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Venezuela: „Wir sind Arme, die Arme versorgen“

Stetig ansteigende Inflation, politische Unsicherheit und Armut lassen kaum eine andere Wahl: Unzählige Venezolaner verlassen aufgrund der Krise ihr Heimatland. An der Grenze zu Kolumbien kümmern sich Priester um die Auswanderer. Johan Pacheco und Tobias Lehner haben ihren Dienst begleitet. Ein Feature von „Kirche in Not“.

„Viele Menschen sitzen weinend in einer Kirchenbank oder vor dem Portal. Sie bekommen erst mal kein Wort heraus – so groß sind ihre Sorgen“, erzählt Esteban Galvis. Er ist Pfarrer der Gemeinde „Unsere Liebe Frau von Lourdes“ in Aguas Calientes, einem Stadtteil von Ureña im Nordwesten Venezuelas. Von dort sind es nur noch wenige Kilometer zum Rio Táchira, der die Grenze nach Kolumbien markiert.

 

Inflation bis zu einer Million Prozent erwartet

 

In der aktuellen Krise, die Venezuela heimsucht, ist Aguas Calientes deshalb für viele Menschen zum letzten Stopp geworden, ehe sie ihre Heimat verlassen. Eine stetig ansteigende Inflation, politische Unsicherheit und Armut lassen ihnen kaum andere Wahl. Einer jüngsten Einschätzung des Internationalen Währungsfonds zufolge könnte die Inflationsrate in Venezuela bis Jahresende bei einer Million Prozent liegen. Die Opposition wirft Präsident Nicolás Maduro vor, den Ernst der Lage zu ignorieren und eine Diktatur zu errichten. Kritiker, darunter auch Kirchenvertreter, würden systematisch verfolgt. Maduro beschuldigt hingegen seine Gegner, mit Hilfe der USA einen Umsturz im Land vorzubereiten.

Trotz all dieser Probleme und der zunehmenden Unsicherheit – der Abschied von der Heimat schmerzt, wie Pfarrer Galvis jeden Tag erlebt: „Die Menschen sind so traurig, weil sie Venezuela verlassen müssen. Sie sorgen sich um ihre Angehörigen. Aber sie sehen keine Zukunft, weil sie nicht mehr zu essen haben oder lebensnotwendige Medikamente hier nicht mehr zu bekommen sind.“

Der Priester und ehrenamtliche Helfer gehen täglich mehrmals durch die Kirche oder lesen auf dem Vorplatz gestrandete Menschen auf. Hinter vielen von ihnen liegen tagelange Strapazen – und oft ist kurz vor der Ausreise auch erst einmal Schluss. Kolumbien hat wiederholt die Grenze vor dem Flüchtlingsansturm dichtgemacht. Oft fehlt auch das Geld für die Ausreiseformalitäten.

So wie bei Juan Carlos und seiner Frau, deren Geschichte sich dem Geistlichen besonders eingebrannt hat: „Sie saßen weinend vor der Kirche. Das Geld zur Weiterreise war ihnen ausgegangen. Sie hatten buchstäblich nur noch das, was sie am Leib trugen.“ Galvis lud sie ein, bei ihm zu essen. Dabei hat er selber kaum etwas. Er bekommt einen geringen Lohn von seiner Diözese, doch die Inflation zehrt alles auf. „Wir sind hier selber Arme, die Arme versorgen“, sagt der Priester. „Oft kann ich nur ein Glas Limonade anbieten.“ Die ständig ansteigende Inflation machten es zum Beispiel unmöglich, allen Auswanderern regelmäßig eine warme Mahlzeit anzubieten oder eine medizinische Versorgung aufrecht zu halten.

 

Das Wenige wird zum Segen

 

Doch auch das Wenige wird für viele Auswanderer zum Segen, so auch für Juan Carlos und seine Frau. Ein Gemeindemitglied erklärte sich bereit, den Beiden Obdach zu geben. Und dort sind sie bis heute geblieben. Jeden Tag pendelt Juan Carlos über die Grenze nach Kolumbien, verdient dort den Lebensunterhalt für sich und seine Frau. Sie sparen für die Ausreise.

Viele Auswanderer kämen auch von sich aus auf den Priester zu, erzählt Galvis. Dabei gehe es ihnen aber nicht um Essen oder ein Bett: „Viele kommen her, um vor der Auswanderung zu beichten und sich in Gottes Hand zu begeben.“ Überhaupt seien das Gebet und die Seelsorge die wichtigsten Werkzeuge in dieser angespannten Situation, ist der Pfarrer überzeugt: „Unsere Aufgabe ist es, die Menschen im Licht des Wortes Gottes zu trösten.“ Dazu gehöre neben der karitativen Hilfe auch die geistliche Betreuung. Galvis veranstaltet deshalb Tage der Eucharistischen Anbetung in seiner Pfarrkirche und hat zusammen mit Katecheten Seelsorgeangebote rund um die Uhr eingerichtet.

Das Engagement der Gemeindemitglieder sei vorbildlich, erzählt der Pfarrer stolz. Bei einer Versammlung mit dem zuständigen Bischof von San Cristóbal hätten die Gemeinden im Grenzgebiet ihre besondere Verpflichtung in der Sorge um die Auswanderer erneuert. „Wir machen auf jeden Fall weiter – auch wenn es nicht genug für alle gibt“, erklärt Galvis. „Aber was wir immer geben können, ist unser Trost für die Menschen, die hierherkommen und leiden. Gott ist unsere einzige Kraft.“

Ein Feature von Johan Pacheco und Tobias Lehner für Kirche in Not

 

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26. Juli 2018, 14:47