50 Jahre zeitgenössische Kunst in den Vatikanischen Museen
Paolo Ondarza und Christine Seuss - Vatikanstadt
„Kontamination“ und „Konfrontation“ sind die besonderen Merkmale der Ausstellung „Contemporanea 50“, mit der das erste halbe Jahrhundert der Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst der Vatikanischen Museen gefeiert wird. Es handelt sich um die jüngste Abteilung der päpstlichen Galerien, die 1973 vom heiligen Papst Paul VI. ins Leben gerufen wurde.
Eye-Catcher: Moderne Werke in antikem Kontext
Protagonisten der eigens konzipierten Jubiläums-Ausstellung sind kürzlich erworbene Werke, die wie Sterne in einer Konstellation auf dem sage und schreibe sieben Kilometer langen Museumsdurchgang verteilt sind. Anatsui, Bravo, Fleischer, Gioli, Giuliani, Hadzi-Vasileva, Paladino, Ruffo, Strazza und Vukadinov sind die Künstler von internationalem Rang, die sie geschaffen haben. Dabei werden die Werke in Form einer dialektischen Konfrontation mit den Räumen und Meisterwerken des Gregorianischen, des Ägyptischen sowie des Profanen Museums und der frühchristlichen Ausstellung des Museo Pio Cristiano, des Kutschenpavillons, der Pinakothek oder des Ethnologischen Museums Anima Mundi arrangiert.
Micol Forti ist die Kuratorin der Abteilung für 19. und zeitgenössische Kunst der Vatikanischen Museen. Sie erklärt im Gespräch mit Radio Vatikan/Vatican News: „Wir haben diese Wahl vor allem getroffen, um eine der wichtigsten Lehren zu unterstreichen, die uns Paul VI. hinterlassen hat: Die zeitgenössische Kunst muss ein Werkzeug des Denkens, der Argumentation, der Anregung von Zweifeln, Fragen und neuer Erkenntnisse sein. Der Dialog zwischen den zeitgenössischen Werken und den Werken anderer Epochen und anderer Zivilisationen regt zwangsläufig neue Sichtweisen, neue Überlegungen und neue Aufmerksamkeit bei unserem Publikum und denjenigen an, die sich für den Besuch der Ausstellung interessieren.“
Die zeitgenössischen Kunstwerke, die in ungewöhnlichem Rahmen die Aufmerksamkeit der Besucher fesseln, wurden auch dahingehend ausgesucht, wie sie sich in das Ambiente einfügen und inwiefern sie die Entwicklungen in der Sammlung nachzeichnen, unterstreicht Forti, die mit spürbarer Begeisterung ihren für die einzelnen Abteilungen zuständigen Kollegen für deren „Gastfreundschaft“ dankt. An diesem Mittwoch gab es unter Beteiligung der Museumsleiterin Barbara Jatta in den Räumen der Museen eine Vorschau der Ausstellung zum 50. Jubiläum der Sammlung.
23. Juni 1973
Es war der 23. Juni 1973, als Paul VI. die damalige „Sammlung moderner religiöser Kunst“ einweihte. Aus diesem Anlass wurde in der Audienzhalle auch ein Konzert unter der Leitung von Leonard Bernstein aufgeführt. Es war das zweite Mal, dass der Papst Künstler in den Vatikan rief. Das erste Mal traf er weniger als ein Jahr nach seiner Wahl an jenem denkwürdigen 7. Mai 1964 mit ihnen zusammen, als er in der Sixtinischen Kapelle mit der „Messe der Künstler“ den Dialog zwischen Kunst und Kirche wieder aufnahm und um Verzeihung für den „bleiernen Mantel“ bat, mit dem die Autonomie der Künstler zeitweise erstickt worden war. Bei dieser Gelegenheit bekräftigte das Kirchenoberhaupt deutlich seine Vorstellungen von künstlerischer Freiheit.
Auf den Spuren seiner Vorgänger seit der Renaissance wollte Montini eine Sammlung zeitgenössischer Werke aufbauen. Im Auftrag des Papstes knüpfte dessen persönlicher Sekretär Pasquale Macchi neun Jahre lang ein wahres Netz von Beziehungen zu Künstlern, Sammlern, Erben und Institutionen. Auf diese Weise sammelte er einen ersten Kern von etwa 900 Werken, von denen die meisten aus Deutschland und Frankreich stammten, zwei geografischen Gebieten, die der kulturellen Sensibilität eines Papstes nahestanden, der mit Jean Guitton und Jacques und Raïssa Maritain befreundet war.
