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Kardinal Kurt Koch Kardinal Kurt Koch 

Koch: Benedikt XVI. stellte Christus in den Mittelpunkt

Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch (72) wurde von Benedikt XVI. nach Rom gerufen und stand seinem ehemaligen Lehrer immer sehr nahe. Gegenüber Radio Vatikan würdigt er ihn als „tief demütigen Menschen, einen tiefgläubigen Christen, einen weisen Bischof und einem hochintelligenten Theologen“.

„Ich glaube, wir sollten zunächst auf den verstorbenen Papst selber hören“, sagte Koch an diesem Samstag wenige Stunden nach Benedikts Tod gegenüber Radio Vatikan.

„In seinen letzten Gesprächen mit Peter Seewald hat er einmal gesagt, ihm sei bewusst gewesen, dass sein Pontifikat nicht lange dauern würde und dass es deshalb nicht keine Gelegenheit für große Projekte sei. Er habe seine Aufgabe vor allem darin gesehen, den Glauben zu vertiefen. In einer Situation, in der die Kirche eine Krise des Glaubens durchmacht, sei es notwendig, den Glauben zu verkünden, den Glauben zu vertiefen. Den Glauben an Gott: nicht an irgendeinen Gott, sondern an jenen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart und sein wahres Gesicht gezeigt hat.

„Zentralität der Gottesfrage“

Deshalb hat er sich auch in seinem Pontifikat die Zeit und die Energie abgerungen, um sein Buch über Jesus Christus zu schreiben. Mir scheint, diese Zentralität der Gottesfrage, die Christozentrik, scheint das große Erbe, das Papst Benedikt uns hinterlässt.

Ich habe viele gute Erinnerungen. Jede Begegnung mit Papst Benedikt und auch mit dem emeritierten Papst waren wunderschöne Erlebnisse und Erfahrungen. Was mich am meisten berührt hat, ist, dass ich einem tief demütigen Menschen, einem tiefgläubigen Christen, einem weisen Bischof und einem hochintelligenten Theologen in dieser Kombination begegnen durfte. Das hat mich immer berührt…“

Hören Sie hier das Statement von Kardinal Kurt Koch zum Tod des emeritierten Papstes gegenüber Radio Vatiksn
Gedenken an Benedikt XVI. in seiner Taufkirche in Marktl am Inn
Gedenken an Benedikt XVI. in seiner Taufkirche in Marktl am Inn

Interview

Im Gespräch von Kardinal Koch mit der Schweizer Agentur kath.ch, das wir hier ebenfalls wiedergeben, geht es um Benedikts Vermächtnis, Hans Küng – und warum er Joseph Ratzinger nicht als „Panzerkardinal“ kennenlernte, sondern als sensiblen, demütigen und bescheidenen Mann.

Eminenz, wie geht es Ihnen? 

Kardinal Kurt Koch*: Der Tod des emeritierten Papstes macht mich betroffen. Im Großen und Ganzen geht es mir aber gut – mit all den Schwierigkeiten, die wir heute in der Kirche haben. Aber ich bin voller Hoffnung, dass Gott mit seiner Kirche einen Weg in die Zukunft finden wird. 

Ist für Benedikt XVI. der Tod eine Erlösung?

Koch: Ja. Er hat schon lange gesundheitlich sehr gelitten. Seine Stimme ist immer schwächer geworden. Er hat eigentlich schon lange damit gerechnet, dass er heimgehen könnte zu seinem himmlischen Vater. Zuletzt hatte er Atembeschwerden. Dass er jetzt in die Ewigkeit gehen konnte, ist sicher für ihn eine Erlösung. 

Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen? 

Koch: Im September, um das Programm des Symposiums der Benedikt-Schülerkreise vorzustellen. Er hat sich gefreut, dass wir dieses Symposium weiterführen und hat seine Grüße mitgegeben.

Wann haben Sie als junger Theologie-Student zum ersten Mal vom Theologen Joseph Ratzinger gehört?

Koch: Ich habe relativ früh sein Buch „Einführung in das Christentum“ mit großer Begeisterung gelesen.

„Gott selbst ist der Logos, der sich in Jesus Christus offenbart hat.“

Welcher Gedanke ist Ihnen hierzu in Erinnerung geblieben?

