Venezuela: Vorsitzender der Bischofskonferenz fordert offene Grenzen
Mario Galgano und Griselda Mutual – Vatikanstadt
Es fehlt an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Dienstleistungen im Allgemeinen. Die Venezolaner sind am Ende ihrer Kräfte, und bereits mehr als vier Millionen Menschen haben das Land verlassen, um nach einem Ausweg zu suchen. Das habe aber zu getrennten Familien, vielen Kranken und Hungerleidenden geführt, so Erzbischof Azuaje Ayala. Er verweist darauf, dass die Hilfe des Roten Kreuzes ursprünglich für 650.000 Menschen geplant gewesen sei, doch dies sei mittlerweile eine viel zu niedrig angesetzte Zahl, gesteht der Kirchenmann.
„In einigen Bundesstaaten des Landes war die Anwesenheit des Roten Kreuzes kaum zu spüren. Ich glaube, dass das Ziel der internationalen Hilfsorganisation weit unter den Bedürfnissen der venezolanischen Bevölkerung liegt, da wir von fast sechs Millionen Menschen sprechen, die sich in dramatischen Situationen befinden. Das betrifft sowohl die Ernährung als auch die Versorgung mit Medikamenten, Gesundheit, chirurgischen Eingriffen usw. In Venezuela sind alle Dienste zusammengebrochen. Auch der Zugang zu Strom oder Wasser, Nahrungsmitteln, Medikamenten und auch der Landtransport sind nicht garantiert. Es scheint paradox zu sein, aber in einem Erdölland wie Venezuela haben wir kein Benzin. In meiner Region Maracaibo, wo Erdöl produziert wird, muss man einen Tag verlieren, wenn nicht mehr, um 50 Liter Benzin zu bekommen. Deshalb ist die Hilfe, die vom Roten Kreuz kommt, leider sehr, sehr begrenzt.“
Eingestehen, dass das Land in einer Krise ist
Er plädiere deshalb dafür, dass die Grenzen Venezuelas geöffnet werden sollten. Da müsse das Regime über ihren eigenen Schatten springen und endlich die Krise eingestehen. Die Kirche wolle dabei helfen, versichert der Vorsitzende der Bischofskonferenz.
„Als Kirche leisten wir eine Arbeit, die auf der Würde der menschlichen Person beruht, nicht auf der Grundlage von Statistiken. Jeder Christ versucht zu helfen, so gut es geht, auch wenn es um die einfachsten Hilfsangebote geht, wie Suppenküchen, medizinische Grundhilfe und was auch immer in Reichweite durch die verschiedenen Pfarreien des Landes getätigt wird. Es wird immer mehr Hilfe benötigt und da könnten insbesondere andere Organisationen mithelfen, dieses solidarische Engagement ebenfalls mitzutragen.“
Ohne politischen Wandel kein sozialer Wandel
Die Bischöfe bestünden weiterhin auf der Notwendigkeit eines politischen Wandels in dem Land, denn ohne einen politischen Wandel werde es keine wirtschaftlichen oder sozialen Veränderungen geben, so Erzbischof Azuaje Ayala.
„Auch kann es keine kulturellen Veränderungen geben, die notwendig sind, da Spaltung und Demotivierung derzeit tief in der venezolanischen Bevölkerung verwurzelt sind. Wir haben gesehen, wie die Ineffizienz des herrschenden Regimes dazu geführt hat, dass die Bevölkerung keine Grundversorgung hat. Zum Beispiel wird in Maracaibo alle sechs oder fünf Stunden das Licht abgeschaltet. Es gibt keine Wasserdienstleistungen. Das Schlimmste ist, dass die Regierung versucht, die Situationen auf ihre Weise zu beheben, aber nicht ihre Verantwortung für die Lösung von Problemen übernimmt. Die Regierung ist nur politisch, ideologisch geblieben und will eine Kultur säen, die in Wirklichkeit nicht die unsere ist. Es geht dem Regime um das Aufeinandertreffen von gefährlichen Ideologien und Rachegelüsten.“
Neuwahlen mit verfassungsmäßigen Prozessen
Ein weiterer Aspekt bestehe darin, dass der jüngsten Amtsantritt des derzeitigen Präsidenten Maduro nicht demokratisch untermauert sei: Es handele sich um „eine illegitime Art zu regieren“, die nicht hinnehmbar sei, werden die Bischofskonferenz nicht müde, von Anfang an zu wiederholen.
