Künftiger Heiliger Newman: Ein Leben im Dienst an der Wahrheit
Silvia Kritzenberger - Vatikanstadt
John Henry Newman sei ein Mann seiner Zeit gewesen, ein typischer englischer Gentleman, beschreibt Joanna Bogle ihren berühmten Landsmann. Aber der gelehrte Kenner der lateinischen und griechischen Klassiker hätte durchaus auch Humor gehabt – und vor allem ein großes Herz.
„Als er eine Knabenschule gründete, wollte er den Kindern dort die beste Pflege angedeihen lassen,“ erzählt Joanna. „Er stellte die Schule unter die Aufsicht einer Hausmutter, die die Jungen pflegte, wenn sie krank waren, sich also genauso um sie kümmerte, wie es eine Mutter getan hätte. Und das war im Viktorianischen England keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Damals wurden die meisten dieser Schulen von Ordensleuten geführt, viele der dort untergebrachten Kinder waren chronisch krank, meist sich selbst überlassen. Niemand ließ ihnen dort die Sorge und Pflege angedeihen, wie es eine Mutter tut.“
Ein Mann mit einem großen Herzen...
Dass John Henry Newman ein so ausgeglichener Mensch gewesen sei, führt Joanna nicht zuletzt darauf zurück, dass er selbst eine sehr glückliche Kindheit gehabt habe: „Er wuchs in London auf, aber seine Eltern hatten ein Landhaus in Ham an der Themse, in der Nähe von Richmond. Newman hatte eine sehr enge Beziehung zu seinen Geschwistern, besonders zu seiner Schwester Mary, die jung gestorben ist. Und ich denke, wenn man eine unbeschwerte, glückliche Kindheit gehabt hat, dann wird man auch als Erwachsener ein ausgeglichener, positiver Mensch sein.“
Zurück zur Kirche der Kirchenväter
Newmans Vater war Bankier, die Familie ausgesprochen wohlhabend. Doch 1816 nahmen John Henry's frohe Kinder- und Jugendtage ein jähes Ende: Die Bank seines Vaters wurde infolge der wirtschaftlichen Auswirkungen am Ende der napoleonischen Kriege zahlungsunfähig.
„Der junge John Henry war damals krank, aber er durfte nicht nach Hause, musste im Internat bleiben – inzwischen war nämlich auch sein Elternhaus unter den Hammer gekommen“, erzählt Joanna weiter. Und in dieser traurigen Lage – krank, unglücklich und allein – habe ihm ein evangelikaler Geistlicher ein paar Bücher geliehen, ihn damit in eine wirkliche Beziehung zu Jesus treten lassen. „Diesen Moment hat Newman später immer als den Beginn seiner spirituellen Reise beschrieben,“ betont Joanna. „Als er Priester wurde und begann, die frühen Kirchenväter zu studieren, war der Wendepunkt gekommen. Er verstand, was sie glaubten über die Eucharistie, das Priestertum – was es bedeutet, im Schoß der wahren Kirche zu sein, wo die apostolische Sukzession durch Handauflegung weitergegeben wird. Und er verstand, dass das nicht die anglikanische Kirche war. Er wollte zur Kirche der frühen Kirchenväter, zur Kirche der Apostel, zurückkehren. Und das war der Beginn einer langen und manchmal auch sehr schmerzlichen Reise: Newman bringt uns wieder zurück zur frühen Kirche, einer Kirche, die noch heute Fortbestand hat.“
Newman und die „Weiße Rose“...
Newman sei im Deutschland der 1920er und 1930er Jahre sehr populär gewesen, berichtet Joanna weiter. Seine Werke seien von Edith Stein übersetzt worden und hätten vor allem die jungen Menschen nachhaltig beeinflusst – nicht zuletzt auch die Gründer der „Weißen Rose“, die dann später wegen ihres Widerstands gegen das totalitäre Hitler-Deutschland hingerichtet wurden: Hans und Sophie Scholl.
