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Irak: „Schreie der Demonstranten sind Schreie Christi“

Der Patriarch von Babylon stellt sich sehr eindeutig hinter die Demonstranten im Irak: Die „Schreie der Demonstranten“ seien auch die „Schreie Christi“. Das sagt der chaldäische Erzbischof von Bagdad, Kardinal Louis Raphael Sako, in einem Interview mit Radio Vatikan.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Bei den Demonstrationen und Unruhen haben seit dem 1. Oktober 257 Menschen das Leben verloren. Präsident Barham Saleh hat am vergangenen Donnerstag vorgezogene Wahlen und ein neues Wahlrecht versprochen – doch die Proteste gehen weiter.

Die meisten Demonstranten in Bagdad und im Süden des Irak verlangen ein Ende der Korruption und einen Rücktritt der Regierung. In der Hauptstadt treffen sie sich in der Regel auf dem Tahrir-Platz – und am Samstag hat sich auch Kardinal Sako unter die etwa 100.000 Demonstrierenden gemischt.

„Die Regierung hat keine Vision“

„Die Lage im Land ist sehr gespannt“, sagt uns der Patriarch. „Die Proteste gehen weiter, und die Regierung hat weder eine Vision noch einen Mechanismus, um einen schnellen und konkreten Wandel herbeizuführen.“ Er sei am Samstag auf den Tahrir-Platz gegangen, um Verwundeten oder Kranken Medikamente zu bringen.

„Es waren Abertausende von jungen Leuten da, von alten Leuten, Frauen, Schulkindern… Das ist das erste Mal, dass Frauen sichtbar bei solchen Kundgebungen mitmachen. Die Demonstranten haben meine Mitarbeiter und mich sehr gut aufgenommen; sie richten dem Papst Grüße aus und sind dankbar dafür, dass er für den Irak betet. Auf einer Pressekonferenz habe ich dann gesagt, dass wir unsere Solidarität zeigen wollten mit allen, die Gerechtigkeit und eine bessere Zukunft wollen, und die gegen die sektenähnliche Zersplitterung der Iraker und für einen geeinten Irak sind.“

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Kardinal von den Demonstranten gut aufgenommen

Er habe die Regierung aufgerufen, „schnelle, konkrete Maßnahmen zu ergreifen“, und zwar auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet sowie im Dienstleistungssektor. Dabei wurmt den Patriarchen ebenso wie die Demonstrierenden die grassierende Korruption der Eliten: „Dieses Geld, das sie uns seit 16 Jahren stehlen, muss wiedergewonnen werden, um Entwicklungsprojekte ins Werk zu setzen!“

Anders als von der Regierung fühlte sich Sako von den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz offenbar verstanden: „Die sagten uns: Ihr Christen seid unsere Brüder, ihr Christen seid der Ursprung dieses Landes. Und auch: Wo sind eigentlich unsere Leute? Damit meinten sie die islamischen Religionsführer.“

„Eine politische Klasse, die vor allem hinter dem Geld her ist“

Er sei nur eine Stunde auf dem Tahrir-Platz geblieben, berichtet der Kardinal. Aber aus seiner Sicht hätten die Proteste im Irak viel mit denen im Libanon gemein. „Das ist die Korruption. Eine politische Klasse, die vor allem hinter dem Geld her ist und die sich um die leidende Bevölkerung nicht kümmert. Es gibt einen Graben zwischen der politischen Klasse und der Bevölkerung. Die Demonstranten im Irak und im Libanon stellen dieselben Forderungen: Menschenwürde, wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Gerechtigkeit, Staatsbürgerschaft und ein Ende des lähmenden Gruppendenkens. Kampf gegen die Korruption, und ein Zurückholen des geklauten Geldes!“

Sako fällt auf, dass sich in den Demonstrationen im Irak wie im Libanon zum ersten Mal seit langer Zeit der Ruf nach einer Einheit des Landes eine Stimme verschafft. „Der Nationalismus ist sehr stark. Sie sagen laut: Wir wollen ein Vaterland, wir sind zu gespalten! Es geht um die Souveränität des Irak, um die Einheit des Landes – genau wie im Libanon.“

Sako glaubt nicht an Niederschlagung der Proteste

Der Kardinal hofft, „dass die Regierung den Schrei der Leidenden jetzt hört“. An diesem Montagabend ist in der chaldäischen Kathedrale ein ökumenisches Gebet für den Frieden und die Stabilität im Irak angesetzt, berichtet er. Dass die Herrschenden den Protesten mit Gewalt ein Ende machen, befürchtet er vorerst nicht. 

„Nein, das glaube ich nicht. Auf dem Tahrir-Platz haben wir auch Soldaten und Polizisten getroffen, die waren sehr freundlich. Wir haben ihnen Schokolade geschenkt; die werden nichts gegen die Demonstranten unternehmen. Allerdings gibt es sicher andere, die jetzt um ihre Macht und ihr Geld bangen und die sehen, dass diese Proteste nicht in ihrem Interesse sind…“

(vatican news)
 

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04. November 2019, 13:39