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Lombardi mit dem verstorbenen Papst Benedikt - Archivfoto Lombardi mit dem verstorbenen Papst Benedikt - Archivfoto 

„Es schmerzte ihn, dass man ihn für einen Lügner hielt“

Der frühere Pressesprecher von Benedikt XVI., Jesuitenpater Federico Lombardi, würdigt den Verstorbenen als Mann des Glaubens. Das Problem der Missbrauchsskandale sei der deutsche Papst beherzt angegangen: „Das ist für mich ein historisches Verdienst“. Lombardi ist derzeit Präsident des Verwaltungsrats der Vatikanstiftung Joseph Ratzinger-Benedikt XVI.

In unserem auf Deutsch geführten Interview von diesem Dienstag erklärte Lombardi, es habe nur einmal in all den Jahren einen Moment gegeben, „in dem ich mir gedacht habe ‚Das ist vielleicht zu viel‘“ – und zwar, als der emeritierte Papst im Frühjahr 2022 nach dem Münchner Missbrauchs-Gutachten mit einem Brief auf Vorwürfe gegen ihn geantwortet habe.

Lombardi wörtlich: „Ich bin mir so sicher, dass er ein wahrhaftiger Mann war, dass ich dachte ‚Nein, das ist zu viel‘. Ich habe nie einen Zweifel daran gehabt, dass er die Wahrheit sagte. Ich glaube, dass es für ihn der größte Schmerz in dieser Situation war, dass die Leute sagten ‚Er ist ein Lügner‘. Das war für ihn wirklicher Schmerz.“

Der Jesuit, der den emeritierten Papst noch Anfang Dezember besucht hat, glaubt, dass Benedikt auf seinen Tod „sehr gut vorbereitet war... Ich glaube, seine Zeit war gekommen“. Besonders beeindruckt sei er, Lombardi, vor allem von Benedikts tiefer Christus-Verehrung gewesen. Die große Stärke des Verstorbenen sei „die positive Erklärung und Präsentation des christlichen Glaubens für unsere Zeit" gewesen - das werde von ihm bleiben.

Der Leichnam des verstorbenen Papstes ist in St. Peter aufgebahrt
Der Leichnam des verstorbenen Papstes ist in St. Peter aufgebahrt
Der frühere Pressesprecher des Papstes, Jesuitenpater Lombardi, erinnert sich an den verstorbenen Benedikt XVI. - ein Interview von Radio Vatikan

Interview

Pater Lombardi, als Sie die Nachricht vom Tod Benedikts XVI.‘ bekommen haben – was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?

Lombardi: „Na ja, ich war sehr vorbereitet – und ich glaube, dass er ebenfalls sehr gut vorbereitet war. Er hat zehn Jahre lang gebetet, und er hatte uns schon vor zehn Jahren gesagt: Ich mache jetzt die letzte Etappe meines Lebens, und ich werde mich im Gebet auf die Begegnung mit Gott vorbereiten. Besonders im letzten Brief, den er nach den letzten Diskussionen in Deutschland geschrieben hat, sagt er klar: ‚Ich stehe jetzt kurze Zeit vor der Begegnung mit meinem Richter, aber mein Richter ist auch mein ‚Paraklet‘, der, der mich hütet, der mich liebt und der mir sagt ‚Fürchte dich nicht‘, und in diesem Sinne werde ich die Schwelle des Todes mit Vertrauen überqueren‘. Ich glaube, seine Zeit war gekommen…“

„Er war bis zum Schluss absolut, total luzide“

Sie haben ihn gut gekannt, und Sie waren einer der letzten, die bei ihm waren. Wie luzide war er noch am Ende? Wie ansprechbar?

Lombardi: „Er war absolut, total luzide. Total. Er verstand alles. Er hatte ein wunderbares Gedächtnis; ich konnte Fragen stellen über theologische Diskussionen vor Jahrzehnten. Bei den Gesprächen mit den Trägern des Ratzinger-Preises war er immer sehr präzise, stellte Fragen und verstand alles, was ihm gesagt wurde. Lächelnd, immer sehr interessiert, sehr neugierig, was die anderen sagten. Das wirkliche Problem war, dass er nicht mehr klar sprechen konnte, weil er nicht atmen und nicht artikulieren konnte. Man musste sehr, sehr erfahren sein – wie Gänswein –, um seine Worte zu interpretieren; die anderen konnten nicht verstehen, was er sagte, aber er wollte im Dialog sein, und er stellte auch Fragen, die sehr interessant waren. Das war eine große Gabe für ihn, bis zum Ende so total klar zu bleiben, und auch mit seinem Gedächtnis...“

Pater Lombardi (2. von links) Anfang Dezember zu Besuch bei Benedikt
Pater Lombardi (2. von links) Anfang Dezember zu Besuch bei Benedikt

„Er ist für mich persönlich ein großer Zeuge des Glaubens, und auch eine Stütze für die Kirche“

Was wird bleiben von diesem Papst? Viele nannten ihn „Professor Papst“, den „Theologenpapst“, den „Kirchenlehrer“, aber sein Pontifikat war auch von Skandalen und Widerspruch bestimmt. Was bleibt von Joseph Ratzinger?

