Graf von Galen: Der Bischof, der seine Stimme gegen Hitler erhob
Von Stefania Falasca und Susanne Siegl-Mocavini
1942 veröffentlichte die „New York Times" mitten im Krieg eine Artikelserie über Kirchenmänner, die sich Hitler entgegenstellten. Am 8. Juni jenes Jahres eröffnete die amerikanische Tageszeitung die mit „Churchmen who defy Hitler" überschriebene Serie mit einem Artikel über den deutschen Bischof von Münster, Clemens August von Galen, der vorgestellt wurde als „der hartnäckigste Gegner der antichristlichen nationalsozialistischen Agenda".
Von Galens erster Biograph, der Priester Heinrich Portmann, hatte auf eine Koinzidenz hingewiesen: „Galen hat als Bischof ebenso lang regiert wie Hitler. Er wurde neun Monate nach Hitlers Machtergreifung zum Bischof geweiht und starb circa neun Monate nach dem Tod des Führers." Jedenfalls steht sicher fest, dass die Stahlhelme mit dem Hakenkreuz des Dritten Reiches, die der feierlichen Zeremonie seiner Amtseinführung beiwohnten, nachdem Pius XI. Clemens August am 5. September 1933 zum Nachfolger auf dem Stuhl des heiligen Liudger in Münster ernannt hatte, keine Ahnung hatten, wie viele Schwierigkeiten ihnen dieser westfälische Bischof aristokratischer Herkunft und mit tief verwurzelten patriotischen Gefühlen noch machen sollte.
Die berühmten Predigten
Von Galen war der erste im Dritten Reich gewählte Bischof. Der Erste nach dem am 20. Juli 1933 mit dem Heiligen Stuhl unterzeichneten Reichskonkordat, und er war einer der ersten deutschen Bischöfe, der nicht nur die Lügen der Propaganda des Regimes und die Gefahr der nationalsozialistischen Ideologie durchschauen und mit extremer Klarheit und Entschlossenheit entlarven sollte, sondern der auch die Verbrechen und die Barbarei der Nazis scharf und öffentlich anprangern sollte.
In seinen berühmten, im Sommer vor achtzig Jahren gehaltenen Predigten prangerte er öffentlich auch das irrsinnige Nazi-Projekt der „Aktion T 4" an, das die „Vernichtung lebensunwerten Lebens" zum Ziel hatte. „Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht soll uns bewegen", hatte er 1933 den von ihm gewählten bischöflichen Wappenspruch erklärt: Nec laudibus nec timore. Und bereits im Jahr 1934, als Alfred Rosenberg – der Hauptideologe des Nationalsozialismus, der zum „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP" ernannt worden war – seinen Mythus des 20. Jahrhunderts massiv in Umlauf bringen lässt, verurteilt von Galen in seinem ersten Hirtenbrief an seine Diözese zu Ostern 1934 die neuheidnische Weltanschauung des Nationalsozialismus und hebt den religiösen Charakter dieser Ideologie hervor: Eine ruchlose neue totalitäre Doktrin, „welche die Fundamente der Religion selbst und die heiligsten Geheimnisse der Offenbarung leugnet oder fälscht. Offensichtlich wird dadurch die Rasse über die Sittlichkeit gestellt, das Blut über das Gesetz… Eine Täuschung der Hölle ist im Gange… Manchmal verbirgt sich freilich dieses neue Heidentum sogar unter christlichen Namen".
Von der Kanzel der Lambertikirche aus
Aber es ist den im Sommer 1941 gehaltenen Predigten zu verdanken, dass der Bischof in aller Welt bekannt wurde und sich im Feld den Beinamen „Löwe von Münster" erkämpfte. Er hielt die erste dieser Predigten am 13. Juli, als der Bischof, der von der Beschlagnahmung der Niederlassungen der Jesuiten in der Königstraße erfahren hatte, beschloss, öffentlich einzugreifen und vor aller Welt die üblen Absichten der Gestapo zu entlarven. Von der Kanzel der Lambertikirche aus klagte er sie an, für alle Verletzungen der grundlegendsten sozialen Gerechtigkeit verantwortlich zu sein: „Das Verhalten der Gestapo fügt weiten Teilen der deutschen Bevölkerung schweren Schaden zu. Und darum erhebe ich im Namen des rechtschaffenen deutschen Volkes, im Namen der Majestät der Gerechtigkeit und im Interesse des Friedens und der Geschlossenheit der inneren Front meine Stimme, darum rufe ich laut als deutscher Mann, als ehrenhafter Staatsbürger, als Vertreter der christlichen Religion, als katholischer Bischof: ,Wir fordern Gerechtigkeit!`"
Die Wirkung dieser ersten Predigt war durchschlagend. Und bei der zweiten Predigt am 20. Juli war die Kirche brechend voll. Die Menschen waren selbst von weither gekommen, um ihn zu hören. Von Galen öffnete ihnen von Neuem die Augen über den Irrsinn des von den Machthabern verfolgten Projekts, das das Land ins Elend und in den Ruin treiben werde, und donnerte erneut „gegen das himmelschreiende Unrecht, das unsere Ordensmänner und unsere lieben Schwestern wie Wild jagt… das unschuldige Männer und Frauen verfolgt".