Koch: Es geht darum, den Glauben in die heutige Welt hinein zu verkünden. Deshalb brauchen wir die Verbindung von Glauben und Vernunft. Und zwar aus der Begründung heraus, dass Gott selbst der Logos ist, der sich in Jesus Christus offenbart hat, und dass deshalb die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens bedeutet, dass Gott die Liebe ist und sich zu uns Menschen hinwendet. 

Seit wann sind Sie ein Benedikt-Schüler?

Koch: Ich habe eigentlich immer gelesen, was er geschrieben hat, und habe das verfolgt. Als ich 1995 Bischof von Basel wurde, hatte ich dann eine engere Beziehung zu ihm. Und erst recht, als er mich 2010 nach Rom berufen hat.

Waren Sie 1988 in Luzern, als Joseph Ratzinger das Requiem für Hans Urs von Balthasar gefeiert hat?

Koch: Ja, ich habe die Heilige Messe mitgefeiert. Aber da war keine persönliche Begegnung möglich, da waren ja viele Leute da.

Wie schätzen Sie die intellektuelle Freundschaft zwischen Joseph Ratzinger und Hans Urs von Balthasar ein?

Koch: Sie haben sich sehr geschätzt. Es gibt viele Parallelen in der Theologie von Joseph Ratzinger und Hans Urs von Balthasar.

Können Sie sich an Ihre erste intensive Begegnung mit Joseph Ratzinger erinnern?

Koch: Das war 1995, als ich Bischof von Basel wurde. Weil mir der damalige Nuntius Rauber gesagt hat, dass man mich in Rom zu wenig kenne, habe ich vorgeschlagen, nach Rom zu gehen, um einander besser kennen zu lernen. Kardinal Gantin, der Leiter der Bischofskongregation, wollte zunächst nicht mit der Begründung, er wolle nicht den Eindruck erwecken, ich sei nach Rom zitiert worden. Schließlich ist es dann zu einer Begegnung mit Kardinal Gantin und Kardinal Ratzinger gekommen.

Wie war die Begegnung?

Koch: Sehr freundlich. Es ging den Kardinälen darum, einander kennenzulernen und einander zu verstehen, sich auszutauschen. Sie haben mich gefragt, was mir das Bischofsamt bedeutet und welche Akzente ich setzen möchte.

Sie standen damals im Ruf, ein liberaler Theologe zu sein. Hat Ratzinger die Erwartung formuliert, dass Sie sich als Bischof anders zu verhalten haben?

Koch: Für mich selbst war klar, dass die Aufgabe eines Bischofs nicht die eines Theologie-Professors ist.

Früher hat sich Joseph Ratzinger für verheiratete Priester ausgesprochen, für die „Viri probati“. Warum ist daraus später nichts geworden?

Koch: Meines Wissens hat er damals als Theologe über neue Formen analog zu den Arbeiterpriestern nachgedacht, also Priestern, die zugleich einen anderen Beruf ausüben. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass Joseph Ratzinger sich in wesentlichen Fragen geändert habe. Ich sehe in der Theologie Benedikts eine große Kontinuität. Natürlich gibt es Entwicklungen, aber vor allem andere Aufgaben. Als Theologieprofessor hat man eine andere Sendung denn als Präfekt der Glaubenskongregation.

Hatten Sie als Bischof von Basel Mühe mit so mancher Entscheidung von Joseph Ratzinger, etwa dem Nein zu einer eucharistischen Gastfreundschaft in der Ökumene?

Koch: Nein, denn wir haben immer wieder Gespräche geführt oder die strittigen Fragen auch besprochen. Der Austausch war immer herzlich, Kontroversen gab es nicht.

„Benedikt war ein sensibler, demütiger Mensch, ein tiefgläubiger Christ und ein weiser Bischof.“

Hat sich Joseph Ratzinger Ihnen gegenüber nie als „Panzerkardinal“ gezeigt?

Koch: So haben ihn manche Medien genannt, was ich für Unsinn halte. Wer Benedikt kennengelernt hat, weiß, dass er ein sensibler, demütiger Mensch gewesen ist, ein tiefgläubiger Christ und ein weiser Bischof. Der Begriff „Panzerkardinal“ ist völlig daneben.

