Kardinal Parolin: Papst bringt Frieden und Nähe nach Asien und Ozeanien
Das Interview führte Massimiliano Menichetti, Übersetzung Stefanie Stahlhofen
Vier Länder zwischen Asien und Ozeanien erwarten vom 2. bis 13. September den Papst, der ihnen das Licht Christi bringen will. Franziskus wird ein Zeuge des Dialogs sein, um eine geschwisterliche und solidale Wirklichkeit zu schaffen. Das betonte der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin im Interview mit den vatikanischen Medien kurz vor dem Abflug zur 45. apostolischen Auslandsreise. Nähe sei im Pontifikat von Papst Franziskus zentral, so der Vatikandiplomat. Parolin unterstreicht auch, dass in einer Welt, die von Kriegen und Gewalt gezeichnet ist, Frieden aufgebaut wird durch Begegnung und aufrichtige Beziehungen sowie eine Absage an Egoismen. Das Interview wurde vor dem Ableben seiner Mutter geführt, die am 31. August im Alter von 96 Jahren verstarb. Ihre Beerdigung findet am 3. September statt, so dass Kardinal Parolin, der eigentlich am Montag mit dem Papst abreisen wollte, seine Pläne ändern musste.
Eminenz, Papst Franziskus bricht bald auf zur längsten Reise seines Pontifikats: Er wird Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur besuchen. Welche Hoffnungen verbindet Franziskus mit dieser Reise?
Die erste Hoffnung, die Papst Franziskus hat, ist die Begegnung: Es liegt ihm am Herzen, die Bevölkerung der Länder, die er besucht, persönlich zu treffen. Um es mit anderen Worten zu sagen: Es geht ihm wieder einmal um Nähe, diese Nähe, die so sehr den Stil seines Pontifikats prägt. Auch seine Apostolischen Reisen sind ein bedeutender Ausdruck dafür: Nähe, um zuzuhören, Nähe, um die Schwierigkeiten mitzutragen, das Leid und die Erwartungen der Leute. Nähe, um zu allen die Freude, den Trost und die Hoffnung des Evangeliums zu bringen. Um die Worte von Papst Paul VI. zu paraphrasieren würde ich sagen, je weiter geografisch entfernt die Länder sind, die der Papst aufsucht, desto mehr spürt der Heilige Vater diese Dringlichkeit im Herzen.
Indonesien ist das Land, indem weltweit die meisten Muslime leben. Die Kirche ist dort dabei, Geschwisterlichkeit zu stärken und zu bezeugen - in einer pluralistischen Realität, die auch politische und gesellschaftliche Probleme angeht. Kann die Anwesenheit des Heiligen Vaters helfen, einen Weg zu Einheit zu beschreiten?
Die Gebiete, die der Papst besuchen wird, sind von kultureller und konfessioneller Vielfalt sowie von religiösen Traditionen geprägt. Es handelt sich wirklich um pluralistische Realitäten! Besonders denke ich hier an Indonesien, wo auch Dank der Pancasila, der fünf Grundsätze, auf die sich die Nation stützt, die Beziehungen der verschiedenen Gruppen untereinander bisher gegenseitige Akzeptanz lehren, in gegenseitigem Respekt, Dialog und Moderation. Entgegen jeglicher Tendenz, diese Situation zu ändern, entgegen jeglicher Versuchung der Radikalisierung, die es leider heute in allen Teilen der Welt gibt. Die Worte und Gesten des Heiligen Vaters werden eine starke und dringliche Einladung sein, diesen Weg nicht zu verlassen und sie werden dazu beitragen, die Geschwsterlichkeit zu unterstützen und zu ihr ermutigen, zu - so wie er selbst gerne sagt - Einheit in Vielfalt. Im Licht dieses Prinzips gilt es auch, die gesellschaftlichen und politischen Probleme anzugehen, die diese große Inselgruppe herausfordern.
In Papua-Neuguinea wird der Papst auf Völker mit einer antiken Tradition und starkem Glauben treffen. Das rohstoffreiche und sehr armen Land mit seiner unberührten Natur steht vor den Herausforderungen des Klimawandels, aber auch der Ausbeutung und Korruption. Port Moresby gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Wird der Besuch des Papstes einen neuen Ansatz bringen?
Ja, an Zeichen des Widerspruchs mangelt es auch in Papua-Neuguinea nicht: Dem außerordentlichen Ressourcen-Reichtum steht oft große Armut gegenüber, verursacht durch Ungerechtigkeit, Korruption und politische und wirtschaftliche Ungleichheit. Die Schönheit der unberührten Schöpfung muss die Rechnung der dramatischen Folgen des Klimawandels und der wahllosen Ausbeutung der Naturschätze zahlen. Papst Franziskus will alle möglichen Anstrengungen fördern - von Seiten der politischen Institutionen, der Religionen, aber auch durch den Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen -, um einen Ruck der Veränderung auszulösen, im Sinne eines lebendigen und beständigen Engagements in Richtung Gerechtigkeit, Aufmerksamkeit für die Ärmsten und Sorge für das gemeinsame Haus.
