Finanzexperte: Staaten müssen ökologischen Wandel finanzieren
Christine Seuss und Andrea Tornielli - Vatikanstadt
Giraud ist verantwortlich für die Wirschaftssektion der Agence Française de Développement und Leiter der Forschungsabteilung am CNRS (Centre national de la recherche scientifique). Er war selbst in Spitzenpositionen der Finanzwelt tätig, bevor er in den Jesuitenorden eingetreten ist. Mittlerweile forscht er zu den Zusammenhängen zwischen Wirtschaft und ökologischem Wandel. Seine Forderung: „Die Staaten müssen den ökologischen Wandel umsetzen, bevor es zu spät ist.“
Die internationale Akzeptanz von Laudato si sei seiner Ansicht nach „ambivalent“ gewesen, betont Giraud anlässlich des vierten Jahrestages des Papstdokumentes, das sich für den Schutz des „Gemeinsamen Hauses“ stark macht.
„Einerseits erschien die Rezeption sehr enthusiastisch: Laudato si ist bis zu diesem Moment weltweit das einzige spirituelle und auch politische Dokument, das einen eschatologischen Horizont für den ökologischen Weg und die Allianz mit der Schöpfung eröffnet und gleichzeitig eine genaue wissenschaftliche Analyse mit realistischen Empfehlungen liefert. Ich kenne kein vergleichbares Dokument seitens weltlicher Staaten. Zunächst war die Aufnahme also sehr positiv. Doch leider haben die Staaten Europas nichts gemacht. In Frankreich beispielsweise sind die CO2-Emmissionen im Zeitraum zwischen 2010 und 2017 um 3,2 Prozent gestiegen. Das heißt, man spricht viel von Umweltschutz, aber man handelt wenig bis gar nicht.“
Gleichzeitig sei der Aufschwung „grüner Parteien“ vor allem den jungen Menschen zu verdanken, analysiert der Wissenschaftler, der daraus schließt: „Meiner Ansicht nach werden die jungen Menschen immer mehr für die Umwelt kämpfen und deshalb könnte es passieren, dass die nächste Generation das in die Tat umsetzt, was der Papst in der Enzyklika sagt. Aber meine Generation, und die Generation vor meiner, reden ohne zu handeln.“
Dabei redet der Experte nicht um den heißen Brei: der größte Widerstand sei im Bankensektor auszumachen, betont er im Gespräch mit Vatican News. „Den Bankern kommt der ökologische Wandel sehr gefährlich vor, weil die Bilanzen noch durch die Finanzkrise von 2008 geschwächt sind. Die Priorität für sie ist es, die Banken zu retten, und die Situation ist schon sehr riskant auch ohne das Klimaproblem. Viele von ihnen denken, dass das Leben für sie sehr schwierig würde, wenn sie auch noch Antworten auf den Klimanotstand finden müssen.“
Zwar sei den Verantwortlichen aus dem Bankensektor die Dringlichkeit der Situation durchaus klar. Dennoch habe er bei persönlichen Gesprächen keinen ernsthaften Willen zu einem echten Wandel ausmachen können, betont Giraud: „Sie haben mir gesagt: Wir werden nichts unternehmen, denn wir haben 40 Jahre lang dafür gekämpft, mit den Finanzmärkten an die Macht zu kommen, und jetzt geben wir das nicht nur aufgrund des Klimawandels alles auf.“
Auf die Frage, wie sie denn eine Zukunft für ihre Kinder garantieren wollten, habe er zur Antwort bekommen, dass sie nach Schweden übersiedeln wollten, denn dort sei das Land, in dem sich mit dem Klimawandel am besten leben ließe. Ihm tue der Zynismus leid, mit dem viele Banker auf die Krise reagierten, fährt Giraud fort. Nur einige unter den Top-Managern hätten das Risiko klar benannt, unter ihnen der Chef der Londoner Zentralbank, Marc McCarney. Dieser habe nach der Veröffentlichung von Laudato si anerkannt, dass das größte Risiko für die finanzielle Stabilität gerade im Klimawandel bestehe. Doch hier sei auch die Politik in die Pflicht zu nehmen:
„2015 haben alle europäischen Politiker Laudato si positiv zitiert. Sie haben gesagt, dass sie die Enzyklika gelesen haben, dass sie fantastisch ist und dass man sie umsetzen muss. Aber dann haben sie nichts gemacht, vielleicht aus Zeitmangel, um darüber nachzudenken. Die Mehrheit der europäischen Politiker hat heute unglaubliche Arbeitsrhythmen: sie haben fünf Minuten pro Woche, um über ein Thema nachzudenken, von dem sie überhaupt nichts wissen. Denn als sie Studenten waren, war der Klimawandel nicht eines der wichtigsten Studienobjekte. Das heißt, die derzeitigen europäischen Politiker haben keine Zeit zum Nachdenken und nehmen den Klimawandel nicht ernst,“ so die bittere Analyse des Experten, der verschiedene Regierungen in ihrer Arbeit berät.
Es herrsche auch in den staatlichen Stellen Pessimismus vor, was die Durchsetzungskraft des Staates betreffe. Dieser gehe einher mit einer idealistischen Überhöhung des Privatsektors – der jedoch keineswegs durchgängig daran interessiert sei, seine eigenen Gewinne durch nachhaltige Investments zu schmälern, auch wenn viele das Gegenteil behaupteten: „Aber in Wahrheit ist es für den Privatsektor nicht möglich, die für den ökologischen Wandel nötigen Investments aufzubringen. Der Privatsektor hat viel höhere Schulden als die Staaten und ist somit nicht in der Lage, eine wahre ökologische Wende zu bezahlen, die viele Milliarden kostet.“
Das bedeute seiner Ansicht nach eines: Die Staaten müssten für eine solche Wende geradestehen. Eine schwierige Aufgabe, angesichts der Tatsache, dass auch bereits bestehende Infrastrukturprojekte nicht die nötigen Investitionen erführen, betont Giraud mit Blick auf Skandale wie den Zusammenbruch einer Autobahnbrücke in Genua im vergangenen Jahr.
„Die Politik muss ihre Aufgaben wiederentdecken, und die Notwendigkeit einer Strategie, die das Gemeinwohl und den Horizont von 30 Jahren wieder in den Blick nimmt, um in den ökologischen Wandel und eine grüne Industrialisierung Europas zu investieren. Das ist der Plan. Ich habe mit Ingenieuren und Wirtschaftswissenschaftlern in Frankreich gearbeitet, um ein Szenario für den ökologischen Wandel zu studieren: Das ist möglich, wir können es schaffen. Dafür braucht es keine technische Revolution, wir sind schon dazu in der Lage. Und die einzelnen Etappen sind klar. Der erste Schritt ist die thermische Modernisierung aller Gebäude. Der zweite die „grüne“ Mobilität, also mit Wasserstoff betriebene Autos und Züge, denn auch die elektrischen produzieren CO2 während ihres Lebenskreislaufes. Und schließlich die dritte ist die grüne Industrialisierung. Ich habe mit Ingenieuren einen Plan ausgearbeitet, den ich im Einvernehmen mit den Baufirmen dem Präsidenten Macron vorgelegt habe. Das muss man angehen, um nicht weiter mit Klimaanlagen und Heizungen die Welt zu verschmutzen. Mir wurde gesagt, dass ich Recht habe. Aber nichts passiert.“
(vatican news)
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