Lombardi: „Ich glaube, vor allem wird sein Glaube bleiben. Er ist für mich persönlich ein großer Zeuge des Glaubens, und auch eine Stütze für die Kirche: Das war sein Dienst. Und er sagte immer (und das war aus meiner Sicht sehr wichtig): Die wirkliche Priorität für einen Papst heute ist, die Leute zu Gott zu führen, in einer Kultur, in der es scheint, dass Gott verschwindet. Und sie nicht zu irgendeinem Gott zu führen, sondern zum Gott Jesu Christi. Darum auch sein Werk über Jesus Christus. Seine persönliche Verehrung Christi war wirklich tief und beeindruckend. Das war für mich das Erste, das Fundamentale.

Und dann konnte er, der so klug war, so kultiviert usw., seinen Glauben auch wunderbar artikulieren. In diesem Sinne ist er sicher ein Theologenpapst, ein Papst des Lehramtes: Er konnte den christlichen Glauben für unsere Zeit und für die Fragen unserer Kultur gut artikulieren. Ihm selbst war klar: Wenn er eine Stärke hatte, dann war das die positive Erklärung und Präsentation des christlichen Glaubens für unsere Zeit. Das hat er gemacht, und das bleibt, glaube ich, für eine lange Zeit. Auch die „Opera Omnia“ werden bleiben – das ist nicht etwas, das vorübergehend gelesen und dann vergessen wird.

Benedikt XVI. bei einem Besuch in Kuba
Benedikt XVI. bei einem Besuch in Kuba

Natürlich war er nicht nur ein Papst des Lehramtes; für mich, und in meiner persönlichen Erfahrung, war er auch ein Papst, der große, große Schmerzen wegen der Missbrauchsskandale gelitten hat, und ich glaube, dass er einen guten Weg für die Kirche aufgezeigt hat in dieser Krise, weil er alle Aspekte der Krise kannte. Das Hören auf die Opfer, das er persönlich mehrere Male erfahren hatte. Und dann natürlich die Gerechtigkeit durch neue Normen, neue Gesetze in der Kirche. Und dann alles, was bessere Ausbildung, Auswahl von Priesteramtskandidaten, Prävention usw. betrifft. Sein ‚Brief an die Katholiken in Irland‘ bleibt das Dokument, das eine Synthese dieser Perspektive gibt und den guten Weg auch für seinen Nachfolger anzeigt… Das hat er gemacht; das ist für mich ein historisches Verdienst.

„Sein Rücktritt war wirklich kohärent mit seiner Persönlichkeit“

Dann gibt es natürlich noch ein weiteres, was bleiben wird: sein Rücktritt. Das war wirklich sehr kohärent mit seiner Persönlichkeit, denn das war in der praktischen Entscheidung die Synthese zwischen Spiritualität und Rationalität. Er hatte lange gebetet, lange vor Gott dieses Problem meditiert und in seiner Verantwortung für die Kirche tief reflektiert, aber er hat sehr, sehr rationell und vernünftig gesehen, was die Situation war und wie es um seine Kräfte stand in Beziehung zu seiner Verantwortung…

Ich glaube, das ist vielleicht kein Zufall, dass er der erste ist, der zurückgetreten ist, denn er war ein Papst der Spiritualität und des Glaubens und auch der Vernunft.“

Gab es in Ihrer Zeit als sein Pressesprecher einen Moment, wo Sie an ihm verzweifelt sind und gesagt haben: Auch das noch, musste das sein?

„Stark im Glauben - und geduldig in seiner Spiritualität“

Lombardi: „Nein. Ich glaube, dass er so stark im Glauben war und auch so geduldig in seiner Spiritualität. Er wusste sehr wohl, dass auch der Dienst des Papstes nicht leicht ist; es gibt keine Zeit in der Geschichte der Menschheit und der Kirche, die leicht ist…

Nun gut – wenn es einen Moment gab, in dem ich mir gedacht habe ‚Das ist vielleicht zu viel‘, dann war das im letzten Jahr sein Versuch, auf die Diskussion über die Missbräuche und die neue Kritik aus Deutschland zu antworten. Ich bin mir so sicher, dass er ein wahrhaftiger Mann war, dass ich dachte ‚Nein, das ist zu viel‘. Ich habe nie einen Zweifel daran gehabt, dass er die Wahrheit sagte. Ich glaube, dass es für ihn der größte Schmerz in dieser Situation war, dass die Leute sagten ‚Er ist ein Lügner‘. Das war für ihn wirklicher Schmerz.“

(vatican news – sk)
 

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03. Januar 2023, 12:31