Italien: Vor 100 Jahren wurde Fokolar-Gründerin geboren
Der „Spiegel“ nannte sie „die wohl mächtigste Frau in der katholischen Kirche“: Chiara Lubich hat eine der heute am weitesten verbreiteten religiösen Laienbewegungen gegründet. Die Fokolar-Bewegung gehört heute zu den größten und wichtigsten Gemeinschaften innerhalb der katholischen Kirche.
Tätige Nächstenliebe
Am 22. Januar 2020 wäre Lubich 100 Jahre alt geworden. Ihre Karriere begann als Reaktion auf die Schrecken des Krieges. 1943 wird die norditalienische Stadt Trient bombardiert. Tausende Menschen fliehen, auch die Familie Lubich. Doch Chiara bleibt.
23 Jahre jung ist die tiefgläubige Volksschullehrerin. Mit Freundinnen bezieht sie eine kleine Wohnung. Die Frauen setzen auf tätige Nächstenliebe, sozusagen als Kontrastprogramm zum Kriegsgrauen um sie herum.
Das erste „Fokolar“ entsteht, das die Trienter Bevölkerung nach dem Wort für „Herdfeuer“ benennt, in Anlehnung an die Wärme des Feuers und der sich darum versammelnden Familie. Die Frauengemeinschaft will ihr Leben komplett in den Dienst Gottes stellen, getreu einem Satz aus dem Johannes-Evangelium: „Alle sollen eins sein.“
Daraus entwickelt sich unter den Fokolaren – zu denen bald auch Männer zählen – der vehemente Einsatz für ein friedvolles Miteinander aller Menschen in Geschwisterlichkeit, unabhängig von Konfession und Religion.
Unkontrollierbare Tränen
Lubich selbst wächst mit drei Geschwistern auf. Sie ist Kind einer überzeugten Katholikin und eines engagierten Sozialisten. Mit 19 beginnt ihr „geistiges Abenteuer“, wie es die Fokolare nennen. Lubich besucht den marianischen Wallfahrtsort Loreto in Mittelitalien. In der dortigen Basilika steht der Tradition zufolge Marias Geburtshaus aus Nazareth. Als sie dort gekniet habe, so Lubich später, habe etwas Göttliches sie umfasst. „Ich weinte unkontrollierbare Tränen.“
Vier Jahre später tritt Lubich dem Dritten Orden der Franziskaner bei. 1949 beendet sie ihre Mitgliedschaft, behält aber ihren geänderten Namen: statt Silvia, wie sie getauft wurde, nennt sie sich von nunan Chiara - zu Ehren der Ordensgründerin Klara von Assisi.
Immer eine Frau an der Spitze
Am 7. Dezember 1943 legt Lubich das ewige Gelübde der Keuschheit ab. Dieses Datum gilt als Beginn der Fokolar-Bewegung. An deren Spitze steht laut Statut immer eine Frau. Dieses „weibliche Postulat“ erklärt die deutsche Fokolar-Sprecherin Andrea Rösch so: „Chiara wollte sicherstellen, dass die Fokolare immer laiengeführt sind und die marianische Dimension zum Ausdruck bringen.“
Und so heißen die längst päpstlich approbierten Fokolare kirchenrechtlich „Werk Mariens“. Aktiv sind sie heute in 182 Ländern und zählen rund 110.000 Mitglieder. Zugehörig fühlten sich der Organisation bis zu zwei Millionen Menschen. 90 Prozent der Fokolare seien katholisch, hinzu kämen Angehörige anderer Konfessionen und Religionen sowie Bekenntnislose.
Personenkult gilt als überwunden
So erfolgreich die Ausbreitung der Fokolare gelungen sein mag, ihre Geschichte hat auch Schatten. Da gibt es etwa den Vorwurf eines sektenähnlichen Personenkults um Chiara Lubich. Die Kritik sei heute nicht mehr haltbar, aber früher teils begründet gewesen, meint Rösch. „Chiara selbst war daran nie gelegen.“ Lubich starb am 14. März 2008 mit 88 Jahren in Rocca di Papa bei Rom.
Papst Benedikt XVI. gedachte ihrer als einer „Botin der Hoffnung und des Friedens“. Geehrt worden war Lubich auch zu Lebzeiten: etwa mit dem Menschenrechtspreis des Europarats, dem Unesco-Friedenspreis und dem Templeton-Preis, dem „Nobelpreis der Theologie“. Ferner war sie Ehrenpräsidentin der „Weltkonferenz der Religionen für den Frieden“.
Seligsprechung ist in Gang
Posthum könnte eine weitere Würde folgen: Der 2015 eröffnete Seligsprechungsprozess für Lubich hat es just in die vatikanische Prüfung geschafft. Die Fokolare selbst huldigen ihrer Gründerin zum Jubiläum unter anderem mit einer international koordinierten Jahresschau des Historischen Museums von Lubichs Heimatstadt Trient. Zudem sind 2020 weltweit Festgottesdienste, Kulturveranstaltungen, Symposien und Tagungen zum Gedächtnis an die Italienerin geplant.
Chiara Lubich mag also fast zwölf Jahre tot sein, ihr Feuer aber brennt weiter.
(kath.ch – mg)
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