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Bei den Einkehrtagen Bei den Einkehrtagen  (ANSA)

Synode: Fr. Timothy Radcliffs 2. Meditation bei den Einkehrtagen

Wir dokumentieren an dieser Stelle die 2. Meditation, die Fr. Timothy Radcliffe OP am 30. September 2024 bei den Einkehrtagen zur Synode vor den Teilnehmern gehalten hat, in einer deutschen Übersetzung.

2. Meditation

Der verschlossene Raum Johannes 20, 19-29

Fr. Timothy Radcliffe OP 30. September 2024

Heute Morgen haben wir gesehen, wie die Jünger in der Dunkelheit umherliefen und den Herrn suchten. Der geliebte Jünger sieht und glaubt. Es ist Morgengrauen. Jetzt ist es Abend und wir sind wieder in der Dunkelheit, und sie sind in dem verschlossenen Raum nahezu unbeweglich.

Der Morgen war zunächst dunkel, weil sie den auferstandenen Herrn noch nicht gefunden hatten. Der Abend ist dunkel, weil sie noch nicht mit dem Heiligen Geist, dem lebendigen Atem des Auferstandenen, erfüllt sind. Jesus ist aus dem leeren Grab herausgestiegen. Sie befinden sich immer noch in der Gruft des verschlossenen Raumes. In der Genesis heißt es, dass „Gott, der Herr, am Anfang den Menschen aus dem Staub der Erde formte und ihm den Odem des Lebens in die Nase blies[1]; und der Mensch wurde ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7). Jetzt gibt Jesus ihnen den Atem des ewigen Lebens: „Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Sünden nicht vergebt, dem sind sie vergeben.“ Sie haben Anteil an seinem auferstandenen Leben und sind damit bereit, zum Predigen ausgesandt zu werden.

Heute Morgen haben wir gesehen, dass uns der Auftrag der synodalen Kirche dazu aufruft, wie Maria Magdalena, der geliebte Jünger und Petrus zu sein, die nach dem auferstandenen Herrn suchen. So müssen auch wir den Suchenden unserer Zeit nahe sein. Aber wir werden nur dann zu Predigern der Auferstehung, wenn wir in Gott lebendig sind. Erinnern wir uns an Irenäus: Gloria Dei, homo vivens; die Herrlichkeit Gottes ist ein Mensch, der lebt. Wie Lazarus hören wir die Stimme des Herrn, die uns aus unseren verschlossenen Räumen ruft: „Komm heraus und lebe“. Heiligkeit bedeutet, in Gott lebendig zu sein.

Ein Cousin von Charles de Foucauld, der den Freuden des Essens und Trinkens sehr zugeneigt war, beschreibt einen Besuch von Charles, der nach Jahren des Lebens in der Sahara für einen kurzen Besuch nach Paris zurückkehrte: „Er betrat das Zimmer, und mit ihm kam der Friede. Das Leuchten seiner Augen und vor allem dieses sehr bescheidene Lächeln hatten seine ganze Person erfasst. ... Es ging eine unglaubliche Freude von ihm aus... Als ich sah, dass meine ganze Summe von innerem Frieden nicht mehr als einen winzigen Bruchteil im Vergleich zu dem vollkommenen Glück des Asketen ausmachte, stieg in mir ein seltsames Gefühl auf, nicht von Neid, sondern von Respekt.“[2] Von der heiligen Teresa von Avila wurde gesagt, dass sie sich eines Lebens jenseits des Selbst in einem Zustand der Verzückung bewusst war.[3] Oder denken Sie an Carlo Acutis, einen hübschen italienischen Teenager, der Videospiele spielte. Millennials können hier einen aus ihrer eigenen Generation sehen, der wirklich lebendig ist. Die Herausforderung für uns besteht also darin, uns gegenseitig zu helfen, den verjüngenden Heiligen Geist tief einzuatmen! Für mich, der ich jetzt 80 Jahre alt bin, ist das eine ziemliche Herausforderung!

Die erste Aufgabe des Leitens (leadership) besteht darin, die Herde aus den winzigen Schafställen herauszuführen in die frische Luft des Heiligen Geistes. Leiten öffnet die verschlossenen Türen von stickigen Räumen. Die Jünger sind von der Angst gefangen gehalten. Denken wir also an die Ängste, die uns daran hindern können, in Gott lebendig zu werden und so das Evangelium vom Leben in Fülle zu predigen.

