Kardinal Hollerich: Ein Arbeitstext mit mehr Fragen als Antworten
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Was ist der zentrale Fokus des heute vorgestellten Instrumentum Laboris?
Hollerich: Zusammen Kirche sein auf dem Weg zu einer missionarischen, synodalen Kirche.
Was an dem Dokument wird Ihrer Einschätzung nach nicht allen gefallen?
Hollerich: Dass es zu allgemein sei, theologisch nicht präzise genug, und so weiter. Aber das stört mich nicht, gerade das wollen wir ja.
Was ist anders als andere vorbereitende Dokumente von Bischofssynoden?
Hollerich: Es ist wirklich ein Arbeitsinstrument. Kein schöner Text, den man staunend zu sich nehmen kann. Es ist kein theologischer Text, kein definitiver und kein vollständiger Text. Der Text enthält sehr viele Fragen, er soll den Austausch bei der Synode anregen. Es ist die Synode, die Antworten geben muss, nicht der Text, den wir vorbereitet haben.
Es ist ein Arbeitstext für die Teilnehmenden…
Hollerich: …genau. Wenn ich einen trivialen Vergleich nehmen kann: Es ist wie ein Kochbuch!
Ein Kochbuch mit vielen Fragen…!
Hollerich: Ja. Dieser Text hat viel mehr Fragen als Antworten. In dem Sinn ist das neu, denn sonst antwortet die Kirche auf Fragen, die sich keiner stellt. Hier haben wir die Fragen der Leute aufgegriffen. Wir müssen uns diesen Fragen stellen, darüber nachdenken, beten - persönlich und gemeinsam. Das ist Synode. Uns vom Heiligen Geist leiten lassen in Verbundenheit mit Christus. Wie das dann weitergeht? Wir haben ja auch kein Rezept jetzt zu sagen, wie das dann 2024 aussieht, denn auch das ist Teil eines Prozesses.
Und wenn der synodale Prozess sehr dynamisch verläuft?
Der Heilige Vater sagt oft, der Heilige Geist an Pfingsten macht zuerst einen Riesenlärm, und dann kommt eine große Aufregung. Die Leute denken, die sind betrunken… und vielleicht kommt noch eine große Aufregung, das weiß ich nicht, aber das macht mir nichts, denn ich weiß ja, dass der Heilige Geist dadurch wirkt, und dass dadurch nachher eine neue Harmonie entsteht, wo die Leute den Aposteln zuhören und ihre eigene Sprache verstehen. Wenn der Heilige Geist das mit uns fertigbringt, dass die Leute uns in ihren Sprachen verstehen, dann war das ein wunderbarer Weg.
In vielen Teilen der Welt haben Ortskirchen ein offensichtliches Glaubwürdigkeitsproblem infolge der furchtbaren und gehäuften Fälle sexualisierter Gewalt. Mit welchen Mitteln reagiert die Weltsynode darauf?
Hollerich: Die Weltsynode ist nicht als Konsequenz auf den Missbrauch gedacht. Sondern die Weltsynode entspringt aus dem Wesen der Kirche heraus. Aber wir brauchen gute Konsequenzen gegen den Missbrauch. Denn Missbrauch geschieht in einer klerikalen Kirche, wo man die Obrigkeit vergöttlicht. Eine synodale Kirche ist immer eine transparente Kirche, wo Frauen und Männer die Gnade und Würde ihrer Taufe leben. Ich bin überzeugt, wenn normale Mütter und Väter, Brüder, Schwestern, über Missbrauch erfahren, dann reagieren sie ganz heftig. Und dann wird auch die Obrigkeit etwas unternehmen müssen, und das ist gut so.
Was vom Synodalen Weg in Deutschland, der bereits abgeschlossen ist, fließt ein in die Weltsynode?
Hollerich: Es gibt keinen direkten Zusammenhang. Einige Diözesen in Deutschland haben ja auch Fragenkataloge ins Internet gestellt und das Resultat eingeschickt, aber das war ein Fragenkatalog. Was wir wollen, ist ja nicht soziologische Antwort auf Fragen, sondern was wir wollen, ist ein Prozess, zuhören, aufeinander hören, den Geist Gottes auffinden. Zusammenkommen. Konsensus bilden. Ich glaube, dass der deutsche Synodale Weg viel mehr Konfrontation birgt. Oder auch eine gewisse Konfrontation als Modell hat – Konfrontation nicht negativ gemeint in dem Fall. Aber das entspricht der deutschen Gesellschaft. Man hat gelernt, nach dem II. Weltkrieg, dass man in Deutschland konfrontationell miteinander umgehen und Kritik üben muss. Das kann ich im deutschen Kontext vollkommen verstehen.
Wir wollen etwas Anderes. Wir wollen Harmonie. Die Harmonie, die durch den Heiligen Geist kommt. Wir wollen nicht zuerst eine Veränderung von Strukturen – vielleicht kommt dann eine Veränderung von Strukturen. Aber wir wollen, dass die Kirche missionarisch ist, dass sie ihre Mission, die von Christus gegeben ist, erfüllt. Wir wollen Heiligkeit und dass diese Heiligkeit mit den konkreten Gesten, Attitüden, Engagement im Alltag verbunden wird. Eine Heiligkeit innerhalb der Welt. Eine Heiligkeit der Kirche, die sich die Hände schmutzig macht, wie der Papst das ausgedrückt hat. Eine synodale Kirche, die nahe bei allen Leuten ist und im Dialog ist, die Demut hat. Ich habe ja keine Antwort auf alle Fragen. Ich muss von anderen lernen.
