Papstbesuch Lettland: Eine traditionelle Kirche im Aufbruch
Gudrun Sailer – Vatikanstadt/Baltikum
Die Kirche braucht eine Bestärkung, dass sie in der neuen, modernen, säkularen Welt immer noch ihren Platz und ihre Rolle hat.
Vatikan News: In den meisten Teilen Lettlands halten sich katholische und protestantische Christen die Waage, die Katholiken machen 25 Prozent aus. Wie groß ist das Thema Ökumene?
Angelika Schmähling: „Da die Konfessionen sich die Waage halten, muss Ökumene ein Thema sein. Die Konfessionen müssen zusammenarbeiten, um gemeinsam in Politik und Gesellschaft Ziele zu erreichen. Ich habe den Eindruck, dass sie das auch tun.“
Vatikan News: Lettland hat, ähnlich wie Estland, heute noch eine nennenswerte russische Bevölkerung. Wie äußert sich das in der Gesellschaft?
Angelika Schmähling: „Das ist keine einfache Frage. Die Rolle der russischen Minderheit sorgt immer noch für politische Spannungen. Diese Leute leben oft schon seit Generationen im Land. Viel sind in der Sowjetunion gekommen. Sie sind längst in Lettland heimisch geworden, bewahren sich aber auch ihre eigene Identität und vor allem die russische Sprache. Dieser russische Hintergrund ist oft mit der orthodoxen Konfession verbunden. Dadurch kommt es zu einer Spaltung. Auf der einen Seite stehen die traditionell katholischen oder protestantischen Letten. Sie sind meist auf ihre Sprache und ihre Nation sehr stolz. Auf der anderen Seite steht die russischstämmige Bevölkerung. Auch sie hält an ihrer Tradition fest. Das beides zusammenzubringen, ist nach wie vor schwierig.“
Vatikan News: Was bedeutet das für die Ökumene?
Angelika Schmähling: „Was die Ökumene betrifft, spielt die Orthodoxie nicht die erste Rolle. Da gibt es immer noch die internationalen Spannungen zwischen Moskauer Patriarchat und Vatikan. Die Ökumene zwischen katholischer und evangelischer Kirche im Land ist jedoch stark – auch, weil die evangelische Kirche der katholischen Kirche sehr nah steht und deutlich konservativer ist, als das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist.“
Vatikan News: Die Hoffnung der baltischen Nationen sind die jungen Menschen, das gilt besonders auch für Lettland, und das Treffen des Papstes mit Jugendlichen wird viele anziehen. Wie geht es jungen katholischen Gläubigen oder überhaupt Jugendlichen heute in Lettland?
Angelika Schmähling: „Genauso wie in Litauen gibt es in Lettland das Problem der Abwanderung. Junge Leute gehen vom Land in die Stadt, um dort zu studieren. Viele gehen aber auch ins Ausland, um dort zu arbeiten. Ein Grund dafür ist, dass die Löhne im Land sehr niedrig sind. Das ist eine Herausforderung für die Kirche. Innerhalb der Kirche haben es die Jugendlichen aber auch nicht leicht. Die Kirche ist traditionell geprägt. Jugendgottesdienste gibt es eher selten. Da könnte es noch mehr Schwung geben.“
Vatikan News: In Lettland besucht der Papst auch den Marienwallfahrtsort Aglona. Dort findet zu Maria Himmelfahrt eine vielbesuchte Nationalwallfahrt statt, und Franziskus feiert dort die Messe. Welche Bedeutung hat Aglona für Lettland?
Angelika Schmähling: „Die Marienverehrung ist in Lettland sehr stark. Sie ist Teil der Volkskirche. Dementsprechend wurde auch das Motto gewählt: „Zeige dich als Mutter“. Aglona ist der zentrale Wallfahrtsort im ganzen Land. Das ist eindrucksvoll: einmal im Jahr zu Maria Himmelfahrt pilgern die Menschen aus ganz Lettland dort hin. Teilweise sind sie mehrere Wochen dafür zu Fuß unterwegs. Einige kommen auch mit dem Fahrrad. Sie versammeln sich alle dort, um gemeinsam Messe zu feiern. Das wird auch beim Papstbesuch so sein.“
Vatikan News: Lettland ist stark auf die Hauptstadt Riga hin konzentriert. Inwiefern ist diese Zentralisierung auch in der katholischen Kirche in Lettland zu spüren?
Angelika Schmähling: „Die Zentralisierung ist sehr stark zu spüren. Das ist auch von der Person abhängig - Riga hat einen starken Metropoliten. Außerdem sind in Riga viele Orden ansässig. Zudem gibt es dort die theologische Ausbildung. Auch haben sich in den letzten Jahren viele interessante Projekt in der Stadt angesiedelt. Es gibt zum Beispiel ein Familienzentrum und verschiedene Suchthilfeprojekte. Momentan ist leider alles noch auf Riga konzentriert. Das liegt auch daran, dass die Katholiken in anderen Landesteilen häufig in der Minderheit sind. Es ist aber zu hoffen, dass das langsam in alle Landesteile ausstrahlt.“
Vatikan News: Wie sieht der lettische Episkopat heute aus – was sind das für Bischöfe?
Angelika Schmähling: Im Nachbarland Litauen gibt es sehr viele junge Bischöfe, das ist eine ganz neue Generation. In Lettland hingegen hat dieser Generationenwechsel noch nicht stattgefunden. Es gibt vier Bischöfe. Von ihnen sind drei schon über 60 Jahre alt, das heißt sie sind in der Sowjetunion aufgewachsen, sozialisiert und wurden im Untergrund zum Priester ausgebildet. Die Bischöfe sprechen zwar fließend Lettisch, Polnisch und Russisch, können aber kein Italienisch oder Englisch. Dadurch fehlt der Anschluss an die Weltkirche noch ein wenig. Die Erfahrungen der Kirche im Untergrund prägen diese Bischöfe heute immer noch. Umso wichtiger ist es auch, auf die Laien zu schauen. Da sieht man in den letzten Jahren einen guten Aufschwung. Eine schöne Entwicklung ist auch, dass sich in den letzten Jahren auch viele Orden neu in Lettland angesiedelt haben – zum Beispiel Dominikanerinnen und Jesuiten. Seit kurzem gibt es sogar einen kontemplativen Karmel.“
Vatikan News: Was erwarten sich die Menschen in Lettland von Papst Franziskus?
Angelika Schmähling: „Das wichtigste Wort für alle drei Länder ist die Ermutigung. Auch die Worte für die Zukunft und an die Jugend – dass sie ihre Zukunft im eigenen Land aufbauen können und keine Angst haben müssen, werden erwartet. Die Kirche braucht eine Bestärkung, dass sie in der neuen, modernen, säkularen Welt immer noch ihren Platz und ihre Rolle hat. Persönlich wünsche ich mir Worte der Ermutigung für die Laien und die Frauen, damit sie zu ihrer Berufung in der Kirche stehen können.“
(Vatican News - gs)
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