Syrien/Irak: „Der Islamische Staat ist noch lange nicht besiegt“
Christine Seuss und Marine Henriot - Vatikanstadt
„Die Strategie des islamischen Staates ist sehr klar. Was wir heute sehen, war schon länger vorbereitet“, betont Matteo Puxton, ein französischer Professor für Geschichte und Spezialist für die islamistischen Milizen des Daesh (IS).
Zwar musste die Terrorgruppe vor einem Jahr den Verlust von Territorium und den Fall des Kalifats eingestehen. Doch was in den Augen von politischen Führern wie Emmanuel Macron, Vladimir Putin oder Bashar al-Assad als endgültiger militärischer Sieg galt, war noch lange nicht die endgültige Niederlage der Islamisten, sagt Puxton. Denn diese spönnen in der Region weiterhin ihr Netz und blieben in Form von Aufständen in offiziell besiegten IS-Städten wie Rakka oder Manbij präsent.
„Ich glaube, man war da ein bisschen voreilig. Im November 2017 hat der Islamische Staat zwar den wichtigsten Teil seines Territoriums in Syrien eingebüßt, vor allem wegen des Vordringens der syrischen Armee; daraufhin haben viele wichtige Politiker, etwa der russische Präsident Putin, der syrische Präsident Assad oder auch der irakische Ministerpräsident Abadi vom endgültigen Sieg über den IS geredet – so als wäre die Sache damit abgetan. Jetzt aber wird auf einmal klar, dass das gar nicht stimmte. Im Irak hat die Gruppe sehr schnell auf Guerilla umgeschaltet, wie eine ganze Reihe von Anschlägen zeigt. Und in Syrien haben wir das gleiche Bild. Man war also zu voreilig, als man den Sieg über den IS proklamierte.“
Auch zivile Opfer in der Schlacht von Deir ez-Zor
Obwohl der IS in Syrien Schlüsselgebiete verloren hat, ist seine zerstörerische Kraft nach wie vor enorm. Die letzte Schlacht in der Provinz Deir ez-Zor im Osten des Landes, vom Freitag, 23. November bis Sonntag, 25. November, liefert dafür den Beweis. Mehr als 200 Menschen wurden getötet, darunter auch 51 Zivilisten. 19 der Opfer seien Kinder, Familienmitglieder der islamistischen Kämpfer, wie es hieß. Einen besonders hohen Blutzoll zahlten die Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte, die sich aus kurdischen und arabischen Milizen zusammensetzen und an vorderster Front gegen die Bedrohung des IS ankämpfen. Diese blutigen Zusammenstöße seien das Ergebnis einer verfehlten Politik, meint Matteo Puxton, Autor des Blogs Historicoblog.
Der IS wurde zu lange in Ruhe gelassen
„Was ist wirklich passiert? Im November 2017 hat man auf die Säuberung der letzten Enklaven verzichtet. In der Nähe von Damaskus etwa konnte sich eine solche Enklave halten bis zum Mai dieses Jahres – also sechs Monate lang. Erst dann wurde sie von der syrischen Armee eingenommen. Auf den Golanhöhen in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Israel hat die syrische Armee erst im Juli einen örtlichen Ableger des Islamischen Staats vernichtet. Im Irak hält der Islamische Staat weiterhin ein Territorium am Euphrat; die Kurden sind im letzten November dagegen vorgegangen, wurden aber erst vom schlechten Wetter gestoppt und dann von der türkischen Offensive auf (die kurdische Stadt) Afrin abgelenkt.“
Gute Ausstattung der Islamisten
Derartige politische Scharmützel spielten den verbliebenen Islamisten also direkt in die Hände, so die Analyse des Fachmanns. Momentan sei keine Besserung in Sicht:
„In der letzten Enklave, die der Islamische Staat im Irak hält, ist er monatelang in Ruhe gelassen worden. Das hat er dazu genutzt, zu neuen Kräften zu kommen und sich neu zu organisieren. Darum reagiert er dort jetzt auf Angriffe sehr massiv – vor allem bei schlechtem Wetter, wenn die gegnerischen Drohnen nicht aufsteigen können. Außerdem sind die arabischen Milizionäre, die ihm direkt gegenüberstehen, nicht besser bewaffnet als er. Und darum hat er sich jetzt jedes Mal behauptet.“
(vatican news)
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