Vatikan: Kard. Becciu zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt
Christine Seuss und Salvatore Cernuzio - Vatikanstadt
Ursprünglich hatte die Anklage sieben Jahre und drei Monate Haft sowie eine Geldstrafe von 10.329 Euro für den ehemaligen Substituten des Staatssekretariats gefordert. Wie der Anwalt Beccius, Fabio Viglione, nach der Urteilsverkündigung mitteilte, respektiere man den Richterspruch zwar, werde aber in die Berufung gehen. Der Kardinal sei unschuldig, bekräftigte Viglione erneut.
Kardinal Giovanni Angelo Becciu, der prominenteste Angeklagte im Vatikanprozess und überhaupt der erste Kardinal, der sich vor einem Vatikangericht verantworten musste, wurde gemeinsam mit den anderen Angeklagten außerdem zu einer Schadensersatzzahlung zugunsten der Nebenkläger verurteilt, um den ihnen entstandenen Schaden zu ersetzen. Dieser wurde durch das Gericht auf insgesamt mehr als 200 Millionen Euro beziffert.
Darüber hinaus ordnete das Gericht auch die Beschlagnahme von Vermögenswerten an. Sie entsprechen den Summen, die als Kern der Straftaten identifiziert wurden und die sich auf eine Höhe von insgesamt mehr als 166 Millionen Euro belaufen.
Zehn Angeklagte, ein Freispruch
Um 16.05 Uhr startete in einem zum Gerichtssaal umfunktionierten Raum der Vatikanischen Museen die Verlesung des Urteils durch den Vorsitzenden Richter Giuseppe Pignatone. Insgesamt mussten sich zehn Angeklagte (zusätzlich zu vier Firmen, die ebenfalls angeklagt waren) vor dem Vatikangericht wegen verschiedener Anklagepunkte verantworten. Alle hatten die ihnen zur Last gelegten Delikte abgestritten. Kardinal Becciu wurde, wie auch die anderen Angeklagten, von einigen Anklagepunkten freigesprochen, anderer allerdings für schuldig befunden. Ein vollständiger Freispruch wurde nur für Monsignore Mauro Carlino, einen ehemaligen Mitarbeiter des Staatssekretariats, erteilt.
Insgesamt dauerte der Prozess zweieinhalb Jahre und zog sich über 86 Sitzungen. Viele der von der Staatsanwaltschaft angeführten Straftaten wurden durch das Gericht anders gewichtet.
Das in erster Instanz ergangene Urteil verhängte Haftstrafen von insgesamt 37 Jahren. Keine Haftstrafen gab es für René Brülhart und Tommaso Di Ruzzo. Die beiden ehemals leitenden Mitarbeiter in der vatikanischen Finanzaufsichtsbehörde AIF (mittlerweile ASIF) wurden jedoch zu einer Geldstrafe von je 1.750 Euro verurteilt, weil sie Verdachtsmomente nicht vorschriftsgemäß dem Kirchenanwalt gemeldet hätten.
Hohe Haftstrafen
Gegen Enrico Crasso, den ehemaligen Finanzberater des Staatssekretariats, verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren, eine Geldstrafe von 10.000 Euro sowie ein lebenslanges Verbot öffentlicher Ämter. Der Finanzberater Raffaele Mincione wurde zu 5 Jahren und 6 Monaten Haft sowie 8.000 Euro Geldstrafe verurteilt, außerdem kann er lebenslang keine öffentlichen Ämter im Vatikan wahrnehmen. Für den ehemaligen Angestellten der Verwaltung des Staatssekretariats, Fabrizio Tirabassi, wurden 7 Jahre Haft und 10.000 Euro Geldstrafe ebenso wie ein lebenslanges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter verhängt.
Der Rechtsanwalt Nicola Squillace erhielt nach Anerkennung mildernder Umstände ein Urteil über eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, die für fünf Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Für den Börsenmakler Gianluigi Torzi lautete der Richterspruch 6 Jahre Haft und 6.000 Euro Geldstrafe, zuzüglich zum lebenslangen Ausschluss von öffentlichen Ämtern und zur Unterstellung unter eine einjährige Sonderaufsicht gemäß Artikel 412 des Strafgesetzbuchs. Drei Jahre und neun Monate gab es für die Managerin Cecilia Marogna, ebenso ein Verbot für die Ausübung öffentlicher Ämter für den gleichen Zeitraum. Ihr Unternehmen Logsic Humanitarne Dejavnosti wurde mit einer Geldstrafe in Höhe von 40.000 EUR belegt.
Über 200 Millionen Dollar veruntreut
Mit Blick auf die Transaktionen, die zum Erwerb einer Immobilie in der Londoner Sloane Avenue getätigt wurden – das war der Kern-Anklagepunkt des Prozesses – hatte das Gericht festgestellt, dass in diesem Fall die Veruntreuung einer Summe von 200.500.000 US-Dollar aus den Beständen des Staatssekretariates vorlag. Dabei handelte es sich rund um ein Drittel der Mittel, die das Staatssekretariat damals zur Verfügung hatte. Diese Summe wurde auf Anweisung von Becciu zwischen 2013 und 2014 verwendet, um Anteile an einem Hedgefonds zu erwerben, der von Raffaele Mincione verwaltet wurde. Der Fonds sei hoch risikobehaftet gewesen und habe dem Investor keinerlei Kontrolle ermöglicht, wird in dem Richterspruch hervorgehoben.
