Vatikanerklärung: Christen haben sich „an den indigenen Völkern vergangen“
Zwei Dikasterien haben die Erklärung erarbeitet und veröffentlicht: die Behörden für Kultur und Bildung sowie die Behörde für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Das Papier folgt auf die Reise von Papst Franziskus nach Kanada, bei der der historische Umgang der katholischen Kirche mit Indigenen eine Art „roten Faden“ darstellte.
In den letzten Jahren habe sich der Kontakt der Kirche mit Indigenen deutlich intensiviert, heißt es denn auch in der gemeinsamen Note. Dank ihrer Hilfe habe „die Kirche ein größeres Bewusstsein für deren früheres und heutiges Leid erlangt, das auf die Enteignung ihrer Ländereien ... und auf die von den damaligen Regierungsbehörden geförderte Politik der Zwangsassimilierung zurückzuführen ist, die darauf abzielte, ihre Kulturen zu vernichten“, so die „Gemeinsame Note zur Doktrin der Entdeckung“, die am 30. März 2023 veröffentlicht wurde.
In dem Dokument wird klargestellt, dass die so genannte „Doktrin der Entdeckung“ „nicht Teil der Lehre der katholischen Kirche ist“ und dass die päpstlichen Bullen aus der frühen Neuzeit, mit denen den Kolonialherrschern Zugeständnisse gemacht wurden, nie zum Lehramt wurden. Damit distanziert sich die Kirche klar von einer Theorie, die lange Zeit zur Rechtfertigung der Enteignung indigener Völker durch Kolonialherrscher herangezogen wurde.
Die Bitte um Vergebung für Verletzungen der Rechte Indigener durch Kirchenangehörige
Franziskus hat bei verschiedenen Gelegenheiten seine Ablehnung einer „kulturellen Kolonialisierung“ bekräftigt und während seiner Reise nach Kanada vor acht Monaten auch ausdrücklich um Vergebung für Verletzungen der Rechte Indigener durch Kirchenangehörige gebeten, auch wenn er nicht ausdrücklich auf die scharf kritisierte „Doktrin der Entdeckung“ eingegangen war. Auch der nun erschienene Text stellt heraus, dass die Päpste „im Lauf der Geschichte Akte der Gewalt, der Unterdrückung, der sozialen Ungerechtigkeit und der Sklaverei verurteilt“ hätten, „einschließlich jener, die gegen indigene Völker begangen wurden.“ Ebenso gebe es auch „zahlreiche Beispiele“ von Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien, die „ihr Leben für die Verteidigung der Würde dieser Völker gaben“.
Nicht verschwiegen wird jedoch auch, dass „viele Christen böse Taten gegen indigene Völker begangen haben, für die die Päpste der letzten Zeit bei zahlreichen Gelegenheiten um Vergebung gebeten haben“ – unter anderem die genannte Vergebungsbitte, die Franziskus auf die dringenden Wunsch der First Nations hin auf kanadischem Boden ausgesprochen hatte. Insbesondere Ordensgemeinschaften hatten dort im vergangenen Jahrhundert bei der Betreibung von Kinderheimen für Indigene große Schuld auf sich geladen.
Mit Blick auf die „Doktrin der Entdeckung“ heißt es in der Erklärung, der Rechtsbegriff der „Entdeckung“ sei von den Kolonialmächten seit dem 16. Jahrhundert diskutiert worden und insbesondere in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Ländern zum Tragen gekommen. Demnach konnten Siedler die Eigentumsrechte an Grundstücken Indigener „durch Kauf oder Eroberung“ erwerben. Einige „Gelehrte“ hätten mehrere päpstliche Dokumente identifiziert, die diese „Doktrin“ stützten, insbesondere die Bullen von Nikolaus V. „Dum Diversas“ (1452) und „Romanus Pontifex“ (1455) sowie auf die Bulle von Alexander VI. „Inter Caetera“ (1493). Es handelt sich dabei um Dokumente, in denen die genannten Päpste die portugiesischen und spanischen Herrscher ermächtigten, sich das Eigentum an kolonisierten Ländern anzueignen, indem sie die ursprüngliche Bevölkerung unterjochten.
