P. Zollner: Missbrauchsbekämpfung wird jetzt klarer angegangen
Mario Galgano - Vatikanstadt
Pater Zollner, was sind die wichtigsten Änderungen, die am Motu proprio „Vos estis lux mundi“ vorgenommen wurden, um seine „bessere Anwendung“ fast vier Jahre nach seinem Inkrafttreten zu fördern?
Zollner: Man muss dazu sagen, dass es eigentlich vor allem um einige Präzisierungen geht, oder wie es auch genannt wurde, um eine Angleichung an andere Gesetzestexte, vor allem das Buch VI des Strafrechts des kirchlichen Gesetzbuches. Das sind keine wirklich großartigen Veränderungen, sondern eher Anpassungen. Das Allerwichtigste ist bei dieser Revision des Textes ist, dass er nun sozusagen endgültig gemacht wurde. Es ist klar, dass der Text für die gesamte Kirche gilt und dass er jetzt nicht mehr nur vorläufig, sondern auf Dauer gestellt wurde.
Das ist das Allerwichtigste, weil es eine gewisse Rechtsunsicherheit gab, nachdem im letzten Sommer eigentlich die Frist abgelaufen war für die Art Probephase. Aber jetzt ist klar gemacht worden: Der Text hat gegolten, gilt jetzt und wird auch in Zukunft für die gesamte Kirche gelten.
Zu den Änderungen gehört ja auch eine Klarstellung in Bezug auf die Opfer von Missbrauch. Also bisher war ja von minderjährigen und schutzbedürftigen Personen die Rede. Jetzt spricht man von schutzbedürftigen erwachsenen Personen, die gewöhnlich einen unvollkommenen Gebrauch der Vernunft haben.
Zollner: Ja, das ist auch eine Anpassung an eine Sprachregelung, die es schon länger gibt. Das war eigentlich schon immer miteinbezogen unter der Definition von besonders schützenswerten Personen. Das ist das eigentlich Entscheidende, es war schon im ersten Text gegeben, dass es eben nicht mehr nur um Minderjährige oder um Menschen geht, die eine geistige Behinderung oder Beeinträchtigung haben, sondern eben auch um Personen, die aus einer bestimmten Situation heraus oder in einem bestimmten Arbeits- oder Beziehungsverhältnis, einem Risiko von Missbrauch besonders ausgesetzt sind. Und das ist jetzt bestätigt worden. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne, weil es eben auch unter Erwachsenen Personen gibt, die des besonderen Schutzes bedürfen.
Ein weiterer Punkt ist, dass die Regeln ja nicht nur für Kleriker, Ordensleute, sondern eben auch noch für Laien gelten, die zum Beispiel Vorsitzende von internationalen Vereinigungen waren oder sind, die auch vom Apostolischen Stuhl an anerkannt oder errichtet wurden. Und was heißt das?
Zollner: Das zielt sicherlich auch aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre darauf, dass es eben nicht nur Kleriker sind, die bestraft werden können, wenn es um sexuellen oder anderen Missbrauch geht, sondern auch Laien, die in verantwortlicher Position sind, in der Kirche oder wie in diesem Fall, die auch die Führung von neuen geistlichen Gemeinschaften haben oder hatten.
Beispiele dafür sind das „Sodalitium“ in Peru oder auch im Zusammenhang mit der Arche, also die Gründungsfiguren oder Leitungspersönlichkeiten, die missbraucht haben und bei denen jetzt klargestellt wird, dass, wenn es sich um eine kirchliche Anerkennung der Gemeinschaft handelt, dann nicht nur Kleriker, sondern eben auch Laien zur Verantwortung gezogen werden können.
Es wird ja auch präzisiert, dass die Diözesen über Stellen verfügen müssen, die für alle leicht zugänglich sein sollten, um Meldungen und Missbrauchsfälle entgegenzunehmen.
Zollner: Ja, das ist auch eine Sache, die schon eingeführt worden war. Aber durch diese Präzisierung wird noch mal verdeutlicht, dass sich jede Diözese und auch die Ordensgemeinschaften darum bemühen müssen, dass es nicht nur eine Postadresse gibt oder ein Postfach, wo man sich melden kann oder auf dem auf der Internetseite einen Link, sondern dass es tatsächlich auch eine für Betroffene, die das zur Anzeige bringen wollen, auch leicht erreichbare und ohne große Hürden zugängliche Möglichkeit geben muss, sich an Personen zu wenden, die dann wirklich zuhören und die Anzeigen annehmen.
