Pilgern: Wenn das Leben in einen Rucksack passt
Ines Schaberger – Assisi
Da standen wir nun vor der imposanten Franziskus-Basilika in Assisi – nach 53 Tagen mit Rucksack und Wanderschuhen quer durch Österreich und Italien. 1.300 Kilometer hatten wir zu Fuß zurückgelegt, weitere 300 Kilometer mit Zug, Bus und Seilbahn.
Wir waren am Ziel unserer Pilgerreise. Und wir fühlten: nichts.
Klar war es schön, angekommen zu sein. Doch die große Erleichterung setzte nicht ein. Etwas benommen beobachteten wir die vielen Menschen, die an diesem Sonntagmorgen Selfies vor der Kirchenfassade mit sich, ihren Hunden und ihren Kindern machten. Da blickten wir uns an und merkten, dass unser eigentliches Ziel der Weg selbst gewesen war.
Die Pilgerreise begann vor meiner Haustür
Spulen wir zwei Monate zurück: Frisch mit dem Studium fertig, hatten mein Freund und ich beschlossen, es sei wieder einmal Zeit für frische Luft und Sport – nachdem wir uns für das Schreiben unserer Masterarbeiten wochenlang hinter Büchern vergraben hatten. Außerdem wollten wir uns eine Auszeit gönnen, in der wir uns selbst und einander besser kennenlernen konnten.
Die Pilgerreise begann vor meiner Haustür. Nach dem Frühstück liefen wir los, durch das Dorf, in dem ich aufgewachsen war, vorbei an meinem Kindergarten und meiner alten Schule. Wir liefen und liefen und hörten nicht mehr auf. Die Route bastelten wir aus verschiedenen bereits bestehenden Pilgerwegen zusammen: dem österreichischen Jakobsweg, dem „Abt-Albert-von-Stade-Weg“, dem „Antoniusweg“ und dem „Cammino di Assisi“.
Schritt für Schritt
Statt uns langsam an das Gewicht der Rucksäcke auf unseren Schultern zu gewöhnen, liefen wir am ersten Tag 28 Kilometer – Mitte August bei Mittagshitze, ohne Sonnencreme, ohne Kopfbedeckung. Abends: Kopfweh, Übelkeit, Muskelkater und eine Blase am großen Zeh. Am nächsten Tag schafften wir mit Müh und Not 15 Kilometer.
Doch mit jedem Tag, den wir unterwegs waren, wurde es leichter; wir spürten, dass unsere Körper zäher waren, als wir angenommen hatten und sich an die Anstrengung gewöhnten. Und wir merkten: Wenn man nur jeden Tag ein bisschen geht, Schritt für Schritt, mal einen Pausentag einlegt, aber nicht aufgibt, egal, wie langsam man vorankommt – dann gelangt man am Ende doch ans Ziel.
Zu Gast in Klöstern und Pilgerherbergen
Auf unserem Weg bis Assisi öffneten uns viele Klöster ihre Türen und wir konnten einige Ordensgemeinschaften kennen lernen. Da wir stellenweise nur wenig bekannte und noch nicht etablierte Pilgerwege gingen, war es trotzdem herausfordernd, eine Bleibe zu finden. Also schliefen wir oft im Zelt – und einmal in einem Vier-Sterne-Hotel, weil alle Klöster und Pfarrhöfe uns abgewiesen hatten und die günstigen Unterkünfte ausgebucht waren.
Morgens den Schlafsack einzupacken und nicht zu wissen, wo man ihn abends wieder ausrollen wird – diese Erfahrung war unglaublich ermüdend und ging an unsere Substanz. Einfacher wurde es die letzten 250 Kilometer vor Assisi, wo wir Pilgerherbergen in Klöstern, einem umgebauten Eselstall oder einer ehemaligen Schule fanden.
Besondere Begegnungen mit italienischen Großmüttern
„Bist du beim Pilgern Gott begegnet?“, wurde mein Freund einmal gefragt. Damals fand ich die Frage lustig, heute würde ich antworten: Ja, in der atemberaubenden Schöpfung und in den vielen Menschen, die uns gastfreundlich aufnahmen. Signora Clara zum Beispiel.
Eine österreichische Franziskanerin servierte uns Frühstück, als wären wir Adelige, Bäuerin Anna erklärte uns, wie sie selbst Butter herstellt und Francesco, der als Freiwilliger in einer Pilgerherberge kochte, ließ uns selbstgemachten Grappa kosten.
Nach der Pilgerreise ist vor der Pilgerreise
Der Weg veränderte uns: Er schweißte uns zusammen. Er zeigte uns unsere Grenzen – und ließ uns ein Stück darüber hinaus wachsen. Er gab uns einen Einblick in die Kirche in Österreich und Italien.
Auch die Pilgerstempel, die wir in unserem selbstgemachten Pilgerausweis sammelten, veränderten sich mit dem Weg: Am österreichischen Jakobsweg fanden wir in vielen Kirchen kunstvolle Stempel mit Jakobsmuschel, zwischen Brenner und Padua begnügten wir uns meist mit den Adress-Stempel der Unterkünfte, in denen wir schliefen. Für die Nächte im Zelt gab es nichts. Dafür erhielten wir wieder besondere Stempel in den Pilgerherbergen, die wir ab dem „Cammino di Assisi” aufsuchten.
Ein wenig traurig macht es schon, dass dieser Pilgerweg zu Ende ist. Der eigentliche Pilgerweg geht jedoch weiter – nur ohne Stempel.
Hintergrund
In Italien gibt es mittlerweile viele verschiedene Pilgerwege: den Franziskusweg, den Via Francigena oder den Benediktusweg.
Ines Schaberger und René Ochsenbein haben sich für den österreichischen Jakobsweg, den Antoniusweg und den Cammino di Assisi entschieden. Ihren Pilgerweg haben sie auf Instagram dokumentiert.
(vaticannews)
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