Die Bischofssynode ist eines der Instrumente, das dem Papst beratend zur Seite steht in der Leitung der Weltkirche. Ein junges Instrument, ein Kind des II. Vatikanischen Konzils, und schon Paul VI. sprach damals davon, dass sich dieses Instrument weiterentwickeln kann, mit dem Fortschreiten der Kirche selbst. Man hat den Eindruck, dass die Bischofssynode unter Papst Franziskus sich viel stärker entwickelt als in den Jahrzehnten davor. Warum ist das so?
Hollerich: Die Kirche des Anfangs war stark synodal. Wir haben es etwas verloren. Vielleicht haben wir uns zu sehr der Welt angeglichen. Als dann monarchische Strukturen wuchsen, haben die auf die Kirche abgefärbt. Wir brauchen jetzt eine katholische Synodalität. Die ist anders als die bei den Protestanten, da ist die Synode oft etwas wie ein Kirchenparlament. Für uns ist die Synode kein Parlament. Bei den orthodoxen Kirchen ist die Synodalität Kollegialität der Bischöfe. Das war auch so zugrundegelegt bei Paul VI., als er die Synode einführte – da war das ein Instrument der Kollegialität der Bischöfe. Unter Papst Franziskus haben wir gesehen, dass dieser Begriff erweitert wurde. Er hat genau das gemacht, was Paul VI. gesagt hat, dass man das Ganze breiter aufstellen kann. Zuerst bei der Synode über die Familie, wo Fragen gestellt worden sind. Die Fragen waren damals noch etwas kompliziert, es war sehr schwer, Nicht-Theologen diese Fragen zu erklären. Dann kam die Jugendsynode, da gab es schon eine präsynodale Versammlung der Jugendlichen, und was die Jugendlichen ausgedrückt haben, ist ins Arbeitsdokument der Synode eingeflossen. Die Amazoniensynode war dann wiederum breiter aufgestellt, weil es da die REPAM gab, ein Netzwerk, das die Synode vorbereitet und begleitet hat.
Inwiefern ist jetzt Papst Franziskus noch einen Schritt weiter gegangen?
Die Bischofssynode ist ja ein Element der Synodalität. In Praedicate Evangelium spricht der Papst vom Sekretariat der Synode, nicht der Bischofssynode. Eine Synode hat ja angefangen. Und jetzt kommt in der Synodalität die Phase der Bischofssynode. Diese Phase soll man auch nicht kleinreden. Die Bischöfe sind die Nachfolger der Apostel, sie müssen diese Unterscheidung der Geister, die begonnen wurde, die fortgeschritten ist, jetzt zu Ende bringen. Und das müssen sie als Hirten der Kirche tun. Und dann als solche - weil die Kollegialität der Bischöfe ist Teil einer katholischen Synodalität - das dem Heiligen Vater anvertrauen, denn auch der Primat des Papstes ist Teil einer katholischen Synodalität.
Neu an der Weltsynode über Synodalität ist das Wahlrecht für Laien. Bischöfe teilen das Wahlrecht mit Laien, darunter Frauen. Was bedeutet das eigentlich?
Hollerich: Alle, die an der Synode teilnehmen, sollen wissen, dass ihre Meinung respektiert und gehört wird. Das ist das Wesentliche. Die Bischöfe haben ein Wahlrecht, weil sie Bischöfe sind. Die Nicht-Bischöfe – Priester, Diakone, Ordensleute, Frauen, Männer – sind sozusagen Zeugen dieser Gesamtsynode, des gesamten Prozesses. Sie vertreten alle Getauften, die diesen Weg gegangen sind. Deshalb ist es sehr wichtig, dass sie da sind, dass auch die Bischöfe auf ihr Wort hören können. Sie müssen nicht immer derselben Meinung sein, aber es muss darauf gehört werden. Und das ist sehr gut. Wenn man Nicht-Bischöfe und Nicht-Priester hat, um Gottes Willen, warum soll man dann einem Mann die Wahl zugestehen und einer Frau nicht? Das würde ja heißen, dass wir die Taufe der Männer höher achten als die Taufe der Frauen. Das wäre ein Unding.
Hatten wir aber bei vergangenen Bischofssynoden…
Hollerich: Ich weiß. Deshalb haben wir davon gelernt. Und ich möchte auch allen Frauen danken, die da protestiert haben.
Glauben Sie, dass eine mehr synodal organisierte Kirche eine größere Rolle als Friedensstifterin auf der Welt wird spielen können?
Oh ja. In einer synodalen Kirche ist ja jeder engagiert, nicht nur der Klerus. Am Krieg leiden ja vor allem die Nicht-Priester. Die jungen Männer, die eingezogen werden, auch die Frauen, die Soldatinnen sind. Die Frauen und Kinder, die vergewaltigt werden. Die Leute, deren Häuser zerstört werden. Ukraine, Syrien, Sudan… Wie kann ich als Christ leben, und den Krieg und das Töten akzeptieren? Das geht nicht. Wenn ich mich als Bischof für den Frieden engagiere, ist das zwar ganz schön, aber man sagt, der Bischof ist vielleicht etwas überspannt. Der weiß nichts von der realen Welt. Wenn die Kirche, nicht nur die Hierarchie, sondern die ganze Kirche für den Frieden eintritt, dann ist das eine Friedenskraft. Die Mission der Kirche ist für eine synodale Kirche hat Priorität. Ohne Mission gibt es keine Kirche, auch keine synodale Kirche.
(vatican news – gs)
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