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Shoah-Gedenken: Es ist schwieriger geworden, daran zu erinnern

Die Zahl der Zeitzeugen wird von Jahr zu Jahr geringer. Gleichzeitig ist ein zunehmender Antisemitismus in Europa festzustellen. Der Rabbiner David Meyer plädiert für eine interreligiöse Erinnerungskultur. Meyer ist Professor für rabbinische und jüdische Literatur an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

Mario Galgano und Olivier Bonnel – Vatikanstadt

Was die Erinnerung an die Shoah betrifft, so sei die Weitergabe der persönlichen Leidensgeschichten ein wesentliches Element. Im Gespräch mit Radio Vatikan hebt der Rabbiner David Meyer, der an der Gregoriana doziert, die Bedeutung der Zeitzeugen hervor. Denn das Erinnerung an die Schrecken des Holocausts werde in erster Linie durch die Überlebenden, ihre Geschichten, wach gehalten. Das erfordere aber einer „Erziehung des Gedächtnisses“. Dies sei eine Herausforderung, die in den westlichen Gesellschaften, vor allem in Europa, nicht sehr offensichtlich sei. Die beunruhigende Zunahme antisemitischer Handlungen und Reden in den letzten Jahren werfe diesbezüglich Fragen auf.

„Es kommt natürlich darauf an, von welchem Ort aus man das Ganze betrachtet. Im Allgemeinen stellen wir in Europa ein Erstarken des Antisemitismus fest. Ähnliches erleben wir in Nordamerika. Die Gründe hierfür unterscheiden sich von Kontinent zu Kontinent. Was uns hier in Europa betrifft, so gibt es viele Faktoren, meines Erachtens nach vor allem die seit 2012 verbreitete These, dass es sich beim Judentum um eine alte, barbarische Ritus-Religion handle. Diese Vereinfachung und Zuspitzung sehen wir auch in den jüngsten Debatten, wo es um die Beschneidung geht. Da wird das Judentum als barbarische Kultur abgestempelt, als nicht mit der europäischen Ethik kompatibel betrachtet.“

Neuer vs. klassischer Antisemitismus

In einem solchen Kontext werde es schwierig, die jüdische Tradition und Kultur als Teil Europas festzumachen. Der „klassische“ Antisemitismus, der zur Shoah führte, war von der sogenannten Rassenlehre geprägt. Der heutige Antisemitismus sei anders, weil es darum gehe, die jüdische Religion als solche nicht nur kritisch, sondern als nicht hinnehmbar anzusehen, so die Analyse des Rabbiners.

„Da sehe ich eine grundlegende Änderung der Haltung gegenüber Juden in Europa. Damit verbunden sind all jene Debatten, die wir kennen. Da ist zum Beispiel die Frage, ob der Anti-Zionismus eine Form des Antisemitismus sei. Es ist aber meines Erachtens dringend notwendig, diese extrem negativen Haltungen den Juden gegenüber zur Kenntnis zu nehmen und etwas dagegen zu tun, denn es gibt ja schon konkrete Attacken gegen Juden in Europa.“

Grund für diese „neue“ negative Haltung sei auch der immer stärker werdende Verlust des religiösen Bewusstseins.

„Da bin ich zwar nicht ganz sicher, ob das wirklich der Fall ist. Wenn ich daran denke, dass in einem früheren stark christlich geprägten Europa der Antisemitismus sehr verbreitet war, würde ich die religiöse Ebene differenziert betrachten. Es scheint mir aber, dass es vor allem ein Unwissen ist, was das religiöse Bewusstsein und die religiöse Identität betrifft.“

Deshalb plädiert Rabbiner Meyer für eine von allen Religionsgemeinschaften mitgetragene Erinnerungskultur. Heutzutage werde die Erinnerung an den Holocaust „wie ein Ritual“ begangen, so die Feststellung Meyers.

„Wichtiger als die Frage, ob man jetzt die Erinnerung gefeiert hat oder nicht, sollte doch die Frage sein, ob man sich wirklich bewusst geworden ist, was passiert ist und was es für uns heute bedeutet. Das ist eine existenzielle Frage für unsere Gesellschaft.“

(vatican news)

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27. Januar 2020, 10:48