ELN-Verhandlungsstopp in Kolumbien: Ein Hintergrundgespräch mit Adveniat
Christine Seuss - Vatikanstadt
Der Chefunterhändler der Rebellen, Pablo Beltran, hatte am Dienstag in Quito gegenüber Medien verlauten lassen, er wünsche sich einen erneuten Waffenstillstand. Die Lage scheint verfahren. Das Lateinamerika-Hilfswerk der deutschen Bischöfe Adveniat ist mit vielen Projekten in Kolumbien präsent. Wir haben mit Kolumbienreferentin Monika Lauer Perez gesprochen und sie gefragt, warum sich die Gespräche mit der ELN um so vieles schwieriger zu gestalten scheinen, als diejenigen mit den FARC-Rebellen - an deren Ende immerhin die erfolgreiche Unterzeichnung eines Friedensvertrages stand.
Lauer Perez: „Das ist im Prinzip ein Problem, das schon lange vor Aufnahme der Gespräche bekannt war. Das hat ein bisschen mit der Geschichte der Guerilla zu tun, die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) kommen aus der Tradition der Bauernaufstände, während die ELN (Ejército de Liberación Nacional) sich eher aus den Universitäten und dem städtischen Bildungsbürgertum rekrutiert. Die sind ideologisch sehr viel komplexer aufgestellt und haben daher auch einen anderen ideologischen Anspruch als beispielsweise die FARC. Schon während die Gespräche mit der FARC liefen, wurde immer gesagt: ,Wenn wir einmal mit der ELN reden, wird es sicherlich sehr viel komplizierter´. Dazu hat dann die ELN während der Verhandlungen auf Kuba und auch nach Abschluss des Friedensvertrages immer gesagt, die FARC habe sich von der Regierung über den Tisch ziehen lassen. Ich glaube, dass die ELN hier noch einmal ein Zeichen setzen will, dass sie sich keinesfalls mit so wenig zufrieden geben will wie ihrer Ansicht nach die FARC das getan hat.“
Vatican News: Für zwei weniger verheerende Attacken von diesem Wochenende wollte die ELN nicht die Verantwortung übernehmen, auch wenn die Ermittler von einem Zusammenhang ausgehen. Was wird mit diesem Katz- und- Maus- Spiel bezweckt?
Lauer Perez: „Das ist relativ schwierig zu beantworten, Die Vermittler gehen davon aus, aber wissen tun sie es auch nicht. Dazu kommt, dass die ELN eher dezentral organisiert ist. Es ist also nicht so eine straffe hierarchische Organisation wie bei der FARC, sondern die Gruppen in den einzelnen Regionen agieren relativ autonom, was die Verhandlungen auch noch einmal wesentlich komplexer macht. Und da kann es natürlich sein, dass eine Gruppierung dahinter steckt, die sich nicht mit den anderen abgesprochen hat. Auf der anderen Seite gibt es sicherlich genügend Gruppen, die möglicherweise so einen Anschlag begehen und dann der ELN in die Schuhe schieben wollen. Da wäre ich sehr vorsichtig, bevor das nicht einwandfrei bewiesen ist, hier die Verantwortung der ELN festzustellen.“
Vatican News: Was könnte man sich denn überhaupt von einer Einigung mit der ELN erhoffen? Es werden ja immer mehr Stimmen laut, die meinen, auch mit dem FARC-Friedensschluss hätte sich nichts zum Besseren verändert.
Lauer Perez: „Im Grunde ist es so, dass das, was mit der FARC ausgehandelt wurde, sozusagen Minimalvoraussetzungen dafür sind, um überhaupt in Kolumbien strukturell und kulturell die Voraussetzungen für Frieden zu schaffen. Das ist für die ELN beispielsweise noch sehr viel deutlicher. Und die sagen in Richtung der Regierung, jetzt habt ihr das Abkommen mit der FARC geschlossen und selbst diese Minimalvoraussetzungen werden nicht erfüllt. Wie glaubwürdig ist es, dass eine solche Regierung tatsächlich etwas für das Wohl des Volkes tun wird. Und dabei darf man auch nicht vergessen, dass Santos der klassischen Elite angehört, der Oligarchie, und von der ELN sozusagen als der große Klassenfeind angesehen wird. Die sagen ganz deutlich, er tut sowieso nichts anderes als gute Voraussetzungen für seine eigenen Leute zu schaffen.“
Vatican News: Inwieweit sind diese Vorwürfe an Santos denn eventuell sogar gerechtfertigt?