Es ist richtig, um Vergebung zu bitten
Doch wie in der aktuellen Note hervorgehoben wird, zeige die „historische Forschung eindeutig, dass die fraglichen päpstlichen Dokumente, die in einer bestimmten historischen Periode verfasst wurden und sich auf politische Fragen beziehen, niemals als Ausdruck des katholischen Glaubens angesehen wurden.“ Eine klare Absage an die Untermauerung kolonialer Ansprüche mit der katholischen Lehre, die Indigene lange von der Kirche gefordert hatten. Gleichzeitig erkenne „die Kirche an, dass diese päpstlichen Bullen die gleiche Würde und die gleichen Rechte der indigenen Völker nicht angemessen berücksichtigt haben“, fügt die Erklärung hinzu. Es wird ebenso eingeräumt, dass der „Inhalt dieser Dokumente von konkurrierenden Kolonialmächten zu politischen Zwecken manipuliert wurde, um unmoralische Handlungen gegen indigene Völker zu rechtfertigen, die manchmal ohne den Widerstand der kirchlichen Behörden durchgeführt wurden“. Es sei daher richtig, so die beiden involvierten Dikasterien des Heiligen Stuhls, „diese Fehler anzuerkennen, die schrecklichen Auswirkungen der Assimilationspolitik und das Leid der indigenen Völker anzuerkennen und um Vergebung zu bitten".
Papst Franziskus selbst habe diese Verpflichtung ausgesprochen, als er sagte: „Nie wieder wird die christliche Gemeinschaft es zulassen, sich von der Idee anstecken zu lassen, dass eine Kultur anderen überlegen ist, oder dass es legitim ist, auf Mittel und Wege zurückzugreifen, um andere zu zwingen“. Das kirchliche Lehramt unterstütze in „unmissverständlicher Weise“ die jedem Menschen gebührende Achtung, erinnert das gemeinsame Dokument. „Die Kirche lehnt daher jene Konzepte ablehnt, die die intrinsischen Menschenrechte der indigenen Völker nicht anerkennen“, einschließlich der so genannten „Doktrin der Entdeckung“, heißt es dort weiter.
Nicht verschwiegen werden in der Note auch die „zahlreichen und wiederholten Erklärungen“ der Kirche und der Päpste, in denen die Rechte der indigenen Völker bestärkt werden, angefangen mit der Bulle „Sublimis Deus“ von Paul III. (1537), also zeitlich nicht lange nach den Bullen, die als Rechtfertigung für die christlichen Kolonialherren dienten. Paul III. erklärte seinerzeit, dass die indigenen Völker „in keiner Weise ihrer Freiheit oder des Besitzes ihrer Güter beraubt werden dürfen, auch wenn sie nicht christlichen Glaubens sind; und dass sie frei und rechtmäßig ihre Freiheit und den Besitz ihrer Güter genießen können und sollen; auch sollen sie in keiner Weise in die Sklaverei gedrängt werden; sollte das Gegenteil geschehen, so ist es null und nichtig und ohne Wirkung“.
In jüngerer Zeit hat die Solidarität der Kirche mit den indigenen Völkern dazu geführt, dass „der Heilige Stuhl die in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker enthaltenen Grundsätze nachdrücklich unterstützt“. Ihre Umsetzung würde „die Lebensbedingungen verbessern und zum Schutz“ der Rechte dieser Völker beitragen, endet die Note mit einem Ausblick auf die aktuellen Entwicklungen.
Die Bischofskonferenzen Kanadas und der Vereinigten Staaten zeigten sich in Presseaussendungen dankbar über die Erklärung, die auch die „Frage von gewissen päpstlichen Bullen“ adressierte, die als „Basis für die genannte Doktrin“ herhielten. Es handele sich um einen „weiteren Schritt“ dabei, der pastoralen Sorge für die Indigenen Ausdruck zu verleihen, die infolge einer über Generationen weitergegebenen kolonisierenden Mentalität „schreckliches Leid“ erlitten hätten. In Planung sei nun ein gemeinsames wissenschaftliches Symposium der Bischofskonferenzen zu dem Thema. Das Päpstliche Komitee für Geschichtswissenschaften habe, ebenso wie die involvierten Dikasterien, Unterstützung für das Projekt signalisiert.
(vaticannews-cs)
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