Wir alle kennen die Angst, verletzt zu werden. Einige von uns kommen mit der Sorge zu dieser Generalversammlung, dass wir keine Anerkennung und Akzeptanz finden werden. Unsere wertvollen Hoffnungen für die Kirche könnten verhöhnt werden. Wir fühlen uns vielleicht unsichtbar. Trauen wir uns zu sprechen und riskieren wir Ablehnung? Wenn man nicht an die Welt des Vatikans gewöhnt ist, mit ihren grandiosen Titeln und seltsamen Kleidern, kann das einschüchternd sein. Wir wagen es, das Risiko einzugehen, verletzt zu werden, denn der auferstandene Herr ist verwundet. Er zeigt ihnen seine Hände und seine Seite.

Die Osterpräfation geht noch weiter und verkündet: „Er lebt für immer“ (sed semper vivit occisus). Erinnern wir uns an die Worte meines Mitbruders Herbert McCabe: „Wenn du liebst, wirst du verletzt und sogar getötet werden. Wenn du nicht liebst, bist du bereits tot“. In Gott lebendig zu werden bedeutet, keine Angst vor Wunden zu haben.

Unser Priorat in Jerusalem befindet sich in der Nähe des Damaskustors. Dies ist ein spannungsgeladener Ort, an dem sich die Altstadt zum arabischen Viertel hin öffnet. Eine Gruppe junger Juden stand dort mit verbundenen Augen und bot jedem, der wollte, eine „kostenlose Umarmung“ an. Unentgeltliche Liebe im Angesicht des unentgeltlichen Hasses. Sie gingen das Risiko ein, dass sie statt einer Umarmung ein Messer erhalten würden.

Alan Paton war ein südafrikanischer Romancier, der sich mutig gegen die Apartheid einsetzte. Einer seiner Protagonisten sagt: „Wenn ich in den Himmel aufsteige, was ich sicherlich vorhabe, wird der Große Richter zu mir sagen: ‚Wo sind deine Wunden?‘ Und wenn ich sage, dass ich keine habe, wird er sagen: ‚Gab es denn nichts, wofür man kämpfen musste?‘“

Auf den Philippinen traf ich eine Frau, die durch Lepra vernarbt war. Die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte sie in einem Leprosarium, das von einem Zweig des Dominikanerordens, den Brüdern des Heiligen Martin, betrieben wird. Auch viele von ihnen leiden an Lepra. Sie hatte Angst, den Ort zu verlassen, selbst als sie geheilt war. Die Menschen würden ihre Narben sehen und sich fürchten, und so blieb sie dort gefangen. Eines Tages wagte sie sich nach draußen und entdeckte eine neue Mission: Sie reiste durch ganz Asien und lud leprakranke Menschen ein, vor die Tür zu kommen und zu leben.

Wir können das Risiko eingehen, verletzt zu werden, weil der Herr uns seinen Frieden geschenkt hat. Der Film „Des dieux et des hommes“ erzählt die Geschichte der Trappistenmönche, die sich weigerten, aus Algerien zu fliehen, als in den 1990er Jahren terroristische Gewalt ausbrach. Frère Luc, der alte Leiter der Gemeinschaft, sagt: „Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich bin ein freier Mann“ („Je ne crains pas la mort, je suis un homme libre“). Im altdominikanischen Ritus der Messe küsst der Priester den Kelch mit dem vergossenen Blut Christi, bevor er den Friedensgruß spricht.

Die erste Schöpfung begann mit „Es werde Licht“. Die neue Schöpfung beginnt mit „Es werde Frieden“. Diese Worte können nicht unausgesprochen bleiben. Mahatma Gandhi hatte ein Bild von Jesus in seinem Zimmer mit dem Zitat aus dem Epheserbrief: „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14). Jesus ist der Sabbat Gottes. In der frühen Kirche wurde „in pace“ auf die christlichen Gräber geschrieben. Wir sind in den Frieden Christi hineingetauft, den nichts zerstören kann. Wir brauchen vor nichts Angst zu haben.

