Vatikan: Quantentechnologien für alle nutzbar machen
Christine Seuss - Vatikanstadt
Die Teilnehmerliste an dem hochrangig besetzten Workshop, der von Donnerstag bis Samstag Wissenschaftler aus aller Welt versammelt, liest sich wie ein Who is Who der Forschung und Anwendung im Quantum-Bereich. Dozenten aus der ganzen Welt tagen derzeit gemeinsam mit Führungskräften aus Industrie und Wirtschaft im Vatikan, um die erreichten Schritte in der Quantenforschung zu würdigen, aber auch, um den Horizont zu weiten und künftige Anwendungsmöglichkeiten auszuloten. All dies unter der Prämisse, dass bei den Innovationen auch die armen Teile der Welt nicht aus dem Blick geraten, sondern dass künftige Erkenntnisse gerade ihnen zugutekommen, betont Joachim von Braun, Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, im Gespräch mit Vatican News:
„Kardinal Parolin hat in seiner wichtigen Eröffnungsansprache vor allem zwei Dinge hervorgehoben. Das eine ist das Gemeingut. Die Natur der Quantenphysik muss geschützt werden, damit die Chancen, die sich daraus ergeben, für Menschen auf der ganzen Welt genutzt werden können. Zweitens müssen arme Länder und arme Menschen davon profitieren. Der Zugang zu modernen technologischen Chancen muss offen sein, auch für die armen Teile der Welt. Wir müssen uns also vor Augen halten, dass die Produkte, die aus der Quantenmechanik hervorgehen, Auswirkungen auf die Gerechtigkeit haben.“
Vor ziemlich genau 100 Jahren stellten wichtige Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften die „Speerspitze der Quantenphysik“ dar, erinnert von Braun mit Blick auf Erwin Schrödinger, Max Planck oder Niels Bohr. Auch Albert Einstein – selbst allerdings kein Mitglied – stand mit vielen Mitgliedern der Akademie im freundschaftlichen Austausch. „Also mit gewissem Stolz begehen wir sowohl eine erinnernde Veranstaltung als auch eine Tagung, die die schon erzielten Erfolge der Quantenphysik und Quantenmechanik heute analysiert und die zukünftigen Chancen der Quantenphysik ausleuchtet“, so von Braun.
Rund 80 führende Physiker und anderweitig in der Quantenmechanik engagierte Teilnehmer sind der Einladung der Akademie für die Tagung gefolgt. „Viele von ihnen beschäftigen sich mit purer Physik, einige aber auch mit den neuen Anwendungen“, erläutert der Agrarwissenschaftler, der seit 2017 Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften ist. „Unter ihnen sind zum Beispiel Vertreter, die die Anwendung für Quantenphysik, für Logistik, für Gesundheitsfragen, für Klimathemen, aber auch für Themen komplexer Systeme wie dem Ernährungssystem auf ihrer Agenda haben. Also, uns von der Päpstlichen Akademie interessiert die Verknüpfung zwischen Grundlagenforschung und Anwendung zur Verbesserung von Lebensverhältnissen und von Fragen der planetaren Gesundheit.“
Physiker und Philosophen
Auch die Physiker, die als Mitglieder an den Arbeiten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften teilhätten, seien gekommen, „weil hier Physik, Technik und Philosophie und Religion zusammengedacht werden“, unterstreicht in diesem Zusammenhang von Braun.
„Es ist auch wichtig festzustellen, dass die Pioniere der Quantenphysik nicht schlichte Technokraten waren, die nur die Bewegung von Photonen und Atomen untersucht haben, so wahnsinnig aufregend und relevant das auch sein mag für moderne Technik, wie zum Beispiel die Kommunikationstechnik, unsere Handys, die wir täglich benutzen, die Bildschirme, alles das, was mit Laser zu tun hat. Sondern sie waren auch Philosophen", so von Braun.
So habe sich etwa das Akademie-Mitglied Schrödinger, der Erfinder der nach ihm benannten Gleichung, grundlegende Gedanken über die Definition und den Ursprung von Leben gemacht: „Er hat an Gentechnik gedacht, aber auch an die Seele und daran, was es bedeutet, Mensch zu sein. Und er war auch klar der Meinung, dass der Mensch eine Seele hat - und dass es eine Existenz dieser Seele ohne und nach dem Tod des Körpers gibt. Das mag in einer Gemeinschaft von Spitzenphysikern seltsam klingen, aber wie ich schon sagte, steht das nicht im Widerspruch.“
Mit den Entwicklungen Schritt halten und diese nutzen
Vor hundert Jahren habe die Quantenphysik schon mit ihren ersten Schritten „grundlegendes Denken der traditionellen Physik“ zumindest teilweise „über den Haufen geworfen“, während sie sich in den kommenden hundert Jahren nochmals deutlich weiterentwickelt habe, merkt von Braun an.