Daher befand das Gericht Kardinal Angelo Becciu ebenso wie Mincione der Veruntreuung für schuldig. Mincione habe in direktem Kontakt zum Staatssekretariat gestanden, um die Überweisung des Geldes zu erwirken, „auch ohne dass die vorgesehenen Bedingungen erfüllt waren, sowie in konspirativer Zusammenarbeit mit ihnen Fabrizio Tirabassi, ein Angestellter des Verwaltungsbüros, und Enrico Crasso“, heißt es in der Urteilsverkündung.
Konspiratives Verhalten
In Bezug auf die spätere Verwendung dieser Summe, die unter anderem für den Erwerb der Gesellschaft, die Eigentümerin des Gebäudes in der Sloane Avenue ist, und für zahlreiche bewegliche Investitionen verwendet wurde, befand das Gericht Raffaele Mincione des Straftatbestands der Geldwäsche für schuldig. Dagegen schlossen die vatikanischen Richter die Verantwortlichkeit von Becciu, Enrico Crasso und Fabrizio Tirabassi in Bezug auf die anderen ihnen vom vatikanischen Kirchenanwalt vorgeworfenen Veruntreuungsdelikte aus, „weil das Staatssekretariat nicht mehr über das Geld verfügen konnte, nachdem es für die Zeichnung der Fondsanteile verwendet worden war“. Damit sei der ursprünglich identifizierte Straftatbestand der weiterführenden Veruntreuung ausgeschlossen, so das Urteil.
Crasso wurde allerdings zusätzlich des Vergehens der Geldwäsche in Bezug auf die Verwendung eines hohen Betrags von über einer Million Euro für schuldig befunden. Dieser stelle „den Gewinn aus der Straftat der Bestechung zwischen Privatpersonen“ dar, „die in Absprache mit Mincione begangen wurde“, heißt es im erstinstanzlichen Urteil von diesem Samstagnachmittag.
Rückkauf mit Geldwäsche
Im Zusammenhang mit dem Rückkauf der Unternehmen, die letztlich Eigentümer des luxuriösen Gebäudes in der Londoner Sloane Avenue waren, durch das Staatssekretariat in den Jahren 2018-2019 mittels einer komplexen Finanztransaktion befand das Gericht Gianluigi Torzi und Nicola Squillace des schweren Betrugs für schuldig. Torzi wurde in diesem Zusammenhang auch der Erpressung im Komplott mit Fabrizio Tirabassi „sowie des Deliktes der Geldwäsche des unrechtmäßig erlangten Betrags“ für schuldig befunden. Torzi, Tirabassi, Crasso und Mincione wurden hingegen vom Anklagepunkt der Veruntreuung freigesprochen, der ihnen im Zusammenhang mit der angeblichen Überbewertung des Verkaufspreises zur Last gelegt wurde, „weil der Straftatbestand nicht erfüllt ist“.
Auch Tirabassi wurde der Selbstgeldwäsche für schuldig befunden, da er den Betrag von über 1,5 Mio. USD, der ihm zwischen 2004 und 2009 von der UBS-Bank ausgezahlt wurde, für sich selbst behalten hatte. Das Gericht stellte fest, dass die Entgegennahme dieses Betrags durch den Angeklagten „den Straftatbestand der Bestechung erfüllte, der jedoch angesichts der verstrichenen Zeit inzwischen verjährt ist“.
Tommaso Di Ruzza und Renè Brülhart, ihrerseits der ehemalige Generaldirektor bzw. Präsident der A.I.F. (Financial Intelligence Authority), die in der letzten Phase des Rückkaufs des Gebäudes in der Sloane Avenue tätig waren, wurden hingegen von den ihnen zur Last gelegten Straftaten des Amtsmissbrauchs freigesprochen. Das Gericht befand sie lediglich der Unterlassung der Meldung und der Nichtmeldung einer verdächtigen Transaktion an den Kirchenanwalt für schuldig.
Zwei weitere Ermittlungsstränge
Im Rahmen des Vatikanprozesses wurden auch noch zwei weitere, untergeordnete Ermittlungsstränge bearbeitet. Dabei wurden Kardinal Becciu und Cecilia Marogna für schuldig befunden, über eine mit ihr verbundene Gesellschaft durch das Staatssekretariat Beträge in Höhe von insgesamt mehr als 570.000 Euro an Marogna überwiesen zu haben - „mit der unwahren Begründung, dass das Geld für die Befreiung einer Ordensfrau, die in Afrika entführt worden war, verwendet werden sollte“.
Mit Blick auf die „Sardinien-Affäre“ wurde der sardische Kardinal auch der Veruntreuung für schuldig befunden, weil er zweimal die Überweisung von insgesamt 125.000 Euro auf ein Konto der Caritas der Diözese Ozieri angeordnet hatte. Das Geld war eigentlich für die SPES-Genossenschaft bestimmt, deren Präsident sein Bruder Antonino Becciu war. „Obwohl der Endzweck der Gelder an sich rechtmäßig war, war das Kollegium der Ansicht, dass die Auszahlung der Gelder durch das Staatssekretariat in diesem Fall eine unrechtmäßige Verwendung derselben darstellte, die den Straftatbestand der Veruntreuung erfüllte, und zwar im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen Artikel 176 des italienischen Strafgesetzbuches, der das private Interesse an Amtshandlungen, auch durch Dritte, unter Strafe stellt, und im Einklang mit den Bestimmungen des Kanons 1298 des I.C.C., der die Veräußerung von kirchlichem öffentlichem Eigentum an Verwandte bis zum vierten Grad verbietet“, heißt es wörtlich im Urteil.
Letzte Aktualisierung um 18.59 Uhr.
(pm/agi/ansa/reuters/diverse - cs)
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