In den späten Sechzigern wurde meine Dominikanergemeinschaft in Oxford von einer verrückten Gruppe angegriffen. Nicht die Jesuiten! Um zwei Uhr morgens sprengten zwei kleine Bomben alle Fenster an der Vorderseite des Priorats in die Luft. Wir wurden alle geweckt und eilten nach unten. Die Polizei kam und die Krankenwagen. Allein der Prior, Fergus Kerr, schlief noch fest. Der jüngste Novize wurde in sein Zimmer geschickt: „Fergus, Fergus, wach auf, es hat einen Bombenanschlag gegeben.“ „Gibt es Tote?“ „Nein.“ „Ist jemand verwundet?“ „Nein.“ „Geh weg und lass mich schlafen. Wir werden morgen früh darüber nachdenken.“ Meine erste Lektion in Sachen Führung.

Der Sieg ist errungen. Als die Henker Dietrich Bonhoeffer abholten, war seine letzte Botschaft an seinen Freund Bischof Bell von Chichester: „Sag dem Bischof ... unser Sieg ist gewiss.“ Einer der Brüder mag eine Geschlechtsumwandlung haben, der Verwalter mag mit dem Geld abhauen, die Kirche mag gesprengt werden! Aber Christus ist gestorben, Christus ist auferstanden und Christus wird wiederkommen.

Der Friede Gottes bedeutet nicht, dass wir uns in Frieden fühlen. Mein Novizenkollege Simon Tugwell OP schrieb: „Es geht nicht um eine subjektive Empfindung von Frieden; wenn wir in Christus sind, können wir in Frieden (im Rhythmus) sein und daher unruhig, auch wenn wir keinen Frieden fühlen.“[4] Vielleicht besteht für viele von uns die größte Herausforderung darin, mit uns selbst im Frieden zu sein. Trauen wir uns, unsere eigenen aufgewühlten und gespaltenen Herzen anzuschauen, die Teile von uns, die wir nicht mögen? Die Versuchung ist groß, das, was wir an uns selbst fürchten und nicht mögen, auf andere zu projizieren. Noch einmal Tugwell: „Frieden kommt mit einer unaufgeregten Selbsterkenntnis. .... Der Weg zum Frieden ist die Akzeptanz der Wahrheit. Jeder Teil von uns, den wir uns weigern zu akzeptieren, wird unser Feind sein und uns in eine defensive Haltung zwingen. Und die verworfenen Teile von uns selbst werden schnell eine Verkörperung in den Menschen um uns herum finden.“[5]

Unsere große Liebe zur Kirche kann uns paradoxerweise auch engstirnig machen: die Angst, dass sie durch zerstörerische Reformen, die die Traditionen, die wir lieben, untergraben, Schaden nimmt. Oder die Angst, dass die Kirche nicht zu dem offenen Haus wird, nach dem wir uns sehnen. Es ist sehr traurig, dass die Kirche oft von denen verletzt wird, die die Kirche lieben, aber anders! Der heilige Ephraim sagte, die katholische Kirche sei „die große Kirche mit dem großen Schoß“.[6] Ich traf einen deutschen lutherischen Theologen, der in Oxford lehrte, und er sagte: „Ich habe Angst, dass die Katholiken protestantisch werden.“ Manchmal vergessen wir die Weite des Katholizismus, mit seinem Sowohl-als-auch. Die Wahrheit, die wir lieben, ist, wie Bischof Robert Barron schrieb, „so weit wie das Universum und so spezifisch wie die Person Jesu“.[7] Vollkommene Liebe vertreibt die Angst. Sie soll die Angst derjenigen vertreiben, die eine andere Vorstellung von der Kirche haben. Die Kirche ist in den Händen des Herrn, und Gott hat versprochen, dass die Pforten der Unterwelt sie nicht überwältigen werden.

Während der napoleonischen Ära suchte ein aufgeregter Monsignore besorgt den Staatssekretär, Kardinal Consalvi, auf und sagte: „Euer Eminenz, die Lage ist sehr ernst. Napoleon will die Kirche zerstören.“ Darauf erwiderte der Kardinal: „Das ist nicht einmal uns gelungen!“

Unsere Liebe zur Kirche kann uns auf ganz unterschiedliche Weise in eine enge Welt einschließen, in der wir auf unseren kirchlichen Nabel schauen und andere beobachten, bereit, ihre Abweichungen zu erkennen und sie anzuprangern. Papst Franziskus sagte vor seiner Wahl, der Herr werde an die Tür klopfen und verlangen, aus der Sakristei gelassen zu werden! Natürlich gibt es Veränderungen, nach denen sich einige von uns sehnen, aber das soll uns nicht in unserer kleinen kirchlichen Welt einsperren. Wir werden langweilig sein! Gott offenbart sich auf den Gipfeln der Berge mit ihren unendlichen Horizonten und außerhalb des Lagers. Unsere Befreiung aus diesen Räumen braucht nicht nur Mut, sondern Gottes heilende Vergebung. Der auferstandene Herr sagt: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie nicht vergebt, dem sind sie nicht vergeben.“