„In unserer Akademie finden wir es wichtig, auf dem neuesten Stand und an den Grenzen der Grundlagenwissenschaft zu sein, weil die Grundlagenwissenschaft sehr oft neue Erkenntnisse hervorbringt, die nach der Klärung grundlegender wissenschaftlicher Phänomene schnell für die angewandte Wissenschaft relevant werden. Und das ist auch bei der Quantenphysik und der Quantenmechanik der Fall. Es ist für das tägliche Leben äußerst relevant geworden, was die Quantenmechanik mit uns macht.“
Ebenso, wie die Quantenwissenschaften auch Grenzen des wissenschaftlich Erfassbaren deutlicher gemacht haben. Doch wo reiht sich darin die Suche und das Bewusstsein für Gott ein?
„Das möglicherweise Göttliche in der Quantenphysik ist, dass wir durchaus neue Ansätze für Bewusstsein, für das Denken über Bewusstsein - Consciousness auf Englisch - aus der Quantenphysik ableiten können“, meint von Braun. „Die Quantenphysik und die Hirnforschung werden hier in dieser Tagung der Akademie deswegen auch zusammengebracht. Das ist nicht nur Quantenmechanik, sondern das sind erkenntnistheoretische Fragen im Bereich von Bewusstsein, die wir hier behandelt sehen wollen. Wir verbinden mit allen unseren wissenschaftlichen Unternehmungen hier die Wissenschaft mit Problemen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, mit der Philosophie und mit der Religion. Wir sehen keinen Konflikt, keinen Gegensatz, sondern wir sehen die Komplementarität zwischen Wissenschaft und Glauben.“
Ähnlich sieht das Vanderlei S. Bagnato. Der Professor lehrt Quantumwissenschaften an der University of São Paulo (Braslien) und der Texas A&M University in den Vereinigten Staaten. Er hat die Tagung an der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften organisiert. Ziel sei es letztlich, mit den neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen Schritt zu halten, mit dem Augenmerk darauf, wie diese zum Wohl der Menschheit im Allgemeinen eingesetzt werden können, betont er:
„Die Quantenmechanik ist eine der erfolgreichsten wissenschaftlichen Entwicklungen, die wir in den letzten 100 Jahren erlebt haben, und jetzt wird sie zu einer Technologie, die uns bei so vielen Dingen helfen kann, wie zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Medikamente, neuer Computer, die Probleme lösen können, die wir heute nicht lösen können, und von Sensoren, die uns bei der Erkennung von Krankheiten oder sogar bei der Erkennung von Klimaveränderungen auf verschiedene Weise helfen können. Sie sehen also, dies ist ein Fortschritt der Wissenschaft, der der Menschheit in vielerlei Hinsicht helfen kann. Und es ist sehr angemessen, dass die Vatikanische Akademie der Wissenschaften daran beteiligt ist, sich dessen bewusst ist und der Welt mitteilt, wie die Wissenschaft uns helfen kann, aus so vielen Krisen, die wir heute haben, herauszukommen.“
Der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften sei es dabei ein besonderes Anliegen, dass die „neuen Fortschritte“ die Kluft zwischen den Gesellschaften auf der ganzen Welt nicht vergrößerten: „Deshalb wollen wir dafür sorgen, dass Texte verfasst werden, die die Verantwortlichen darauf aufmerksam machen, dass sie ihr Volk auf diese neue Technologie vorbereiten müssen“. Dies seien manchmal etwas schwierig zu vermittelnde Argumente - ebenso wie es unbequem sei, sich mit Armut und einem Mangel an Bildung in der eigenen Gesellschaft auseinanderzusetzen, räumt der Professor ein: „Deshalb wollen wir ein schönes Dokument erstellen, das verdeutlicht, warum dies wichtig ist und warum die Menschen in die Ausbildung zu diesem Thema investieren sollten. Denn wenn die neue Technologie kommt, wollen wir, dass jeder darauf vorbereitet ist, sie gut zu nutzen.“
(vatican news)
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