Indien: Den Frauen das Gefühl geben, gewollt zu sein
Teresa Roelcke und Lydia O'Kane - Vatikanstadt
Alles geht auf ein grauenvolles Erlebnis zurück, erzählt Schwester Lucy: Eine schwangere Frau habe sie um Schutz vor ihrem gewalttätigten Ehemann gebeten. Bis zum nächsten Tag versprach Schwester Lucy, der jungen Frau einen Zufluchtsort aufzutun. Doch am Abend zündete der Ehemann die junge Frau an, woraufhin sie mitsamt ihrem ungeborenen Kind bei lebendigem Leib verbrannte.
Unter diesem Eindruck gründete Schwester Lucy Maher, eine Organisation, die Frauen in ganz Indien hilft. Schwester Lucy hat ihren Arbeitsmittelpunkt in Pune. Wenn Frauen bei ihnen Schutz suchen, dann versuche sie immer zuerst, ihnen das Gefühl zu vermitteln, gewollt und willkommen zu sein, denn was die Frauen zumeist ausstrahlten sei große Qual. Erst wenn sie ein wenig angekommen seien, könne man sich um die konkreten Probleme kümmern. Viele Frauen kommen aber gar nicht von selbst zu Maher, erzählt Schwester Lucy:
„Viele Frauen sammeln wir auf der Straße auf: Wir gehen raus und nehmen sie mit. Viele haben psychische Probleme. Oder sie sind alt, niemand will sie haben und daher sind sie auf der Straße gelandet. Wir machen Streifzüge und halten Ausschau nach Frauen, die auf der Straße leben. Wir retten sie dann und bringen sie in unser Haus. Wir geben ihnen die Möglichkeit, sich zu säubern und geben ihnen Medizin, falls sie das brauchen. Wenn wir die Adresse bekommen, versuchen wir zurück nach Hause zu schicken. Wenn das aber nicht funktioniert, dann bleiben sie für lange Zeit bei uns."
Mangel an Bildung ist ein großes Problem für die Frauen in Indien. Vor allem auf dem Land.
„Für Frauen in Indien ist es weiterhin sehr schwierig. Unter den gebildeten Leuten in der Stadt hat sich das Leben verändert. Aber wenn ich über Frauen in Indien rede, dann rede ich über Frauen in den entlegenen Dörfern. Das sind die Frauen , mit denen ich arbeite. Denen gleiche Rechte zu geben, das ist immer noch nicht in unserer Mentalität verankert. Denn die Leute dort denken immer noch: Einem Mädchen Zugang zu Bildung zu geben ist, als wenn man die Pflanzen der Nachbarn gießen würde."
Man geht nämlich davon aus, dass die Frauen ohnehin verheiratet werden und dann aus der Familie verschwinden. Dann wäre die in sie investierte Bildung sozusagen verschwendet gewesen. Maher versucht, den Frauen in ihrer Obhut Bildung zu ermöglichen, sodass sie möglichst irgendwann wieder auf eigenen Beinen stehen können. Berufliche Ausbildung, damit sie sich irgendwann selbst ernähren können. Oder, falls die Frauen seelisch zu labil sind, eine Art psychische Erziehung, wie sie besser überhaupt für sich sorgen können. Nach Möglichkeit sollen die Frauen irgendwann wieder selbstständig sein. Maher hilft dann bei der Zimmer- und bei der Jobsuche, manchmal organisieren sie auch einen Ehemann für die Frauen. In keinem Fall soll eine Frau einfach so wieder auf die Straße geschickt werden.
Bei dieser Sorge um die Frauen in desolaten Situationen ist es Schwester Lucy unwichtig, woher sie stammen, wer sie sind und welcher Religion sie angehören. In diesem Zugang fühlt sie sich Papst Franziskus sehr nah.
„Ich arbeite mit Leuten aus allen Glaubensrichtungen. Wenn ich eine hilfsbedürftige Frau auf der Straße finde, dann weiß ich nicht, zu welcher Religion, Klasse oder Kaste sie gehört. Mir ist es wichtig, dass es um die Menschen geht, nicht um ihre Religion, ihre Klasse oder Kaste. Wir glauben daran, alle Leute gleich zu behandeln. Papst Franziskus hat darüber geredet, die Menschen zu akzeptieren, ans Fenster zu gehen, an die Grenzen zu gehen – diese Dinge haben mich am meisten berührt, darum liebe ich ihn so sehr. Er trifft so viel von dem, was mir auf dem Herzen liegt. Manchmal habe ich mich sehr einsam in meiner Arbeit gefühlt. Und als der Papst angefangen hat, über dieselben Themen zu reden, die mich bewegen, da bin ich viel zuversichtlicher geworden, meine Arbeit fortzusetzen."
Füße waschen
Eine Geste von Papst Franziskus hat sie dabei besonders berührt, erzählt Schwester Lucy.
„Für mich ist er wirklich ein Vorbild. Als er die Füße einer muslimischen Frau an Gründonnerstag gewaschen hat, habe ich mir sehr gewünscht, in der Nähe zu sein und ihn zu umarmen... In Maher waschen wir den Leuten auch die Füße, und zwar allen, ungeachtet der Religion. Daher fühle ich mich Papst Franziskus so nah."
(vatican news)
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