Die Sünde sperrt uns in Gefängnisse des Narzissmus und der Parteipolitik ein, wie den älteren Sohn, der schmollt und nicht mitfeiern will, um seinen verlorenen Bruder zu empfangen. Noch einmal Herbert McCabe: „Unsere Natur selbst ruft uns zu etwas Neuem und Beängstigendem auf... Wir sind die Art von Wesen, die ihre Erfüllung, ihr Glück und ihr Aufblühen nur darin findet, sich selbst aufzugeben und über sich hinauszuwachsen. Wir müssen uns in der Liebe verlieren; das ist es, was wir fürchten. Wir sind aufgerufen, uns ins Unbekannte zu wagen, das Vertraute und Sichere aufzugeben und uns auf eine Reise oder Suche zu begeben. Und doch gehen wir nicht gern Risiken ein. Wir geben uns mit der Person zufrieden, die wir erreicht oder aufgebaut haben, weil wir Angst davor haben, nach dem Bild Gottes geschaffen zu werden. Dieses Versagen, auf den Ruf ins Leben zu antworten, dieses Versagen im Glauben, wird Sünde genannt.“[8]

Diese Synode ist also nicht ein Ort für Verhandlungen über strukturelle Veränderungen, sondern für die Entscheidung für das Leben, für Umkehr und Vergebung. Der Herr ruft uns aus der Enge heraus, in die wir uns geflüchtet haben und in der wir andere gefangen gehalten haben. Der Hymnus von Frederick Faber, einem Oratorianer des 19. Jahrhunderts, verkündet: „Gottes Barmherzigkeit ist so weit wie das Meer“.

Lasst uns beten, dass der Friede Christi die Gewalt, die in unseren Herzen wohnt und die unseren Herrn ans Kreuz geschlagen hat, zum Schmelzen bringt. Dorothy Day erklärte, dass „der große Kampf mehr gegen die Gewalt als gegen den Atheismus gerichtet ist“.[9] Sie sagte: „Wenn Christen versuchen, ihren Glauben mit Waffen, mit Zwang und Gewalt zu verteidigen, sind sie wie jene, die zu unserem Herrn sagten: ‚Steig vom Kreuz herab. Wenn du der Sohn Gottes bist, dann rette dich.‘“[10] Überwinden wir also in dieser Synode alle Gewalt in unseren Herzen: gewalttätige Gedanken und Worte. Unsere globale Kultur kultiviert eine gewalttätige Vorstellung. Bis zum Alter von 18 Jahren haben amerikanische Teenager im Durchschnitt 200.000 Gewalttaten und 16.000 Morde in den Medien gesehen.[11] Oft werden diese verherrlicht oder als amüsant dargestellt. Gewalt wird normalisiert und erscheint sogar harmlos, wenn man in Videospielen auf dämonische Feinde einprügelt. Diese scheinbar unschuldige Unterhaltung nährt eine gewalttätige Fantasie, die keine Schuld an der Zerstörung hat, weil in der Cyberwelt nichts real ist.[12]

Der Leib Christi wird durch vergiftete Websites entstellt, die mit grausamen Anschuldigungen, Karikaturen und Hass gefüllt sind. Jeder, der in der Kirche in irgendeiner Form Führungsaufgaben wahrnimmt, wird diese Erfahrung gemacht haben. Ich wurde als Ordensmeister beschuldigt, einem Provinzial die Erlaubnis erteilt zu haben, mit seiner Geliebten, einer Nonne, in einem Eisenbahnwaggon zu leben! Unsere gewalttätige Welt raubt so vielen Menschen sogar den Atem des Lebens. Die Sünde des Rassismus zum Beispiel lässt die Menschen buchstäblich nicht mehr atmen. „Ich kann nicht atmen“, waren die letzten Worte des Afroamerikaners Eric Garner, die elfmal wiederholt und auf den Telefonen von Schaulustigen aufgezeichnet wurden, als er vor zehn Jahren auf Staten Island, New York, von der Polizei zu Tode gewürgt wurde. Diese Worte sind zum Schlachtruf der Afroamerikaner geworden und stehen symbolisch für ihre Unterdrückung. Es waren auch die letzten Worte von Jamal Khashoggi, dem saudischen Journalisten, der am 2. Oktober 2018 im Konsulat seines Landes in der Türkei ermordet wurde.[13] Lassen wir uns gegenseitig Luft zum Atmen, den Sauerstoff der Debatte.

