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Koranschüler in Karachi Koranschüler in Karachi 

Pakistan: Zwangsbekehrungen? Die Sache ist komplex…

Immer wieder gibt es (auch bei uns) Meldungen über Entführungen von jungen Christinnen in Pakistan: Zwischen 12 und 25 Jahren sind sie in der Regel alt, und man zwingt sie, zum Islam überzutreten. Nicht nur Christinnen betrifft das, sondern auch junge Hindu-Gläubige, etwa tausend Fälle soll es jährlich geben.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

„Dieses Phänomen von Entführung und Zwangskonversion ist schon seit einiger Zeit chronisch“, bestätigt uns der christliche Menschenrechts-Anwalt Paul Bhatti. „Es betraf zunächst vor allem junge Hindu-Frauen. Es gab mehrere Anläufe, dem Phänomen per Gesetz beizukommen, aber das ist wegen der Instabilität der politischen Verhältnisse nicht geglückt. Ich habe mehrere Fälle, etwa in Islamabad, aus der Nähe verfolgt, und mehrmals ist es uns auch gelungen, die Frauen zu befreien.“

Allerdings ist es Bhatti wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Phänomen ausgesprochen viele Facetten habe und bei weitem nicht immer so holzschnittartig verlaufe, wie sich das manchmal in Nachrichten ausnehme.

Viele Facetten

„Natürlich gibt es organisierte Kriminalität, Islamismus und Terrorismus – aber es gibt durchaus auch Fälle, in denen sich so ein junges Mädchen in einen Muslim verliebt; die verstecken sich dann vor ihren Eltern und heiraten im Geheimen, und da ist dann in legaler Hinsicht nichts mehr zu machen…“

Böser Muslim raubt unschuldige Christin und zwingt sie zum Übertritt zum Islam – so einfach lägen die Dinge häufig nicht, erzählt Bhatti.

Zum Nachhören

„Sehr häufig führen junge Christinnen einfache Arbeiten durch für einen Unternehmer. Und der verliebt sich womöglich in sie. Er muss jetzt gar nicht mal ein besonders religiöser Muslim sein – aber die einzige Möglichkeit, die er hat, um sie zu heiraten, ist, dass sie zum Islam übertritt. Ich habe sehr viele solcher Fälle verfolgt und auch mit Mädchen, die noch entführt waren, ausführlich gesprochen; es kommt häufig vor, dass diese Mädchen für sich selbst gesagt haben: Das ist ein Weg für mich, um der Armut in meinem Elternhaus zu entkommen. Und dann gibt es immer wieder auch Fälle, da wurde geheiratet – mehr oder weniger freiwillig –, und hinterher will sie nicht mehr und sagt: Man hat mich zwangsbekehrt. Das ist in Islamabad, in Faisalabad, häufig auch in der Peripherie von Karachi passiert.“

Entscheidender Faktor ist Armut

Ein wichtiger Faktor bei diesen Geschichten ist Armut, urteilt Bhatti. „Wenn junge Christinnen in so ein etwas reicheres Ambiente kommen… Oder junge Christinnen werden zuhause unterdrückt, und kaum kommen sie einmal raus, hängen sie sich an den Erstbesten, aber um sich ihrer Familie gegenüber zu rechtfertigen, sagen sie dann, man habe auf sie Zwang ausgeübt. Mir tut jeder Fall von sogenannter Zwangsbekehrung leid, aber ich bin sehr optimistisch, dass die Zahl immer weiter zurückgehen wird. Doch auch wir selbst – Christen und andere Minderheiten – müssen in dieser Hinsicht unsere Hausaufgaben machen.“

Kampagnen, die nichts bringen

Damit meint Bhatti auch die Kampagnen von NGOs aus dem Ausland. „Wenn solche Dinge passieren, dann greifen NGOs häufig diese Fälle auf, um Werbung für sich zu machen. Und dann werden irgendwelche Anwälte beauftragt – dabei müsste man erst einmal prüfen, welches Ausbildungs-Niveau dieser Anwalt hat, ob er schon mit solchen Fällen zu tun hatte usw., sonst kann das schnell kontraproduktiv werden, denen gehen vor dem Obersten Gericht bald die Argumente aus. Dann hatte zwar die NGO ihre Kampagne, aber keinem ist damit gedient! Und so etwas passiert sehr, sehr oft in Pakistan.“

Überhaupt solle die internationale Gemeinschaft nicht zu unsensibel auf solchen Themen herumreiten – sonst entmutige sie auch viele Muslime in Pakistan, die sich sehr gegen Entführungen und Zwangsbekehrungen engagierten. Denn Bhatti ist davon überzeugt: Das Land verändert sich derzeit, vom Ausland oft unbemerkt, zum Besseren.

„Die Fälle von Zwangsbekehrungen gehen zahlenmäßig zurück“

„Vor allem: Die Fälle von Zwangsbekehrungen gehen zahlenmäßig zurück, wie übrigens auch die Fälle von Islamismus, Extremismus und Attentaten. Es sieht schon so aus, als hätten die Anstrengungen der Regierung in dieser Hinsicht in den letzten Jahren doch Frucht getragen! Allerdings hat Pakistan eine Bevölkerung von 120 Millionen Menschen, und davon kann etwa die Hälfte weder lesen noch schreiben, das macht einen schnellen Wandel schwierig. Dennoch: Es gibt ihn, diesen Wandel zum Besseren in Pakistan.“

In die Negativ-Schlagzeilen ist Pakistan in den letzten Jahren vor allem wegen seines Blasphemie-Gesetzes geraten: Auf die Beleidigung des islamischen Propheten Mohammed steht die Todesstrafe, und viele Angehörige nicht-islamischer Minderheiten stehen deshalb unter Druck. Die Katholikin Asia Bibi saß wegen des Blasphemie-Gesetzes etwa acht Jahre lang in Haft, erst im Frühjahr 2019 wurde sie - von vielen unerwartet – freigesprochen und konnte im Mai nach Kanada ausreisen.

„Das Blasphemie-Gesetz ist gar nicht das Problem...“

Doch auch zum Blasphemie-Gesetz hat Bhatti, der sich sehr für Asia Bibi eingesetzt hat, eine überraschende Meinung. „Da sage ich ganz klar: Das Problem ist gar nicht dieses Gesetz. Das Problem ist die Ideologie, die extreme Mentalität. Hingerichtet worden ist wegen dieses Gesetzes noch keiner, es hat nur lange Gefängnisstrafen gegeben, wie das ja auch bei Asia Bibi war.“

Hingegen würden viele der Blasphemie Angeklagte misshandelt oder gar getötet, schon bevor sie vor Gericht kommen, so Bhatti.

Die Dinge nicht schlimmer machen, als sie sind

„Was wir also wollen, ist, dass die Regierung sich einmal der Schulen und Institute annimmt, wo Kinder und Jugendliche mit extremistischer Ideologie geimpft werden. Also, der Diskurs ist komplexer, als es oft scheint. Natürlich setzen wir unser Leben und all unser Handeln daran, dass es in Pakistan zu Frieden und einer friedlichen Koexistenz kommt zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens. Allerdings muss man bei konkreten Fällen sehr aufpassen, dass man die Dinge nicht noch schlimmer macht, als sie sind.“

(vatican news)
 

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19. Dezember 2019, 12:12