Osttimor wird das dritte Ziel der Apostolischen Reise sein. Bis zur Unabhängigkeit vor 25 Jahren erlebte das Land jahrelanges Leid. Das Land wird nächstes Jahr der ASEAN beitreten, aber es bestehen weiterhin starke Ungleichgewichte zwischen den Randgebieten und dem Zentrum. Welche Botschaft wird Franziskus diesem Ort bringen, an dem Glaube und Geschichte sich untrennbar miteinander verweben?
Da ich die Geschehnisse Osttimors in meiner Zeit als Beamter im Staatssekretariat persönlich verfolgt habe, war ich unmittelbarer Zeuge des Leidens, das die Geschichte dieses Landes geprägt hat. Man hatte das Gefühl, dass es sich um eine völlig festgefahrene, ausweglose Situation handelte. Deshalb habe ich das, was vor 25 Jahren mit der Erlangung der Unabhängigkeit geschah, immer als eine Art „Wunder“ betrachtet. Der christliche Glaube, der Osttimor zum ersten katholischen Land Asiens macht, hat eine entscheidende Rolle gespielt dabei, das Land bei seinen Anstrengungen zur Unabhängigkeit zu begleiten. Ich denke, dass nun genauso eine vertiefte spirituelle Bildung die Timoresen bei der Umgestaltung der Gesellschaft, der Überwindung von Spaltungen, der wirksamen Bekämpfung von Ungleichheit und Armut und der Bekämpfung negativer Phänomene wie der Gewalt unter Jugendlichen und der Verletzung der Würde der Frau leiten muss. Die Anwesenheit des Heiligen Vaters wird in dieser Hinsicht sicherlich ein entscheidender Impuls sein.
Letzte Etappe der Reise wird der Stadtstaat Singapur sein, ein Ort, an dem verschiedene Religionen harmonisch zusammenleben. Auf welche Weise könnte Papst Franziskus den interreligiösen Dialog noch weiter stärken und die Beziehungen der verschiedenen Gemeinschaften im Land untereinander?
Singapur, die letzte Etappe der langen Reise, ist ein Beispiel für friedliches Zusammenleben in einer multikulturellen und multireligiösen heutigen Gesellschaft. Wir befinden uns in einem Stadtstaat, der Leute aus allen Teilen der Welt beherbergt, ein Mosaik der verschiedenen Kulturen und spirituellen und religiösen Traditionen. Papst Franziskus wird hier im Besonderen auch junge Leute treffen, die im interreligiösen Dialog aktiv sind und ihnen die Zukunft dieses Wegs anvertrauen, damit sie die Protagonisten einer geschwisterlicheren und friedlicheren Welt werden.
Könnte diese Asien-Reise weitere Brücken öffnen und die bestehenden Beziehungen des Heiligen Stuhls und der asiatischen Länder noch weiter stärken?
Bei meiner Antwort auf diese Frage möchte ich auch von Singapur ausgehen. Die dortige Bevölkerung ist merheitlich chinesisch und daher ist es ein Land, das ein prädestinierter Ort ist für den Dialog mit der Kultur und dem chinesichen Volk im Allgemeinen. Indonesien, wie gesagt wurde, ist das Land mit der größten Anzahl Muslime; der Besuch in Jakarta kann daher eine günstige Gelegenheit für eine weitere Begegnung mit dem Islam und seiner asiatischen Komponente sein - aber nicht nur. Zwei, bald drei, der Länder dieser Papstreise sind Mitglieder der ASEAN, eines Verbandes, zu dem auch weitere bedeutende Nationen der Gegend zählen, beispielsweise Vietnam und Myanmar. Die Nähe und die Friedensbotschaft, die Papst Franziskus während dieser Reise bringt, gelten gleichermaßen für all diese Realitäten.
In diesem Moment aktueller großer internationaler Spannungen angesichts der Kriege, besonders in der Ukraine und im Nahen Osten, ist diese Reise in der Tat ein Samenkorn der Hoffnung, des Dialogs und der Geschwisterlichkeit. Wie kann das Bewusstsein der Internationalen Gemeinschaft gestärkt werden und dabei auch konkret Frieden auf der Welt, der aktuell in einem tiefen Schlund zu verschwinden scheint?
Ich komme hier noch einmal auf das Konzept der Nähe und des Beistands zurück, die ich oben bereits angesprochen habe. Um Frieden aufzubauen, müssen wir uns bemühen, gewisse Haltungen anzunehmen, für die jede Apostolische Reise steht: Begegnung, sich in die Augen schauen und aufrichtig miteinander sprechen. Direkte Begegnung, wenn sie von der Suche nach dem Allgemeinwohl inspiriert ist, und nicht von egoistischen Eigeninteressen, kann auch in den verhärtetsten und unsensibelsten Herzen eine Schneise schlagen und so einen respektvollen und konstruktiven Dialog ermöglichen.
(vatican news)
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