Oft ist es ja so, dass Betroffene, die im kirchlichen Bereich missbraucht worden sind, weder in kirchliche Institutionen oder Gebäude gehen wollen, noch mit sichtbar kirchlichem Personal in Kontakt kommen wollen. Sie wollen also keinem Priester gegenübersitzen oder einer Ordensfrau, und die wollen auch in kein bischöfliches Haus gehen oder in ein Ordinariat. Sie wollen eine andere Möglichkeit haben, möglichst anonym und geschützt ihre Anliegen vorzubringen. Und dem soll Rechnung getragen werden. So lese ich und verstehe ich diesen Abschnitt.
Und eine weitere Präzisierung ist, dass der Ordinarius der Diözese, des Ortes oder des Ordens, an dem sich eben dieser Sachverhalt ereignet haben soll, die Verpflichtung hat, nach dem für den konkreten Fall vorgesehenen Recht vorzugehen. Was heißt das?
Zollner: Das heißt, dass er streng daran erinnert wird, dass er dem Recht zu folgen hat. Das war der Hauptgrund, warum wir dieses Motu proprio überhaupt haben. Im Anschluss an den Kinderschutzgipfel von 2019 wurde das Gesetz deshalb erlassen, um die Rechenschaftspflicht von Bischöfen oder Ordensleitern oder Ordensoberen oder jetzt eben auch von Laien, die in verantwortlichen Positionen sind, einzuschärfen, wenn es um die Amtspflichten und um das Befolgen der eigenen kirchlichen Rechtsnormen geht.
Es war ein erster Schritt in das, was man eine Kultur der Rechenschaftspflicht oder eine Kultur des Respektes des geltenden Rechtes nennen könnte. Es hört sich komisch an, wenn man das wiederholen muss, aber es ist so, dass sich der kirchliche Gesetzgeber und damit der Papst selber auch sozusagen sehr stark einsetzt dafür, dass das nicht nur der Buchstabe bleibt, sondern dass das auch in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Daran wird sich das Gesetz und seine Wirkung in der Zukunft messen lassen müssen.
Abschließend noch: Welche Fortschritte wurden denn dank dieses Motu proprio in vergangenen Jahren bei der Bekämpfung des Missbrauchs in der Kirche überhaupt erzielt?
Zollner: Es war wichtig, jetzt Klarheit zu schaffen. Das habe ich aus eigener Anschauung in vielen Ländern, die ich bereist habe, erlebt und zwar bei vielen Bischofskonferenzen, die mich eingeladen haben. Das habe ich weltweit gesehen oder bei unseren Studierenden, die kommen auch an unser Institut für Anthropologie der Gregoriana, die sich im Bereich Safeguarding ausbilden lassen. Sie zeigen, dass das Niveau der Sensibilisierung, was Missbrauch ist und wie schwerwiegend er Betroffene tatsächlich verletzen kann, notwendig macht, dass wir gemeinsam als Kirche eine konsequente Politik auch in der Verfolgung der Straftäter und der Vertuscher angehen und dass wir auch schauen, welche Art von institutioneller Verantwortung, welche systemischen Fragestellungen tatsächlich angegangen werden. Das hat sich dank des Motu proprio, aber vor allem auch durch den Kinderschutz selber deutlich verbessert.
Und ich sehe schon Fortschritte. Ich meine, das ist unter Umständen ein großer Flickenteppich, weil es in einigen Ländern besser funktioniert als in anderen, weil in einigen Ländern mehr darüber gesprochen und konsequenter gehandelt wird als in anderen. Das ist in der Kirche so, das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Und wir wollen deshalb auch gerade dort investieren, wo aus kulturellen, aus politischen, aus gesetzgeberischen Gründen da oft eine Lücke festgestellt werden kann. Aber ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, und ich bin sehr froh, dass jetzt endlich auch klar ist, dass dieses Gesetz weiterwirkt und mit großer Stärke eingefordert wird, dass es umgesetzt wird vor Ort.
(vatican news)
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