Warum hat Sie Benedikt XVI. 2010 zum Ökumene-Minister gemacht?

Koch: Ich habe einen Brief bekommen, wonach mich der Papst sprechen möchte. Dabei hat er mich gebeten, die Aufgabe des Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen zu übernehmen. Nachdem ich zunächst gezögert hatte und sagte, dass es nicht leicht sei, nach 15 Jahren eine Diözese zu verlassen, sagte er: Das verstehe er, doch auf der anderen Seite seien 15 Jahr auch genug. Und als weitere Begründung fügte er hinzu, dass er nach Kardinal Kasper wieder einen Bischof haben möchte, der die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und Gemeinschaften nicht einfach aus Büchern, sondern aus eigener Erfahrung kenne. Dies hat mir gezeigt, dass Papst Benedikt die ganze Ökumene am Herzen gelegen hat. Also nicht nur die Ökumene mit den orientalischen und orthodoxen Christen, sondern auch mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und Gemeinschaften.

„Eigentlich war jede Begegnung mit Papst Benedikt XVI. ein Highlight.“

An welches Highlight mit Benedikt erinnern Sie sich gerne zurück?

Koch: Eigentlich war jede Begegnung mit Papst Benedikt XVI. ein Highlight. Zu den Highlights gehören gewiss auch die Reisen, auf denen ich ihn begleiten durfte, etwa nach Deutschland, England und in den Libanon. Er hat mich stets eingeladen, wenn eine Reise eine ökumenische Dimension hatte. So verhält es sich heute bei Papst Franziskus.

Was haben Sie von Benedikt gelernt?

Koch: Gelernt habe ich vor allem, dass Papst Benedikt nie sich selbst in den Vordergrund stellen wollte. Es ging ihm nicht um seine Person, sondern um den Auftrag, der ihm übertragen wurde. Das ist auch der entscheidende Grund, weshalb er den Amtsverzicht vollzogen hat. Er hatte ihn ja auch in einem Interview mit Peter Seewald angedeutet: Wenn ein Papst nicht mehr die Kraft hat, das Amt auszuüben, müsse er die Demut haben, auf dieses Amt zu verzichten. Ich sehe im Rücktritt die letzte Konsequenz einer Grundhaltung, die sich im ganzen Leben von Papst Benedikt sehe: Demut und Bescheidenheit.

„Papst Benedikts Rücktritt hat viele überrascht.“

Wie historisch ist sein Rücktritt?

Koch: Papst Benedikt war sehr tief in der Tradition der Kirche verwurzelt, er hat sie gut gekannt und theologisch reflektiert. Von daher hat es viele überrascht, dass ausgerechnet er diesen historisch zu nennenden Schritt vollzogen hat.

Ist Benedikt zurückgetreten, weil er nicht wie sein Vorgänger Johannes Paul II. enden wollte?

Koch: Papst Benedikt XVI. hat Papst Johannes Paul II. sehr verehrt. Er hat seine Entscheidung, bis zum Tod im Amt zu bleiben, respektiert. Aber er hat wohl für sich entschieden: Das ist nicht mein Weg. Die beiden Päpste waren sehr verschiedene Charaktere, auch wenn sie theologisch und kirchlich einander sehr verbunden gewesen sind. 

„Mich hat sehr berührt: Er hat alle Texte auswendig im Kopf gehabt.“

Welche Seite an Benedikt hat Sie noch beeindruckt?

Koch: Er hatte eine intensive Kenntnis der Materie, bevor er geurteilt hat. Als in der Schweiz erneut die Frage des Schwangerschaftsabbruchs zur politischen Abstimmung anstand, haben einzelne Katholiken ihre Sorgen nach Rom geschrieben, dass die Bischöfe nicht den richtigen Weg wählen. Kardinal Ratzinger hat dann das Präsidium der Bischofskonferenz zu einem Gespräch nach Rom eingeladen, das in guter Atmosphäre stattgefunden hat. Mich hat dabei sehr berührt: Wir Bischöfe sind mit vielen Dokumenten zu ihm gekommen; er jedoch hat alle diesbezüglichen Texte auswendig im Kopf gehabt und sehr verständnisvoll und differenziert geurteilt: „Versuchen Sie in dieser schwierigen Situation das Beste zu machen, was dem Leben des Ungeborenen dient. Was genau der richtige Weg ist, dies wissen Sie besser.“

Joseph Ratzinger hatte mit den Piusbrüdern in Econe zu kämpfen. War das Thema Ihrer Gespräche?