Dieser unzerstörbare Frieden bedeutet nicht, dass wir in perfekter Harmonie leben. Wir sind in dieser Aula versammelt, weil wir das nicht tun. Aber keine Zwietracht kann unseren Frieden in Christus zerstören, denn wir sind eins in ihm. Thomas Merton schrieb in seinem Asian Journal: „Wir sind bereits eins. Aber wir bilden uns ein, dass wir es nicht sind. Und was wir wiederfinden müssen, ist unsere ursprüngliche Einheit. Was wir sein müssen, ist das, was wir sind.“[14]

Aber Thomas war nicht da, als Jesus erschien. Vielleicht, weil er sich nicht fürchtete? Als Lazarus krank war, erklärte er sich bereit, nach Jerusalem hinaufzugehen und mit Jesus zu sterben (Joh 11,16). Er ist leidenschaftlich von der Wahrheit überzeugt: „Ich werde niemals, niemals, niemals glauben[15], wenn ich nicht meine Finger in seine Wunden lege“. Und als er den Herrn sieht, bekennt er leidenschaftlich: „Mein Herr und mein Gott“. Dieser leidenschaftliche Jünger lädt auch uns aus dem kleinen Raum ein.

„Mein Herr und mein Gott“. Dies ist buchstäblich eine theologische Aussage: ein Wort über Gott. Das Thema dieser Vollversammlung ist eine synodale Kirche in der Sendung. Das Herzstück dieser Sendung ist es, unsere Lehren zu lehren. Als Maria Magdalena beim Namen gerufen wird, antwortet sie „Rabbuni“, Lehrer. In den letzten Worten des Matthäusevangeliums sendet Jesus seine Jünger aus, alle Völker zu lehren. Wie sollen wir unsere christlichen Lehren mit einer Welt teilen, die sich nach einem Sinn sehnt?

In den armen Vororten von Paris bitten junge Katholiken darum, dass ihnen die Lehren der Kirche vermittelt werden, damit sie mit ihren muslimischen Freunden darüber sprechen können, was die Kirche lehrt. Anfang dieses Jahres gab es eine Versammlung: „Assume ta foi en banlieue“ („Nimm deinen Glauben in den Vorstädten an).[16] Die jungen Leute sind hungrig auf die reiche Frucht der Lehre der Kirche. „Mein Herr und mein Gott“. Sie werden nicht zufrieden sein, wenn wir ihnen nur Jesus anbieten, der ein netter Kerl war und will, dass wir nett zueinander sind.

Unsere Gesellschaft ist von einem tiefgreifenden Vorurteil gegenüber Dogmen befallen. Steve Jobs, Mitbegründer von Apple, brachte dies in seiner Abschlussrede in Stanford im Jahr 2005 auf den Punkt: „Eure Zeit ist begrenzt, also verschwendet sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lassen Sie sich nicht von Dogmen einfangen - das heißt, leben Sie mit den Ergebnissen des Denkens anderer Menschen.“ Natürlich wiederholte er damit nur ein veraltetes Dogma unserer Zeit und dachte nicht selbst an sich.

G.K. Chesterton meinte: „Es gibt nur zwei Arten von Menschen: solche, die Dogmen akzeptieren und es wissen, und solche, die Dogmen akzeptieren und es nicht wissen... Bäume haben keine Dogmen. Rüben sind einzigartig aufgeschlossen.“[17] Einige Dogmen unserer Zeit sind tatsächlich stickige, verschlossene Räume ohne Sauerstoff: Relativismus, alle Arten von Fundamentalismus, Materialismus, Nationalismus, Szientismus, religiöser Fundamentalismus. Sie sperren die Menschen in kleine, ängstliche Vorstellungsräume ein.