„Es ist sehr interessant zu erkennen, dass sie von diesem großen Theologen und Denker beeinflusst worden sind. Sein Verständnis von Freiheit, von Wahrheit, hatte tiefen Eindruck auf sie gemacht; sie in ihrem Widerstand und auch in dem Mut bestärkt, den sie vor allem am Ende gezeigt haben. Newman hatte verstanden, dass Wahrheit so viel wichtiger ist als Macht. Manchmal hat ja auch die Kirche die Macht vor die Wahrheit gestellt,“ gibt Joanna zu bedenken. „Für Newman aber war nichts wichtiger als die Wahrheit, und die katholische Kirche ist die Hüterin dessen, was wahr ist über Gott und über den Menschen. Das war für junge Menschen sehr wichtig, die unter dem erdrückenden Naziregime aufgewachsen sind.“
Der erste britische Heilige der Neuzeit, der kein Märtyrer ist
In Großbritannien sei Newman nicht nur für Katholiken, sondern auch für Nicht-Katholiken überaus wichtig, führt Joanna weiter aus: „Erstens weil er das Verständnis für die Notwendigkeit verkörpert, guten Willen zu zeigen zwischen Katholiken und anderen Christen. Seine Leidenschaft für die Wahrheit hat klar gemacht, dass es nur eine Kirche gibt, aber er hat dies stets mit Freundlichkeit und Güte, und mit gutem Willen getan. Er ist der erste Heilige der Kirche Englands der Neuzeit, der kein Märtyrer ist. Unsere Heiligen gehen bis in die angelsächsische Zeit zurück; die Märtyrer jüngerer Zeit waren alle Märtyrer der Reformationszeit. Newman ist ein Intellektueller, ein Priester – und das gibt dem Ganzen etwas Heilendes.“
Newman und der Brexit ...
Was er wohl zum Brexit gesagt hätte? „Newman war zweifellos sehr stolz darauf, Engländer zu sein und er lebte schließlich zu einer Zeit, in der Großbritannien allgemein großes Ansehen genoss,“ führt Joanna aus. „Jeder bewunderte die ‚Mutter aller Parlamente‘, die den Rest der Welt auf eine gewisse Weise den Wert der konstitutionellen Monarchie gelehrt hatte. Er war zweifelsohne sehr stolz auf sein Land, wenn auch nie auf eine chauvinistische Weise. Er liebte seine Heimat… Ich glaube, der Gedanke an eine internationale europaweite Bürokratie hätte ihn wohl ein bisschen nervös gemacht. Aber man muss natürlich auch sagen, dass die Welt von Königin Victorias England so ganz anders war als heute. Und nach zwei Weltkriegen kann man sich wohl nur sehr schwer in einen viktorianischen Gentleman hineinversetzen.“
Newman und Papst Benedikt
Papst Benedikt XVI. hat Newman 2010 in Birmingham seliggesprochen. Es war das erste Mal, dass er eine solche Zeremonie, die sonst Kardinäle leiten, persönlich vornahm. „Zwischen dem emeritierten Papst Benedikt und Newman besteht ein sehr enges Band. Papst Benedikt hat Newman sehr verehrt, er hat viel von ihm gelesen,“ erzählt Joanna. „Benedikt ist ja selbst ein großer Theologe und die beiden liegen einfach auf einer Linie. Beide sehen die Wahrheit und den Gebrauch der Vernunft als etwas Wesentliches. Als junger Mann hat Joseph Ratzinger ja eine wichtige Rolle beim Zweiten Vatikanische Konzil gespielt, und Newman wurde oft als Vater des Zweiten Vatikanischen Konzils bezeichnet. Es ging um die Freiheit, das zu wählen, was der Wahrheit entspricht, und das kann nicht aufgedrängt werden, es drängt sich von selbst auf. Und im Denken Newmans und auch Ratzingers nimmt das eine zentrale Stelle ein: das zu wählen, was wahr ist. Und diese Wahl kann nicht erzwungen werden kann, beispielsweise von einer Regierung. Es geht um die Wahrheit. Dieser Gedanke muss gerade am Ende des 20. Jahrhunderts mit seiner tragischen Geschichte für den jungen Theologen Joseph Ratzinger sehr aufregend gewesen sein. Und dass sich diese beiden Geister getroffen haben, ist von großer Bedeutung für die Kirche des 21. Jahrhunderts.“
Hintergrund
Der anglikanische Priester und Theologe John Henry Newman konvertierte 1845 im Alter von 44 Jahren zum Katholizismus. 1847 wurde er zum katholischen Priester geweiht, 1879 von Papst Leo XIII. zum Kardinal kreiert, obwohl er kein Bischof war. Sein Gedenktag ist der 9. Oktober.
Die Londoner Buchautorin und Historikerin Joanna Bogle ist derzeit als Gastwissenschaftlerin an der St Mary's University in London tätig. In ihrem jüngsten Buch „Newman's London“, das nur in englischer Sprache erhältlich ist, begleitet sie den Leser zu den wichtigsten Lebensstationen ihres berühmten Landmanns.
(vatican news)
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