Vatikan-Klinikleiterin: Krankheiten neben Corona nicht vergessen
Michele Raviart und Stefanie Stahlhofen – Vatikanstadt
Fünf Krankenhäuser mit Sitz in Rom und Latium gehören inzwischen zum vatikanischen Kinderkrankenhaus „Bambino Gesù“, mehr als 600 Klinikbetten stehen für kleine Patienten aus aller Welt bereit – auch für Kinder mit Corona:
„Tatsächlich haben wir noch viele Kinder in unserem Covid-Zentrum in Palidoro unweit von Rom. Die Pandemie ist absolut noch nicht vorbei. Wir blicken dennoch nach vorne und haben im vergangenen Jahr auch Transplantationen von heiklen Fällen nie unterbrochen. Auch mitten im Lockdown. Manche sagten: ,Wir brauchen eine Transplantation, aber wir sind im Lockdown! Unsere Ärzte antworteten dann: ,Ja, aber die Gesundheit dieses Kindes ist zu wichtig - wir müssen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen alles machen.` Es besteht allerdings das Risiko, wegen Corona alle anderen Krankheiten zu unterschätzen“,
berichtet Klinikleiterin Mariella Enoc, die Papst Franziskus jüngst für drei weitere Jahre im Amt bestätigte, im Gespräch mit Radio Vatikan. Die Chefin des Bambino Gesù betont zugleich, dass natürlich auch Corona, gerade bei Kindern, nicht unterschätzt werden dürfe, selbst wenn der Krankheitsverlauf häufig milder sei als bei Erwachsenen:
„Heute haben wir zwei Kinder wegen Covid auf der Intensivstation, Gott sei Dank scheint es ihnen den Umständen entsprechend gut zu gehen. Aber auch Kinder können schwer getroffen werden. Wahrscheinlich weniger als Erwachsene, aber die Gefahr besteht immer, dass es Kinder trifft, die schon andere Krankheiten haben, oder Kinder, die Transplantationen hinter sich haben – sie sind besonders sensibel, besonders gefährdet.“
Kinder-Covid-Zentrum am Meer
Um Ansteckungen auf anderen Stationen zu vermeiden, wurde daher extra das Covid-Zentrum des Bambino Gesù in Palidoro am Meer eingerichtet – weit weg von der Zentrale des Krankenhauses auf dem Gianicolo-Hügel in Rom. Sorgen bereiten der Ärztin Mariella Enoc jedoch die psychischen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder:
„Bei uns im Krankenhaus sind Selbsttötungsversuche gestiegen – und leider waren einige auch erfolgreich. Auch Ess-Störungen haben in einem Maß zugenommen, wie nie zuvor. In der Neuropsychiatrie haben die Betten nicht gereicht, so viele schwere Fälle hatten wir. Natürlich sind das Krankheiten, die es schon immer gab, aber ihre Zahl steigt stark. Gefühle des Unwohls werden immer stärker. Es gibt auch immer mehr Kinder und Jugendliche, die nicht mehr aus ihren Zimmern raus wollen, oder Jugendliche, die gewalttätig werden und immer mehr Ess-Störungen. Diese Pandemie greift die Psyche der Kinder und Jugendlichen an – so wie sie übrigens auch viele Erwachsene psychisch schwer trifft.“
Sicherer Schulbesuch wichtig
Klinikmanagerin Enoc betont, dass Kinder und Jugendliche gerade jetzt vertrauensvolle Bezugspersonen brauchen und persönlicher Kontakt, sowohl zu Gleichaltrigen als auch Erwachsenen, auch in der Pandemie nicht völlig brachliegen sollte. Damit ist sie übrigens auf einer Linie mit Papst Franziskus, der in seiner Botschaft zum Welttag der Kranken für Empathie, vertrauensvolle Beziehungen sowie Solidarität und Geschwisterlichkeit wirbt. Die Vatikanklinikleiterin Mariella Enoc sieht auch Schulbesuche als wichtig für die psychische Gesundheit und Stabilität von Kindern und Jugendlichen an:
„Das Bambino-Gesù-Krankenhaus hat Untersuchungen vorgenommen, um zu zeigen, dass die Schule – wenn entsprechendene Vorsicht herrscht – ein sicherer Ort ist und es wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche ein Minimum an Kommunikation und Beziehung haben. Ansonsten wächst eine Generation heran, die noch verletzlicher ist, als sie es sowieso schon ist.“
(vatican news - sst)
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