Aber die dritte Predigt vom 3. August, die sich mit dem 5. Gebot auseinandersetzt, wird vom nationalsozialistischen Propagandaminister dann aufgrund der Virulenz ihrer Worte als „der heftigste Frontalangriff, der in all den Jahren seiner Existenz je gegen den Nationalsozialismus geführt worden ist", eingestuft. Der Bischof hatte unmittelbare Kenntnis von dem Plan erhalten, behinderte Kinder und alte Menschen sowie Geisteskranke in westfälischen Heimen umzubringen. Der Plan war geheim gehalten worden, und nur wer die Zeit der Nazi-Diktatur miterlebt hat, kann die Bedeutung der Worte ermessen, die der Bischof auszusprechen wagte: „Jetzt werden hilflose Unschuldige ermordet, barbarisch ermordet; ebenso werden auch Menschen anderer Rasse, anderer Herkunft getötet. Wir haben es mit mörderischem Wahnsinn zu tun, der seinesgleichen sucht… Mit solchen Leuten, mit diesen Mördern, die stolz unser Leben mit Füßen treten, kann ich keine Volksgemeinschaft mehr haben!" Und er bediente sich der Worte des Apostels Paulus, um die nationalsozialistische Obrigkeit zu beschreiben: „Ihr Gott ist der Bauch" (Phil 3,19).
Predigten wie Flugblätter abgeworfen
Die Predigten fanden enorme Verbreitung, ja sie wurden gar von der englischen Royal Air Force vom Himmel über Berlin aus abgeworfen. Außer sich vor Hass schwor Hitler, dass er „es ihm bis auf den letzten Pfennig heimzahlen" werde. Der Reichsjugendführer der NSDAP [Baldur von Schirach] schrieb: „Ich nenne das Schwein C. A., also Clemens August." Hitler wusste allerdings, dass seine Eliminierung auch bedeutet haben würde, ihn zum Märtyrer zu machen und einen Großteil der Bevölkerung zu verlieren; er beschloss daher, erst nach Kriegsende mit ihm abzurechnen. An der Vorgehensweise des „Löwen von Münster" war auch Pius XII. direkt interessiert: „Die drei Predigten des Bischofs von Galen bereiten auch Uns einen Trost und eine Genugtuung, wie Wir sie auf dem Leidensweg, den Wir mit den Katholiken Deutschlands gehen, schon lange nicht mehr empfunden haben. Der Bischof hat den Augenblick für sein mutvolles Hervortreten günstig gewählt."
Unterstützung von Papst Pius XII.
Mit diesen Worten, die wie eine Bezeugung der Dankbarkeit, der vollen Zustimmung und Billigung der Absichten und Proteste klingen, kommentierte Pius XII. in einem Brief vom 30. September 1941 an den Bischof von Berlin, Konrad von Preysing, den Frontalangriff auf Hitlers Regime von der Kanzel des Doms zu Münster im Sommer des Jahres 1941 und schloss seinen Brief mit der Bekundung seiner vollen Unterstützung: „Dass aber die Bischöfe, die mit solchem Mut und dabei in so untadeliger Form wie Bischof von Galen für die Sache Gottes und der hl. Kirche eintreten, an Uns immer Rückhalt finden werden, das brauchen Wir dir und deinen Mitbrüdern nicht eigens zu versichern."
Die Briefe, die Pius XII. zwischen 1940 und 1946 an den Bischof von Münster schickt, betonen mehrfach die Nähe ihrer Standpunkte und seine Wertschätzung für das Wirken des deutschen Bischofs. Im Übrigen ist gerade auch der Kardinalspurpur, den ihm der Pacelli-Papst am 21. Februar 1946 in einer Entscheidung ad personam verlieh, ein Zeichen gegenseitigen Einverständnisses.
Seligsprechung 2005 unter Papst Benedikt XVI.
Der Briefwechsel, den ich 2006 erstmals vollständig und in italienischer Übersetzung bei den Edizioni San Paolo habe veröffentlichen können, bestätigt also eine ständige Verbindung zwischen dem Pacelli-Papst und jenem Mann, der von seinen Zeitgenossen als Symbol des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in jenem Deutschland betrachtet wurde, das sich nicht hatte gleichschalten lassen. Von Galen trat in einer unmenschlichen Zeit als Anwalt der göttlichen Rechte und der Menschenwürde auf und wurde für Menschen aller Konfessionen und Rassen zur Bezugspunkt im Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung. An seinem Todestag äußerte der nationale Vorsitzende der jüdischen Gemeinschaft sofort den Wunsch, an seinem Grab das Kaddisch zu beten. Diese Briefe sind für alle zu „den Meilensteinen eines neuen Deutschland" geworden. Von Galen wurde unter dem Pontifikat Papst Benedikts XVI. am 9. Oktober 2005 Im Petersdom seliggesprochen. Nun warten wir darauf, dass ihn ein weiteres durch seine Fürsprache erfolgtes Wunder zur Ehre der Altäre der Weltkirche bringen möge.
(or)
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