ziel des Lebens. Das menschliche Streben nach Planung und Erhöhung sei jedoch ein „Sprung, der aus dem Nichts kommt und im Nichts endet“, so die Schlussfolgerung Heideggers. Es bleibe also nichts anderes übrig, aus der Not eine Tugend zu machen und das eigene Schicksal anzunehmen und zu lieben...

Der heilige Augustinus

Der heilige Augustinus hatte moderne Gedankengänge zum Tod durchaus antizipiert, sei jedoch statt des Nihilismus zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt, nämlich zum Glauben an das ewige Leben. Von einem Menschen könne man bei seiner Geburt nur das eine mit Sicherheit sagen: Dass der Tod die Krankheit sei, mit der man sich bei der Geburt ansteckt – möge diese nun schneller oder langsamer zum irdischen Ende führen.

„Auf der Welle des Fortschritts der Technologie und der Eroberungen der Wissenschaft riskierten wir, wie der Mann der Parabel zu sein, der zu sich selbst sagt: Seele, nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freue dich! (Lk 12,19). Die aktuelle Katastrophe ist gekommen, um uns daran zu erinnern, wie wenig es vom Menschen abhängt, die eigene Zukunft zu planen und zu entscheiden, außerhalb des Glaubens.“

„Der Tod ist das Ende aller Unterschiede und Ungerechtigkeiten, die unter den Menschen herrschen“

Oft erscheine uns das Leben wie zufällig, ohne Kohärenz. Doch es gebe einen Punkt, der alles in Ordnung rückt und den Sinn hinter den einzelnen, nicht zusammenhängend scheinenden Episoden aufzeige, so Kardinal Cantalamessa – nämlich die Beobachtung vom Sterbebett aus: „Der Tod ist das Ende aller Unterschiede und Ungerechtigkeiten, die unter den Menschen herrschen […] Wie viele Kriege, wie viele Grausamkeiten weniger würden auf Erden begangen, wenn die Gewalttätigen und Unterdrücker der Völker daran dächten, dass auch sie bald sterben müssen!“, so die eindringliche Mahnung des betagten Kardinals.

„Schau diese Dinge vom Totenbett aus an“

„Das Leben vom Beobachtungspunkt des Todes aus zu betrachten, ist eine großartige Hilfe dazu, gut zu leben. Bist du von Problemen oder Schwierigkeiten geängstigt? Geh vorwärts, stell dich auf den richtigen Punkt: Schau diese Dinge vom Totenbett aus an. Wie hättest du gerne gehandelt? Was würdest du gerne getan haben damals: gewonnen haben, oder dich klein gemacht haben? Gesiegt zu haben, oder vergeben zu haben?“

Jesus sei auf Erden gekommen, um den Menschen von der Angst vor dem Tod zu befreien, doch auch, um ihnen den „zweiten Tod“, wie er in der Offenbarung des Johannes genannt wird, also den endgültigen und unwiderruflichen Tod, vor Augen zu führen. Denn dieser sei kein Durchgang, kein Ostern, sondern eine „fürchterliche Endstation“, die denjenigen drohe, die ihr Leben in Todsünde beenden. Es gelte, dem Tod diesen seinen „Stachel“ zu nehmen, wie es der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther ausdrückt, indem die Sünde aus dem irdischen Leben verbannt wird.

Der Gottessohn habe seinen Tod durch die Eucharistie vorweggenommen, und auch wir könnten dies tun, so Pater Cantalamessa weiter. Denn in der Eucharistie zelebrierten wir auch unseren eigenen Tod, auf die „wahrste, richtigste und erfolgreichste Art“, uns für den Tod bereit zu halten. „In der Eucharistie können wir zum Vater unser „Amen, ja“ aufsteigen lassen, dazu, was uns erwartet, zu der Art des Todes die er für uns erlauben will.“

Geboren, um zu sterben

Zwar seien wir geboren um zu sterben, doch dies sei keineswegs eine Verdammung, sondern vielmehr ein Privileg. „,Christus ist geboren worden, um sterben zu können,‘ sagte der heilige Gregor von Nyssa, also um sein Leben für die Erlösung aller geben zu können. Auch wir haben unser Leben von Gott als Gabe erhalten, um etwas einzigartiges, wertvolles und würdiges zu haben, das wir unsererseits ihm als Gabe und Opfer anbieten können. Welch einen schöneren Gebrauch des Lebens könnte man sich denken, als es aus Liebe dem Schöpfer zu schenken, der es uns auch Liebe gegeben hat?“

Zwar sei damit die Angst vor dem Tod nicht ausgeräumt – die gleiche Angst, die Jesus im Garten von Gethsemane erfahren wollte. Doch seien wir zumindest besser darauf vorbereitet, die tröstliche Botschaft zu erhalten, die aus dem Glauben komme und in der Liturgie für die Verstorbenen ausgerufen werde, schloss der Prediger seine Advents-Betrachtung:  Denn deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet.“

(vatican news)

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04. Dezember 2020, 14:47