Von 900 auf 9.000 Kunstwerke
„Am 23. Juni 1973 befanden sich 950 Kunstwerke in unserer Sammlung", erläutert Micol Forti weiter, „heute sind es mehr als 9.000 Werke, die wir aufbewahren und der Öffentlichkeit in unseren Räumen zeigen.“ Gemälde, Skulpturen, Glasfenster, Wandteppiche, Arbeiten auf Papier, polymaterielle Werke, Fotografien, Installationen, Videokunst und Architekturmodelle machen die Sammlung des Vatikans zu einer der größten Sammlungen zeitgenössischer sakraler Kunst auf dem internationalen Parkett.
„Trotz der Tatsache, dass wir nur zehn Meisterwerke zeigen, haben wir versucht, den Wandel der Sammlung in diesen 50 Jahren zu veranschaulichen. Zu sehen sind unter anderem die großartigen Metalltextilien des afrikanischen Künstlers El Anatsui, die Video- und Multimediaarbeiten der kolumbianischen Künstlerin Monika Bravo, die wir auf der Biennale in Venedig präsentiert haben, ein großartiger Engelsflügel aus Travertin von Giuliano Giuliani, ebenso wie ein monumentales glasiertes Keramikkruzifix von Mimmo Paladino, das sich im Eingangsbereich des Museo Anima Mundi befindet. Hinzu kommt eine großartige Fotografie von Alain Fleischer, der ein außergewöhnliches Werk über die unendlichen und ewigen Räume der Vatikanischen Museen geschaffen hat, eine Serie von elf monumentalen Fotografien, mit den Museen als Auftragsgeber“, berichtet Forti. „Wir versuchen also, durch diese Werke zu erzählen, was die Sammlung in den letzten 50 Jahren ausgemacht hat.“
Die Gesichter der Sammlung
Die umfassende Ausstellung zeitgenössischer Kunstwerke wird von einer historischen Fotoausstellung flankiert, die in den Sälen des Borgia-Turms eingerichtet wurde und den Gesichtern der Persönlichkeiten gewidmet ist, die über die Jahre an der Entstehung der Sammlung beteiligt waren.
„Wir wollten, dass die Gesichter der Protagonisten dieses großartigen Abenteuers in Erinnerung bleiben“, erklärt die Kuratorin der Sammlung Moderner und Zeitgenössischer Kunst der Vatikanischen Museen, „vom Moment der Einweihung im Juni 1973 an: Paul VI. mit seinem persönlichen Sekretär Pasquale Macchi und seinen Mitarbeitern, der alle anwesenden Künstler begrüßte, die 500 ausgestellten Werke... Unsere Ausstellung möchte auch die Veränderungen in der Gestaltung dieser Räume verfolgen, die der Ausstellung der Sammlung gewidmet und vom Papst zur Verfügung gestellt wurden. Und dann erinnern wir an die vielen nationalen und internationalen Ausstellungen, die in diesem halben Jahrhundert realisiert wurden. Sie haben es der Sammlung ermöglicht, nicht nur bekannt zu werden, sondern vor allem in einen Dialog mit anderen Institutionen zu treten, um über die Transformation der zeitgenössischen sakralen Kunst nachzudenken. Schließlich möchten wir auch an die beiden anderen Päpste, Johannes Paul II. und Benedikt XVI. erinnern, die beide einen sehr präzisen und starken Einfluss ausüben wollten, was die Reflexion über die Kunst und die Rolle, die der Dialog zwischen Kunst und Kirche, Kunst und Religion, Kunst und Liturgie für die zeitgenössische Kultur haben kann und muss.“
Geschichte erzählen, in die Zukunft projizieren
Zusammen mit Francesca Boschetti und Rosalia Pagliarani ist Micol Forti Herausgeberin des Bandes „La Collezione d'Arte Moderna e Contemporanea dei Musei Vaticani 1973-2023” für Edizioni Musei Vaticani. Ein Text, der die Geschichte und das Profil einer noch wenig bekannten Abteilung rekonstruiert. „Das Erstaunen und die Verwunderung sind immer noch groß bei denjenigen, die erfahren, dass es in den Vatikanischen Museen eine Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst gibt. Wir haben einen Band konzipiert, der die Ursprünge, die Geschichte, die Veränderungen und auch die Herausforderungen für die Zukunft wiedergeben kann. Er wurde sehr sorgfältig bearbeitet: Er enthält auch bisher unveröffentlichtes Material. Es gibt jedoch noch viel zu tun. Das Archiv Pauls VI. ist noch geschlossen und wird in einigen Jahrzehnten geöffnet werden: Wir werden unseren Nachfolgern die Aufgabe überlassen, die Papiere zu studieren, die an Entdeckungen und fruchtbaren Anregungen für die Überlegungen von Morgen reich sind.“
(vatican news)
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