Pakistanischer Journalist: „Unsere Stimme zählt“
Johanna Mack - Münster
Pakistan gilt als eines der gefährlichsten Länder weltweit für Journalisten. Reporter ohne Grenzen (ROG) lobt zwar die hohe Medienvielfalt in Pakistan, „dennoch ist das Land für Journalisten außerordentlich gefährlich. Kritische Reporter müssen mit Drohungen, Misshandlungen und gezielten Anschlägen des Militärs, von Geheimdienstmitarbeitern und militanten Gruppen rechnen.“ Außerdem, so ROG, würden die staatlichen Medien streng kontrolliert und es gebe täglich neue Direktiven, mit denen das Informationsministerium die Berichterstattung steuere. Obwohl die Zahl der Morde an Journalisten in den letzten Jahren zurückgegangen sei, gebe es immer wieder tödliche Angriffe auf Journalisten. 2018 wurden laut ROG drei Reporter aufgrund oder während ihrer Arbeit getötet.
Pressefreiheit in Gefahr?
Ein aktueller Fall macht deutlich, wie es um die Pressefreiheit in Pakistan bestellt ist: Anfang November stürmte die Anti-Terror-Einheit der pakistanischen Polizei in Zivil den Presseclub in Karachi, durchsuchte die Räumlichkeiten ohne offizielle Erlaubnis und machte Film- und Fotoaufnahmen. Laut einem Bericht der englischsprachigen pakistanischen Zeitung Dawn gab die Regierung nach dem Eindringen bekannt, man hätte nicht gewusst, dass man sich in den Räumlichkeiten des Presseclubs befinde. Man sei auf der Suche nach einer bestimmten Person gewesen und die Handy-Ortung habe nicht funktioniert. Die Pakistanische Menschenrechtskommission wertet die Razzia als Hinweis, dass sich die Pressefreiheit „seit dem Amtsantritt der neuen Regierung nur wenig verbessert hat, wenn überhaupt“, so heißt es in einem Statement auf der Website. Nur ein paar Tage später wurde der Journalist Nasarulah Chaudry in seinem Wohnhaus verhaftet und vor ein Anti-Terror-Gericht gestellt. Man habe „verbotene Literatur“ bei ihm gefunden. Journalistische Organisationen sehen seine Festnahme als Versuch an, die Razzia im Presseclub zu rechtfertigen und protestieren gegen seine Inhaftierung.
Ein preisgekrönter Journalist erzählt
Saddam Tufail Hashmi arbeitet seit 18 Jahren als Journalist in Pakistan. Zurzeit moderiert er die Nachrichtensendung GRIFT beim Fernsehsender Express News TV und veröffentlicht unter dem Namen Nawae Saddam (Voice of Saddam) eine Kolumne zu aktuellen Themen. Zudem ist er News Analyst beim staatlichen Fernsehsender PTV. Zuvor hat er unter anderem für CNBC Pakistan gearbeitet. Neben der eigenen Arbeit als Journalist unterrichtet und trainiert Hashmi Nachwuchsjournalisten an mehreren privaten Universitäten. Außerdem setzt er sich in verschiedenen Organisationen wie dem Karachi Press Club, dem Pakistan Federal Council of Journalists und dem Arts Council of Pakistan für die Interessen von Journalisten und Künstlern ein. Für dieses Engagement wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Matt J. Duffy Award for Excellence in Journalism der Arab-U.S. Association of Communication Educators.
Im Interview mit Johanna Mack erklärt Hashmi, warum Arbeit und Leben für Journalisten in Pakistan so schwierig sind und warum seine Kollegen und er dennoch den Berufsethos verteidigen.
Mack: In Deinen Vorträgen und Berichten betonst Du die Schwierigkeiten und Gefahren, denen Journalisten in Pakistan ausgesetzt sind. Was motiviert Dich und Deine Kollegen, trotz der Risiken in diesem Beruf zu arbeiten?
Hashmi: Manche Leute mögen einfache Aufgaben. Das ist eine Frage der Persönlichkeit. Ich mag schwierige Aufgaben – wenn ich diesen Beruf gut machen möchte, darf ich keine Angst vor Schwierigkeiten haben.
Wir Journalisten denken über vorhandene Grenzen hinaus. Wir arbeiten für das Wohl der Gesellschaft. Ich wünsche mir, dass wir Probleme langsam und Schritt für Schritt überwinden können. Nichts macht es uns Journalisten in Pakistan leicht, aber wir haben noch Energie, wir sind nicht demoralisiert. Wir wollen mit unserer Arbeit zum Guten beitragen. Ich bin gegen jede Art von Terrorismus, Rassismus oder Kriminalität. Unser Beruf ist die Kommunikation und wenn wir die Kommunikation zwischen verschiedenen Gruppen verbessern können, ist das ein Beitrag zur Menschlichkeit.