Koch: Benedikt XVI. kannte die Kirchengeschichte bestens und hat festgestellt, dass es nach einem Konzil immer schwierige Epochen mit Spaltungen gegeben hat. Das war schon nach dem Konzil von Chalcedon so. Er war der Überzeugung, dass damals die Kirchenleitung nicht alles unternommen hat, um Spaltungen zu verhindern. Deshalb wollte er alles unternehmen, um die Spaltung nach dem II. Vatikanischen Konzil zu heilen.

Haben Sie sich über Hans Küng unterhalten?

Koch: Wir haben vereinzelt über Hans Küng gesprochen. Ich habe dabei festgestellt, dass er bei allen theologischen Differenzen zwischen dem Menschen Hans Küng und dem Theologen klar unterschieden hat. Selbst als Papst gab es ja auch noch einen Briefwechsel zwischen beiden.

2009 tobte die Williamson-Affäre. Papst Benedikt hatte die Exkommunikation eines Holocaust-Leugners zurückgenommen. Sie sind auch für den Dialog für das Judentum zuständig. Wie stark hat das Ihre Arbeit belastet? Der Schweizer Jesuit Christian Rutishauser hat Benedikt XVI. zuletzt 2018 scharf kritisiert.

Koch: Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn Papst Benedikt XVI. über die Holocaustleugnung informiert gewesen wäre, hätte er die Aufhebung der Exkommunikation gewiss nicht vollzogen. Benedikt hat dann anschließend in einem umfangreichen Brief an die Bischöfe dazu Stellung genommen. Auf die Kontroverse mit Pater Rutishauser zurückzukommen, ist hier nicht der Ort.

„In der Zentralität der Gottesfrage und der Christozentrik sehe ich sein Vermächtnis.“

Welches Vermächtnis hinterlässt Papst Benedikt der Weltkirche? 

Koch: Wir sollten ernstnehmen, was er selbst mit seinem Pontifikat gewollt hat. Benedikt hat gesagt, es sei ihm klar gewesen, dass er kein langes Pontifikat haben werde. Da könne man keine großen Projekte in Angriff nehmen. Er hat seine Aufgabe darin gesehen, in der Kirche, die sich in einer tiefen Krise des Glaubens befindet, den Glauben zu stärken. Er wollte die Gottesfrage in den Mittelpunkt stellen und den Menschen neu ans Herz legen, dass dieser Gott nicht einfach ein höchstes Wesen ist, sondern dass er in Jesus Christus sich offenbart, sein wahres Gesicht gezeigt hat. Deshalb hat er seine Verkündigung auf die Person Jesus Christus konzentriert. Dies ist auch der Grund gewesen, dass er während seines Pontifikats sich die Zeit und Energie abgerungen hat, um ein Buch über Jesus Christus zu schreiben. In der Zentralität der Gottesfrage und der Christozentrik sehe ich sein Vermächtnis.

Welche Botschaft von Benedikt sollten junge Menschen über Jesus wissen?

Koch: Du bist nicht ein zufälliges Produkt irgendeiner unheimlichen Macht in der Welt, sondern du bist gewollt und du wirst von Gott geliebt. Und deshalb zeigt dir der christliche Glaube den Weg, wie man leben und sterben kann. Ich glaube, das ist die elementarste der Botschaften, die Benedikt sagen wollte. 

Benedikt war sehr musikalisch. Er sprach davon, in mozartlicher Umgebung geboren worden zu sein, in Bayern – unweit von Salzburg. Haben Sie mit ihm auch mal zusammen Musik gehört?

Koch: Ich habe gewusst, dass er die Musik sehr liebt und auch Klavier gespielt hat. Aber zusammen haben wir nie Musik gehört.

Die Fragen stellte Kath.ch-Redaktionsleiter Raphael Rauch.

* Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch (72) ist Präsident des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen. 2010 wurde er vom damaligen Papst Benedikt XVI. auf diesen Posten berufen. Koch ist Mitglied des Neuen Schülerkreises Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. e.V. 

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31. Dezember 2022, 17:30