„Wir glauben, dass die Regierung unrechtmäßig die Macht übernommen hat, was auch rechtliche Konsequenzen hat. Wir haben immer betont, dass die Lösung für Venezuela nicht nur im wirtschaftlichen Bereich liegen muss, sondern vor allem im politischen Bereich, das heißt bei Wahlen, wie es die Verfassung vorsieht, mit einem Wahlprozess mit Garantien. Und das bedeutet, dass das Wahlregister aktualisiert werden soll, so dass unsere Brüder und Schwestern im Ausland – das sind mehr als vier Millionen, von denen mehr als die Hälfte volljährig sind – abstimmen können. Dies muss unter Aufsicht internationaler Organisationen geschehen, die den Wahlprozess überwachen. Dieser Aspekt ist von grundlegender Bedeutung, da hier kein Vertrauen in die Institutionen besteht. Wir sind der Meinung, dass wir uns für den Wiederaufbau Venezuelas innerhalb der verfassungsmäßigen Rahmenbedingungen bewegen müssen. Dies gibt uns die Garantie, zu wissen, dass wir uns zu einem demokratischen Prozess bekennen.“
Aufnahmeländer mit den Flüchtlingen überfordert
Die Bischöfe Venezuelas stünden in engem Kontakt mit all den Mitbrüdern der Bischofskonferenzen in Ländern, die bevorzugte Fluchtziele der Venezolaner seien. Bisher seien schätzungsweise zwischen 12 und 14 Prozent der venezolanischen Bevölkerung in verschiedene Länder geflohen, hauptsächlich in Länder Südamerikas.
„Dies führt zu Konflikten, da 500.000 bis 600.000 Menschen in kleinere lateinamerikanische Ländern geflohen sind, die nicht vorbereitet waren, dieses Kontingent aufzunehmen. Das hat das tägliche Leben der dortigen Bevölkerung und auch das der entsprechenden Regierungen beeinflusst.“
Jeden Tag verließen weitere tausende Venezolaner das Land. Zielländer seien vorwiegend Kolumbien und Brasilien sowie die Karibik.
„Dies stellt ein Problem in der gesamten Region dar, und aus diesem Grund muss die Internationale Gemeinschaft den Konflikt, die durch die Flüchtenden entstehen, untersuchen. Diese Konflikte sind nicht gewalttätig, sondern menschlich, im Sinne der Probleme, die damit entstanden sind. Es geht beispielsweise um die Verletzung der Menschenrechte, oder der Opportunismus von Kriminellen, Menschen für Menschenhandel und Sklaverei zu missbrauchen. Es gibt Mütter, die nicht wissen, wo ihre Kinder sind, und die wissen, dass sie versklavt sind.“
Dies beinhalte die Notwendigkeit, täglich mehr Menschenrechtsorganisationen wie die Caritas zu aktivieren, um den durch eine massive und unkontrollierte Migration verursachten menschlichen Schaden zu minimieren, so der venezolanische Erzbischof.
UN-Bericht zur Menschenrechtssituation ist verzerrt?
Zu Nicolás Maduros Behauptung, der von der Hohen UN-Kommissarin für Menschenrechte vorgelegte Bericht zur Menschenrechtssituation im Land sei „verzerrt“, sagt uns Azuaje Ayala:
„Erstens hat er wohl andere Augen als wir. Die Regierung und die Machthaber leben wie in einer Blase, sie haben keinen Kontakt zu den Menschen, sie wissen nichts über die Menschen. Was sie kennen, ist das falsche Bild, welches über Fernsehprogramme, über Netzwerke verbreitet wird. Dies geschieht, weil es hier eine ,Bildschirm´-Regierung gibt, also keine ,Straßen´-Regierung, die bei den Menschen ist. Früher, zu Beginn der Regierung von Chávez, gab es viele ,Straßenpolitiker´, die die Beschwerden und Ängste der Menschen anhörten. Heute wissen die Machthaber wirklich nicht, was passiert, auch nicht, was intern in den Streitkräften geschieht und was die Fragen der Gerechtigkeit usw. betrifft. Es gibt auch große Spaltungen in der Regierungspartei. Das bringt Maduro dazu, bestimmte Dinge zu sagen.“
Einsatz des Papstes ist zu würdigen
Die Bischöfe hätten sich ebenfalls mit der Kommissarin Michelle Bachelet getroffen. Sie habe ihren Bericht geschrieben und bestätigt, dass es in Venezuela Menschenrechtsverletzungen gibt. Auch der Einsatz des Papstes und des Heiligen Stuhls seien zu würdigen, so der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Zum Vorwurf, die katholische Kirche sei zu untätig, meint der Bischof:
„Es gibt in Venezuela sehr radikale Extreme. So gibt es diejenigen, die wollen, dass andere die Probleme lösen, die wir lösen müssen. Es wird erwartet, dass ein Messias kommt, jemand von außerhalb, und der mit seinen Worten oder Taten – wie viele zum Beispiel von den Vereinigten Staaten erwartet haben, dass Trump militärische Eingriffe vornimmt und so weiter – die Probleme löst. Viele denken, dass der Papst jeden Tag etwas sagen sollte. Es gibt eine Verantwortung des Papstes als geistliches Oberhaupt für die Katholiken, aber auch als Staatsoberhaupt des Vatikanischen Staates muss er das Abkommen des Heiligen Stuhls mit der Republik Venezuela beachten. Daher muss die Beziehung sehr respektvoll sein, und diese respektvolle Beziehung führt dazu, dass der Papst sagt, was am Sonntag gesagt hat, um seine Nähe zu den Menschen zu bekunden, die leiden.“
(vatican news)
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