Mack: Was macht die Arbeit für Journalisten in Pakistan so schwierig?
Hashmi: Kriminelle Vereinigungen, terroristische Gruppen, mafiöse Strukturen und Schmugglerbanden machen uns das Leben schwer. Außerdem ist da noch der Konflikt zwischen Pakistan und Indien, der uns bis heute belastet. Auch der Krieg zwischen Russland und Afghanistan hat Einfluss auf Pakistan: Pakistan hat viele afghanische Flüchtlinge aufgenommen, deren Mentalität anders ist als unsere. Viele von ihnen sind sicher gute Menschen, aber mit der Öffnung der Grenzen hat auch das Schmuggeln von Munition und Waffen – vor allem AK47 – und Drogen zugenommen. Das sorgt bis heute für Probleme und hat auch den Terrorismus erstarken lassen.
Mack: Aktuell dominiert der Fall Asia Bibi die europäische Berichterstattung über Pakistan…
Hashmi: Im Fall Asia Bibi fordere ich Gerechtigkeit. Wir alle – überall auf der Welt – müssen Gesetze und Gerichte respektieren. Die Regierung sollte sich nicht von irgendeiner Gruppe unter Druck setzen lassen.
Auch von Terroranschlägen hören wir immer wieder. Zum Beispiel wurden während der Wahlen des Premierministers im Juli dieses Jahres 30 Menschen in einem Wahlbüro getötet. Wie gehen Journalisten mit solch sensiblen Themen um und wieso geraten sie selbst so oft ins Kreuzfeuer oder werden zum Ziel?
Wir Journalisten setzen uns häufig gefährlichen Situationen aus. Ich glaube, Pakistan ist vielleicht eins der gefährlichsten Länder für Journalisten. So viele meiner Freunde wurden während ihrer Arbeit zu Märtyrern. Kameramänner, Reporter und andere. Wir haben zusammen gearbeitet. Wenn Du siehst, wie eine Person, die Du kennst, bei einem Bombenanschlag stirbt, dann erhöht das auch den Druck auf Dich. Wir sind Menschen, wir haben ein Herz und fühlen Schmerzen. Wir sind von allen Seiten Druck ausgesetzt. Viele sind gegen uns. Ich verurteile den Angriff auf den Karachi Press Club und fordere die sofortige Freilassung von Nasarullah Chaudhry.
Mack: Wurdest Du selbst schon wegen Deiner Arbeit bedroht?
Hashmi: Ja, es gibt viele, denen ich unbequem bin. In der Vergangenheit habe ich viele kritische Themen behandelt. Zum Beispiel habe ich in Berichten korrupte Polizisten angeprangert.
Ein anderes Beispiel: Bevor ich Ende Oktober für eine Konferenz in die USA kam, habe ich aus der Region Gilgit-Baltistan berichtet. Pakistan ist heute weitgehend frei von Taliban, aber in Gilgit-Baltistan gibt es eine Gegend namens Challas, und dort in einem Wald sollen sich angeblich noch einige Taliban-Terroristen verstecken.
In meiner Kolumne habe ich darüber geschrieben, dass genau in dieser Gegend 15 Mädchenschulen beschossen wurden. Weißt Du, was seitdem passiert ist? Irgendwer hat in den sozialen Medien eine richtige Kampagne gegen mich gestartet. Mir wird vorgeworfen, ich wolle den Tourismus in der Gegend zerstören mit Anspielungen auf eine Taliban-Präsenz dort. Sie benutzen sehr verletzende Sprache gegen mich und bedrohen mich mit Nachrichten, E-Mails und Anrufen. Auch mein Büro und andere Leute, die ich kenne, wurden angerufen. Sie sagen, sie werden mich töten.
Mack: Wie schützt Du Dich gegen solche Attacken und wie schützen sich Deine Kollegen?
Hashmi: Manche Leute nutzen Pseudonyme, aber sie sind in der Minderheit.
Es gibt Sicherheitstrainings, auch ich habe ein HEAT-Training (Hostile Environment Awareness Training; Anm. d. Red.) mitgemacht, aber am Ende ist ein Training eben nur ein Training. Wenn Du oder Deine Familie auf der Straße unterwegs sind und jemand von einem Motorrad oder Auto aus auf euch schießt, kann man sich kaum schützen. Ich habe keine Schusswaffe und auch kein Sicherheitspersonal. Ich bin auch selbst schon während der Arbeit verletzt worden. Ich habe fünf Verletzungen am Kopf und ein Muskel in meinem rechten Arm ist zerstört.
Das Leben eines guten Journalisten ist immer in Gefahr. Einige verlassen wegen solcher Risiken das Land, aber ich werde bald aus den USA zurückkommen. Trotzdem: Die Situation in meinem Land ist jetzt gefährlich für mich.
Mack: Du kritisierst, dass Medienunternehmen ihre Mitarbeiter nicht ausreichend schützen.