Aber die großen Lehren unseres Glaubens, unser Glaubensbekenntnis im Wesentlichen, öffnen die Türen unserer Herzen und unseres Verstandes. Sie drängen uns über kleine Antworten hinaus und treiben uns auf die endlose Suche nach dem einen, der die unendliche Liebe und die Wahrheit ist und der für immer unser Fassungsvermögen übersteigt. Als ich in den späten sechziger Jahren ein junger Bruder war und alles auseinanderzufallen schien, blieben die meisten von uns im Orden, weil wir die strahlende Schönheit des Glaubensbekenntnisses erblickten, die Wahrheit, die wir nicht besitzen, die aber uns besitzt. Die jüngeren werden mit nichts weniger zufrieden sein.

Wie können wir die Menschen unserer Zeit einladen, in den weiten Raum unseres Glaubens einzutreten? Wie können wir zum Beispiel ihre Vorstellungskraft mit der herrlichen Lehre von der Dreifaltigkeit berühren, der bodenständigsten und praktischsten Lehre, die es gibt? Hierfür brauchen wir die Hilfe von Theologen.

Auch Theologen ziehen sich manchmal aus Angst vor dem Gespräch mit dem Volk Gottes in den verschlossenen Raum der Wissenschaft zurück. Als ich als junger Bruder in Paris studierte, fragte ich einen anderen Dominikaner, worüber er promoviert habe. Er antwortete: „Mein junger Bruder (er war nur ein Jahr älter als ich), ich werde nicht versuchen zu erklären. Du würdest es nicht verstehen.“ Als ich 20 Jahre später als Ordensmeister zur Visitation zurückkehrte, sah ich ihn und sagte nichts!

Natürlich brauchen wir akademische Theologen - Exegeten, Philologen und Historiker -, die uns in dem halten, was der heilige Paulus „den Gehorsam des Glaubens“ nennt (Röm 1,5). Andernfalls werden wir die Heilige Schrift für unsere eigenen Zwecke nutzen und nicht für die Gottes. Aber diese harte Disziplin des Studiums steht letztlich im Dienst des Gesprächs mit unseren Zeitgenossen, um sie auf dem Weg in das unendliche Geheimnis der göttlichen Liebe zu begleiten.

Am Tag nach der letzten Generalversammlung rief Papst Franziskus zu einer Theologie auf, die im wohltätigen Gespräch mit Menschen anderer Überzeugungen steht. Er zitierte seine Worte an die Studenten der Katholischen Universität von Argentinien: „Gebt euch nicht mit einer Schreibtisch-Theologie zufrieden. Lasst euren Ort der Reflexion die Grenzen sein. [...] Gute Theologen riechen ebenso wie gute Hirten nach den Menschen und der Straße und gießen durch ihre Reflexion Öl und Wein auf die Wunden der Menschen.“[18] Gute Theologie öffnet die Türen von stickigen Räumen. Wie Thomas ist sie leidenschaftlich und unerschrocken. Sie lässt sich auf neue Redeweisen und neue Sprachen ein. Eine synodale Kirche in der Sendung wagt es, kühn und bescheiden zu lehren.

 

[1] Hier nicht Ruah aber neshama.

[2] Fergus Fleming, The Sword and the Cross, London 2003, p. 235 f.

[3] George Eliot, The Prelude to Middlemarch, first published in 1871

[4] Reflections on the Beatitudes, London 1980, p.114.

[5] P. 112.

[6] Zit. Tugwell ‘Scholarship, sanctity and spirituality’, p.53.

[7] The Lost Art of Waling on Water: Reimagining the Priesthood, Mahwah 2003, p.132.

[8] Herbert McCabe, God Matters, p.94-95.

[9] The Duty of Delight, p.943.

[10] Ebd. p.895.

[11] ‘Children, Violence and the Media’ A Report for Parents and Policy Makers Senate Committee on the Judiciary; Senator Orrin G. Hatch, Utah, Chairman of the Committee on the Judiciary Prepared by Majority Staff Senate Committee on the Judiciary September 14, 1999.

[12] Zit. nach Alive in God.

[13] Vgl. Alive in God.

[14] Asian Journal, New Directions, New York, 1973, p.308.

[15] Timothy L. Fox: www.modernreformation.org/resources/essays/jesus-resurrection-appearances

[16] Arnaud Bevilaqua, ‘The Great Awakening of young Catholics on the outskirts of Paris’, La Croix International, March 22, 2024.

[17] ‘The Mercy of Mr. Arnold Bennett’ Fancies vs. Fads, Dodd, Mead and Company, New York, 1923: http://www.gkc.org.uk/gkc/books/Fancies_Versis_Fads.txt

[18] Ad theologiam promovendam’, November 1st 2023.

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30. September 2024, 18:32