Jugendarbeitslosigkeit in Süditalien: „Kirche muss Anteil nehmen"
Rebecca Lo Bello -Vatikanstadt
Wir haben mit der jungen Soziologin telefoniert und mit ihr über die schwierige Lebenswirklichkeit junger Süditaliener, die Jugendsynode und das in Italien derzeit heiß diskutierte Bürgereinkommen gesprochen.
Insbesondere im Süden Italiens sähen sich Heranwachsende mit einer Gesellschaft konfrontiert, die ihnen nur wenig Möglichkeiten biete, so Maria Pia Mercaldo:
„Auf der einen Seite nimmt die Jugendarbeitslosigkeit immer mehr zu, auf der anderen Seite wird nur wenig in aktive Arbeitsmarktpolitik investiert. Perspektivlosigkeit ist in Italien mittlerweile ein strukturelles Problem. Qualifizierte verlassen das Land, jungen Menschen mit niedrigem Bildungsgrad bleibt oft nur Schwarzarbeit oder Arbeitslosigkeit. “
Eine treffende Bezeichnung für die traurige Realität hat die EU-Kommission parat: Nach der Finanzkrise sprach sie erstmals von den sogenannten „NEETs“ (Not in Education, Employment or Training). Damit sind junge Menschen gemeint, die keine Schule besuchen, keiner Arbeit nachgehen und sich auch nicht in beruflicher Ausbildung befinden. Jugendliche also, die – entmutigt durch lange Phasen der Arbeitslosigkeit – aufhören, nach einem Job oder Weiterbildungsmaßnahmen zu suchen:
„Italien ist trauriger Spitzenreiter Europas, was dieses Phänomen betrifft. Allein in Süditalien ist jeder vierte junge Mensch weder erwerbstätig noch geht er einer Ausbildung nach. Es ist ein Teufelskreis: Einerseits hindern die Familien die jungen Menschen daran, eine Ausbildung anzustreben – denn sie sehen in Bildung keinen Wert. Andererseits behalten sie damit dramatischerweise oft Recht, da auch junge Qualifizierte oftmals keinen Job finden.“
Kirche muss eine gemeinsame Sprache finden
Die schwierige Lage junger Menschen war auch Thema der Jugendsynode, die letzten Oktober im Vatikan stattfand. Aus Sicht Maria Pia Mercaldos kann die Kirche konkret an einer Lösung mitwirken. Dafür müsse sie sich jedoch mehr auf die jungen Menschen einlassen:
„Es ist alles noch im Werden. Durch die Jugendsynode wurde ein „input“ gegeben. Die jungen Menschen haben betont, dass sie gehört werden wollen. Und genau hier liegt das Problem: in der Kirche, in den Familien, in der Schule schenkt man ihnen oft kein Gehör. Gerade die Kirche ist oft verschlossen, setzt sich nicht wirklich mit der Lebenswirklichkeit junger Menschen auseinander. Hier muss eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Es ist wichtig, junge Menschen aus der Isolation zu holen – und da können auch die Gemeinden helfen.“
Auch die Politik versucht sich derzeit an einer Lösung: Der sogenannte „Reddito di cittadinanza“- was verwirrenderweise so viel wie „Bürgereinkommen" heißt - soll der zunehmenden Armut im Land Herr werden. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch keineswegs um ein allgemeines Grundeinkommen, sondern um eine Grundsicherung für Erwerbslose. Anders gesagt: die italienische Version des deutschen „Hartz 4“:
„Wir als Caritas sehen diese Maßnahme eher kritisch. Ein zentrales Problem ist beispielweise, dass die Zivilgesellschaft kaum miteinbezogen wird. Das bedeutet auch, dass Organisationen wie die Caritas - die tagtäglich mit Arbeitslosen und Armen zu tun haben – überhaupt nicht an der Umsetzung des „reddito di cittadinanza“ beteiligt sind.“
Nur eine Finanzspritze, keine langfristige Lösung
Ähnlich wie das deutsche „Hartz 4“ ist der „reddito di cittadinanza“ an eine aktive Arbeitsmarktpolitik gekoppelt: Erwerbslose bekommen zwar staatliche finanzielle Hilfe, sollen aber durch die öffentlichen Jobcenter langfristig den Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen. Wie das gelingen soll, sei jedoch nicht geklärt, so die Expertin:
„Gerade Süditalien verfügt nicht über ein effizientes System öffentlicher Arbeitsmarktvermittlung. Außerdem: Welche Jobs sollen vermittelt werden, wenn es keine Arbeit gibt? Es müssen also erst die richtigen Strukturen geschaffen werden: Das betrifft sowohl die Jobcenter als auch die Bereitstellung von Arbeitsplätzen. Für junge Arbeitslose ist der „reddito di cittadinanza“ somit eher eine kurzfriste Finanzspritze, aber sicherlich keine langfristige Lösung.“
Die Caritas hätte in den letzten Jahren selbst einige Maßnahmen entwickelt, um dem zunehmenden Massenexodus entgegenzuwirken:
„Gemeinsam mit einem Netzwerk aus Genossenschaften haben wir ein Projekt entwickelt, das unter anderem darauf abzielt, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Junge Süditaliener haben die Möglichkeit, die Ressourcen ihres Landes neu zu entdecken und zum Beispiel in landwirtschaftlichen Betrieben mitzuarbeiten. So versuchen wir, dort Perspektiven zu schaffen, wo es eigentlich keine gibt.“
Hintergrund
Arbeitslosigkeit, Schwarzarbeit und Armut sind in den südlichen Regionen der italienischen Halbinsel bereits seit der Wiedervereinigung 1861 ein zentrales Problem. Die Finanzkrise 2008 hat die ohnehin schon dramatische Ausgangssituation weiter verschärft: So haben dem Arbeitgeberverband Confindustria zufolge im Jahr 2017 fast 60 Prozent der 15- bis 24-jährigen Süditaliener keine Stelle gefunden. Nicht verwunderlich also, dass die Armut immer weiter zunimmt: Nach Daten der Organisation für die industrielle Entwicklung des Südens SVIMEZ leben zehn von hundert Menschen in Süditalien in absoluter Armut. In den nördlichen und zentralen Regionen Italiens sind es hingegen sechs von hundert Menschen.
(vatican news)
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