Hashmi: Wir sind denen völlig egal. Was sie wollen sind Breaking News, so schnell wie möglich.
Wenn die Besitzer der Medien von uns gute Arbeit wollen, sollten sie sich um die Sicherheit unseres Lebens kümmern und ethische Standards einhalten. Aber die Leute in mittleren Management-Positionen verdienen ihre Stellen oft nicht durch Kompetenz, sondern durch Politik und Kontakte. Sie genießen hohe Löhne, gute Ausrüstung und interessieren sich nicht für unsere Sicherheit. Dabei sind wir Journalisten das Rückgrat jedes Radio- oder Fernsehsenders: WIR gehen raus, WIR berichten, WIR sind Diejenigen, die schreiben können. Es sind Reporter, Kameramänner und auch Moderatoren, die zum Ziel von Angriffen werden – nicht die Manager. Wir nehmen in der Gesellschaft eine wichtige Rolle ein und verdienen mehr Unterstützung. Journalisten werden sehr respektiert – die Leute wissen, dass wir hart arbeiten. Wenn ein Journalist seine Rolle missbraucht und sich z.B. instrumentalisieren lässt, wird das meist öffentlich bekannt und er verliert seinen Respekt.
Mack: Kannst Du etwas genauer erklären, welchen sozialen Status Journalisten in Pakistan haben und wie ihre wirtschaftliche Situation ist?
Hashmi: Geringe Löhne sind ein großes Problem. Es gibt in meinem Land viel Analphabetismus, aber die meisten Journalisten sind sehr gut ausgebildet und gehören zu gebildeten Familien. Überall auf der Welt werden Journalisten gut bezahlt, wenn sie aus Kriegs- oder Krisengebieten berichten. Bei uns nicht. Unsere Leben sind teuer, aber Fernsehsender und Zeitungen sind keine guten Zahlmeister. Unsere Leben sind 24/7 bedroht, weil wir uns für die Arbeit Gefahren aussetzen müssen, ebenso die unserer Familien. Daher finden wir, dass wir besser verdienen sollten.
Journalisten in Pakistan haben eine sehr hohe Arbeitsbelastung und man hört oft von Reportern, die wegen Überarbeitung und Stress zum Bespiel an Herzinfarkten sterben. Ein großer Stressfaktor ist, wenn das Geld nicht reicht, um die Familie zu ernähren.
Mack: Wenn Du Nachwuchsjournalisten unterrichtest, was rätst Du ihnen für die Arbeit in diesem schwierigen Feld?
Hashmi: Wenn ich meine Studenten unterrichte, fällt mir immer wieder auf, dass es keine Bücher gibt, die sich auf unsere Region beziehen lassen. Die meisten empfohlenen Lehrbücher stammen aus den USA oder Großbritannien, aber es ist sehr wichtig, daran zu denken, dass jede Region ihre eigenen Dimensionen hat. Wenn ich die Bücher aus der „ersten Welt“ lese, sehe ich kulturelle, geographische, sogar ethische Unterschiede. Beim Unterrichten muss ich daher auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen, sozusagen auf das „Buch in meinem Kopf“. Ich muss ihnen beibringen, zu schreiben und zu produzieren, aber auch, wie sie sich im Feld verhalten sollten.
Leider hat die Mehrheit der Journalistikdozenten in Pakistan nie die Universität verlassen und in der Praxis gearbeitet. Die Medien sind ein kreatives Feld – wie will man etwas Kreatives unterrichten, ohne selbst Erfahrung darin zu haben? Wir leben nicht in einem Land, in dem die Journalisten frei arbeiten können. Die Ausbildung sollte auf die tatsächlichen Bedingungen vorbereiten.
Mack: Du setzt Dich als Aktivist für die Rechte von Journalisten ein. Was erhoffst Du Dir davon, Deine Anliegen auch vor ein internationales Publikum zu tragen?
Hashmi: Wenn sie uns Journalisten zum Verstummen bringen, dann ist es vorbei und die Dinge werden nie gut werden. Aber wir haben einen Stift, wir haben eine Stimme, und unsere Stimme zählt. Die Besitzer der Medienhäuser müssen besser für ihre Angestellten sorgen – ebenso wie die Journalisten ihre Pflichten erfüllen müssen. Diese Nachricht möchte ich an die pakistanischen Medienhäuser, die Regierung und auch an die Geheimdienste senden: Journalisten sind intelligent und arbeiten hart. Menschen, die schreiben – Journalisten ebenso wie Professoren – und damit für das Wohl der Gesellschaft arbeiten, verdienen Respekt. Wir Journalisten können nur wenig Zeit mit unseren Familien und unseren Kindern verbringen. Wir verdienen gute Sicherheitsmaßnahmen, Ausrüstung und Respekt. Das ist unser Recht.
(ejo - jm)
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