Frankreich: Die Armen müssen warten
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Erst im September wird die Regierung ihre Strategie im Kampf gegen Armut vorstellen, das kündigte Präsident Emmanuel Macron – sonst eher kein Freund des langen Abwägens und Verschiebens – am Montag in Versailles bei seiner Rede zur Lage der Nation an.
Die Hilfswerke in Frankreich würden aber schon ganz gerne wissen, wohin die Reise im humanitären Bereich geht, schließlich ist Macron jetzt ein gutes Jahr im Amt. „Wir sind da ein bisschen in Abwarte-Haltung“, sagt uns Didier Degrément, Vizepräsident des katholischen Hilfswerks Secours catholique. „Wir fragen uns schon: Warum dieser Aufschub? Warum noch länger warten müssen?“
Keine neuen Hilfen für die Schwächsten
Auf eine Verschiebung des Aktionsplans war beim Secours catholique niemand eingestellt: „Überhaupt nicht. Das geschah plötzlich und unerwartet; Macron hat es uns übermittelt, damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet.“
Zum Inhalt des Plans blieb Macron in Versailles sibyllinisch: Da werde es „keine neuen Hilfen für die Schwächsten“ geben, ließ er wissen. Das erinnert an seine Strategie für die berüchtigten armen Vorstädte, die Banlieues: Keine neuen Gelder reinpumpen, stattdessen „echte Begleitung“, konkrete Chancen bieten.
Wie beim Thema Migration ist eine Zusammenarbeit aller Kräfte nötig
Je nach Zählung leben in Frankreich zwischen fünf und neun Millionen Menschen in Armut – vor allem wegen Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Armen ist seit 2008 stark gestiegen.
„Also, zunächst einmal muss da endlich einmal ernstgenommen werden, dass es Armut in Frankreich gibt, und dass sie viele Formen hat“, sagt Degrémont. „Und dann braucht es genauso wie beim Thema Migration eine Zusammenarbeit aller Kräfte. Experten machen schon seit Jahren detaillierte Vorschläge. Wir bräuchten eine Partnerschaft zwischen dem Staat und den Hilfsverbänden, was die Bereitstellung von Hilfen betrifft, Unterkünfte… Und es braucht natürlich Gelder. Armut ist in unserer Gesellschaft sehr vielfältig; wir brauchen stabile Strukturen und ein klares Regelwerk für alle.“
Der Staatschef, ein früherer Banker, wird von seinen Gegnern als „Präsident der Reichen“ tituliert. Aber Degrémont hofft, dass es Macron mit dem Einsatz für die Ärmeren im Land ernst ist.
„Als französischer Bürger würde ich meinem Präsidenten seine Beteuerungen gerne glauben… Natürlich hat er vor allem mit dem Europa-Dossier im Moment viel zu tun – aber er will ja ein großer Staatsmann sein, da wird er auch seine Verantwortung im humanitären Bereich kennen. Und seit er beim Papst war, habe ich das Gefühl, dass es mit Macron realistische Lösungen geben wird. Da ist etwas vor sich gegangen…“
Hunderte von Kindern leben in Frankreich auf der Straße
Ende Juni traf sich Macron im Vatikan zu einem langen Vier-Augen-Gespräch mit Papst Franziskus. Danach wirkte er beeindruckt. In seiner Versailler Rede erwähnte er am Montag, dass eines von fünf Kindern in Frankreich in Armut lebt.
„Es ist schon etwas Schmerzhaftes, überhaupt eingestehen zu müssen, dass in Frankreich Hunderte von Kindern auf der Straße leben – das ist eigentlich unvorstellbar! Das kann man eigentlich nicht akzeptieren. Ja, wir brauchen einen Aktionsplan: All die Familien, die auf der Straße sitzen, brauchen dringend eine Unterkunft, und jemanden, der sich um ihre Belange kümmert und ihnen hilft, aus dieser katastrophalen Lage herauszukommen.“
Im September kommt also der französische Aktionsplan gegen Armut. Und vorher wird Frankreich, vielleicht, Fußball-Weltmeister.
(vatican news)
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