„Schindlers Liste“ von Rom: Fragen an einen Jesuiten
Jonas Over – Vatikanstadt
Seit den 60er Jahren wusste man von der Existenz einer solchen Liste, doch galt sie als verschollen. Vor einigen Jahren begann Markl, als er noch am päpstlichen Bibelinstitut in Rom arbeitete, sich auf die Suche nach diesem Dokument zu machen.
„Ich bin erst Jahre später fündig geworden. Das heißt, ich habe einen anderen Kollegen gefunden, der aufgrund seiner Recherche zur Geschichte der Archäologie des Instituts in Israel und Jordanien in unserem Archiv gearbeitet hat. Der wusste, wo sich das Dokument befindet. So konnte ich einen ersten Blick darauf werfen und bin mir nach den ersten Recherchen im Klaren darüber geworden, worum es sich handelt.“
Sofort nach der Entdeckung sei man an jüdische Organisationen herangetreten, allen voran natürlich die jüdische Gemeinde von Rom und die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Binnen kürzester Zeit konnte eine sehr enge und fruchtbare Zusammenarbeit entstehen, so Markl.
Schwierigkeiten in der Forschung
Mit dem Fund des Dokuments tun sich natürlich auch gewisse Probleme auf. Handelt es sich bei den aufgeführten Personen um getaufte oder auch um nicht getaufte Juden? Und ganz grundlegend: Ist die Liste überhaupt echt bzw. authentisch? Wer steht hinter diesen Namen, was sind die jeweiligen Einzelschicksale?
„Eine der vielen Schwierigkeiten ist, dass viele Juden natürlich in dieser Zeit zu ihrem eigenen Schutz falsche Namen verwendet haben. Und hier falsche Namen und echte Namensidentität herauszufinden, ist oft eine Detektivarbeit. Zum Teil gibt es Gleichheiten, wie ja auch in anderen Ländern. Hans Müller gibt es öfter, und ähnlich ist es auch mit jüdischen Namen in Rom.“
Bedeutung des Fundes in der historischen Forschung
Lange hat man auf eine solche Entdeckung gewartet. In der Vergangenheit wurde namentlich Papst Pius XII. immer wieder vorgeworfen, dass sein zögerliches Verhalten angesichts der Shoah diese womöglich begünstigt habe. Laut Markl bietet die neu gefundene Quelle keine Grundlage, um die Person Pius XII. gänzlich neu zu bewerten.
„Es ist ein relativ großes und wichtiges Puzzlestück sozusagen, das viel beinhaltet. Aber es muss alles erst eingeordnet werden in den Gesamtzusammenhang der vielen tausenden und abertausenden von Dokumenten, die in den vatikanischen Archiven jetzt zugänglich sind und deren Aufarbeitung auch viele, viele Jahre brauchen wird. Insofern sind wir erst am Anfang dieser Forschung.“
Weitere Verwendungen der neuen Quelle
Zum Schutz der aufgeführten Namen ist das Dokument zunächst nur wenigen Menschen zugänglich. Dies soll in den nächsten Jahren auch erstmal so bleiben, wenngleich man sich mittel- und langfristig wünschen würde, dass diese neue Quelle der breiten Öffentlichkeit zugänglich wird. „In der Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde ist uns natürlich sehr wichtig, auf ihre Wünsche einzugehen und diese sehr hoch zu respektieren.“
Im Oktober wird in Rom eine Studientagung über Erkenntnisse zu Pius XII. und den Vatikan zur Zeit des Zweiten Weltkriegs stattfinden. In diesem Zusammenhang wird auch der neue Fund eine Rolle spielen. Laut Markl wird die Rolle aber nicht entscheidend sein, aufgrund der Masse an anderen Dokumenten.
Hintergrund
Anfang des Monats wurde in den Archiven des päpstlichen Bibelinstituts in Rom eine Liste von über 4.300 Personen entdeckt, die während der deutschen Besatzungszeit in Rom in kirchlichen Räumen vor den Nazis geschützt wurden. 3.200 dieser Namen stammen von Jüdinnen und Juden. Lange hatte man diese Zahlen bereits vermutet, aber diese Liste konnte sie nun bestätigen.
Zur Person
Dominik Markl SJ lehrt an der Universität Innsbruck katholische Theologie. Zuvor war er von 2013 bis 2023 Dozent am päpstlichen Bibelinstitut in Rom.
(vatican news)
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