Lauer Perez: „Man muss sich diese Sache sehr vorsichtig und differenziert ansehen. Denn eines ist ganz klar, es ist sicherlich richtig und wichtig gewesen, diese Verhandlungen mit der FARC zu führen, das hat sehr viel Anstrengung gekostet, es auch bis zu diesem Friedensschluss auf Papier zu bringen. Wenn wir uns jetzt die Zeit danach ansehen, etwas mehr als ein Jahr ist vergangen, dann muss man einfach sagen, die Taten belegen etwas anderes. Und das, was immer als das wichtigste angesehen wurde, nämlich die Agrar- und Landreform, genau an diesem Punkt passiert wenig bis gar nichts. Und es ist ja in Kolumbien immer eine der großen Konfliktlinien gewesen, dass der große Landbesitz konzentriert in einigen Händen liegt, und die Kleinbauern sozusagen nicht einmal einen Acker haben, um für sich selbst einen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Also diese große soziale Ungleichheit, die wird bis heute noch nicht richtig in Angriff genommen.“
Vatican News: Mit ein wenig Abstand betrachtet: Hat der jüngste Papstbesuch in Kolumbien in punkto Friedensarbeit denn etwas gebracht?
Lauer Perez: „Ich würde sagen, es hat etwas gebracht. Dieses Bewusstsein, was ohnehin schon nach dem Friedensschluss mit diesem Friedensschluss ist aber deutlich noch einmal geschärft worden, dass es für jeden eine Aufgabe ist, sich wirklich mit dem Thema Versöhnung zu beschäftigen, Aber ich glaube, dass das weniger eine politische Dimension hat, sondern vielmehr tatsächlich im Bewusstsein und in den Herzen der Menschen geschieht, die gesagt haben, wir müssen unseren Teil dazu tun. Und wenn Sie in Kolumbien sind, werden Sie sehen, dass ganz besonders Menschen, die sehr unter diesem Konflikt gelitten haben, bereit sind, dieses Kapitel abzuschließen und wirklich einen Schritt nach vorne zu tun. Also die Sehnsucht danach ist sehr groß und ich glaube, der Papst hat da noch einmal so etwas wie Hoffnung gemacht.“
Vatican News: Was ist die Strategie der Regierung, um Kolumbien sicherer zu machen?
Lauer Perez: „Im Moment ist es wegen der bevorstehenden Parlaments- und Präsidentenwahlen eine schwierige Situation. Das Ansehen von Santos ist wirklich im Keller. Das hat natürlich auch mit dazu geführt, dass er einen so drastischen Schritt gemacht hat, die Gespräche mit der ELN zu unterbrechen. Denn das wurde von allen Seiten von ihm gefordert, egal ob es Anhänger oder Gegner der Regierung waren. Er sollte ein deutliches Zeichen setzen. Die Präsenz der Sicherheitskräfte ist leider dort, wo es wirklich gefährlich ist, viel zu wenig und Kolumbien ist nicht wirklich sicherer geworden. Das sagen auch die Menschen dort, dass alles irgendwie undurchsichtiger geworden ist. Früher wusste man ganz genau, wo man lieber nicht hingehen sollte, weil da geschossen wurde, oder weil ELN oder Paramilitärs marodierten. Diese klaren Zuordnungen sind einfach nicht mehr da. Und dadurch ist die gefühlte Unsicherheit für die Menschen eher noch größer geworden. Auch die Kirche sagt, es ist sehr wichtig, weiter daran zu arbeiten, die Parteien wieder an einen Tisch zu bekommen und wieder in Dialog einzutreten, denn im Moment ist von Sicherheit in Kolumbien nicht zu sprechen.“
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