Vatikan: Die Päpstliche Audienzhalle wird 50 Jahre alt
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
„So weihen Wir diesen schönen und großen Saal ein, den Wir vor allem aus zwei Gründen zu bauen wünschten”, erklärte Paul VI. seinen Gästen: „um den Petersdom von dem üblich gewordenen Zustrom der bunten und lebhaften Menge zu befreien, die Unsere Generalaudienzen bevölkert, und um Unseren Besuchern einen geeigneteren Empfangsraum zu bieten.“
Der Papst dankte besonders dem Architekten, den er mit diesem Werk beauftragt hatte. Pier Luigi Nervi war ein großer Name seiner Zeit, und nach ihm heißt sein Werk im Vatikan bis heute: Aula Nervi. Der Baumeister, Norditaliener wie der damalige Papst, hatte in sieben Jahren auf dem etwas beengten Gelände gegenüber der Südflanke des Petersdoms eine Halle entworfen und gebaut, die nicht nur ihren katechetisch-religiösen Zwecken genügt, sondern sich auch einer so gediegenen wie zeitgenössischen Formensprache bediente. Dazu hatte ihn der Papst selbst angehalten, wie Paul VI. seinen Gästen bei der Eröffnung der Audienzhalle verriet.
„Wir erinnern Uns an das Wort, das Wir ihm sagten: Wir sagten es ihm im Petersdom, er war demütig zu einer Audienz gekommen, und Wir trafen ihn im Anschluss und sagten dem Architekten Nervi: Sehen Sie? Sehen Sie es, was unsere großen Vorfahren wagten? Wagen auch Sie! Mut! Machen Sie etwas Schönes!", so der Papst unter dem Applaus der Anwesenden.
„Wagemutig“ sollte er also sein, der Architekt, groß denken sollte er, und ein Werk schaffen, „das nicht belanglos oder banal ist, sondern sich seiner privilegierten Lage und seiner ideellen Bestimmung bewusst ist“.
„Nicht belanglos oder banal"
Tatsächlich sticht Paul VI. unter den Päpsten des 20. Jahrhunderts als derjenige mit dem größten Sinn für die Kunst seiner Zeit hervor – worin er den Päpsten der Renaissance ähnelte, die Sankt Peter in seiner heutigen Form schufen. Eine weitere Parallele zwischen 16. und 20. Jahrhundert: Die vatikanische Audienzhalle wurde teurer als vorgesehen, was geradezu ein Leitmotiv des päpstlichen Bauwesens der Renaissance gewesen war. Neu war freilich, wie offen Paul VI. mit diesem Sachverhalt umging. Bei seiner ersten Audienz in der „Aula Nervi“ sprach er von der „Bürde der Kosten“, mit denen die neue Aula „im Laufe mehrerer Jahre die ohnehin schwierigen Verhältnisse des Heiligen Stuhls belastet“ habe, und von den „Ausgaben, die nicht freiwillig getätigt wurden und die über das hinausgehen, was vorhergesehen war, wie das manchmal vorkommt...“.
Um dem Verdacht entgegenzutreten, seine Bautätigkeit gehe zu Lasten der Armen, teilte der Papst seinen Gästen bei der Gelegenheit mit, er habe ein Gebäude des Heiligen Stuhls im historischen Zentrum von Rom verkauft und werde mit dem Erlös ein „kleines, aber würdiges Stadtviertel“ für Bedürftige bauen, die seinerzeit in Barackensiedlungen am Rande Roms lebten. Außerdem wolle er am Heiligen Stuhl ein neues Büro zur Koordinierung der päpstlichen Nächstenliebe einrichten. Und Papst Paul hielt Wort: Zwei Wochen später gründete er den Päpstlichen Rat „Cor Unum“, und die Siedlung für Arme wurde zwei Jahre später im Stadtteil Acilia eröffnet, der Papst kam am 31. Oktober 1973 zu einem Besuch bei den dort wohnenden Familien vorbei.
Die vatikanische Audienzhalle ist wie viele Bauten Pier Luigi Nervis eine Konstruktion aus Stahlbeton. Das klingt schwer und streng. Doch mit den vielfältig replizierten geschwungenen Formen lässt die Aula ihre solide Statik fast vergessen. Die Decke mit ihren charakteristischen weißen „Rippen“ erinnert an eine Welle, der Boden senkt sich in sanfter Rundung zum Podest hin ab, das für den Gastgeber, den Papst bestimmt ist. Etwas Dialogisches, Wechselseitiges durchzieht diese Architektur. Und keine Säule, kein Pfeiler behindert den Blick. Die Audienzhalle fasst 12.000 Besucher, viele kommen von weit her, um den Papst zu sehen: Da soll die Freude der Begegnung möglichst ungetrübt sein.
Hellsichtig deutete Paul VI. an jenem Junitag 1971 auch das Zeitalter des Massentourismus an, das im Begriff zu entstehen war. „Wir glauben, dass der Papst noch nie so viele Menschen empfangen hat, die ihn sehen, ihm zuhören und seinen Segen empfangen wollen“, sagte Paul VI. und führte das zurück auf „die Leichtigkeit der modernen Verkehrsmittel, auf die geläufig gewordene Gewohnheit zu reisen, auf die Entwicklung von Pilgerfahrten und Tourismus“. Genau dafür wollte der Papst den Vatikan und seine eigenen Nachfolger mit der neuen Audienzhalle gewappnet wissen. In jeder Hinsicht war diese „Aula Nervi“ also für die Zukunft gebaut. Dass die Halle südlich vom Petersdom dabei einen zutiefst religiösen Auftrag hat, formulierte der Papst am Ende seiner ersten Audienz an diesem Ort so:
„Möge der Saal, den wir für Sie öffnen, ein geistiger Ansporn sein, die Kirche und ihr transzendentes Geheimnis besser kennen und schätzen zu lernen.“
(vatican news – gs)
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