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Türkei: „Zuerst sind wir Christen, erst dann Griechen oder Russen“

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., hat die Bedeutung der Orthodoxie erläutert: „In erster Linie sind wir orthodoxe Christen und dann erst Griechen, Russen, Bulgaren, Ukrainer oder sonst etwas“, sagte er in einem Interview mit einem australisch-griechischen Radiosender.

Seit dem Fall des Kommunismus sei leider ein Wiederaufleben des sogenannten „Phyletismus“ im kirchlichen Bereich festzustellen. Unter „Phyletismus“ wird im orthodoxen Sprachgebrauch der in die Kirche eingedrungene Nationalismus des 19. Jahrhunderts verstanden. 1870 begründete der osmanische Sultan und Kaiser Abdulaziz I. mit einem Ferman das bulgarisch-orthodoxe Exarchat mit Sitz in Konstantinopel. Daraufhin berief das Ökumenische Patriarchat eine Panorthodoxe Synode ein, die im September 1872 den Beschluss fasste: „Wir weisen zurück, verurteilen und verdammen den Phyletismus, das heißt die Unterscheidung nach Völkern, den ethnischen Streit, die Zwietracht und die Trennungen in der Kirche Christi als einen Widerspruch zur Lehre des Evangeliums und zu den heiligen Kanones unserer gottseligen Väter, die die heilige Kirche stützen, die ganze Christenheit ordnen und sie zur Gottesverehrung anleiten“. Die bulgarisch-orthodoxe Kirche wurde für schismatisch erklärt, erst 1945 kam es zur Versöhnung. Der „Phyletismus“ breitete sich aber trotzdem aus, vor allem in der Diaspora, wo in einer Stadt wie New York mittlerweile zehn orthodoxe Bischöfe unterschiedlicher Jurisdiktion residieren.

Christliche Tradition Europas

Bartholomaios I. betonte in dem Interview die Notwendigkeit, im Hinblick auf die Zukunft Europas an die christlichen Traditionen zu erinnern: „Es ist unsere Pflicht, als Repräsentanten der Kirchen größere Anstrengungen zu unternehmen, damit die Europäer im Alltagsleben den Lehren des Evangeliums folgen. Wir dürfen unsere Wurzeln nicht abschneiden und nie vergessen, dass das Christentum die Grundlage der europäischen Zivilisation ist“. Ein wichtiges Zeichen setzen Friedensinitiativen wie jene, die demnächst wieder in Bari stattfinden wird.

In dem Interview nahm der Ökumenische Patriarch auch zu verschiedenen Aspekten des modernen Lebens Stellung wie der ethischen Bewertung wissenschaftlicher Entwicklungen und der Ausbreitung von „Fake News“. Als Beispiel für den Missbrauch von Wissenschaft und Technik nannte Bartholomaios I. ausdrücklich das Klonen von Lebewesen. Das Phänomen der „Fake News“ habe sich bis in den kirchlichen Bereich ausgebreitet. „Es ist eine Sünde, Menschen durch ‚Fake News‘ in die Irre zu führen“, erklärte das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie.

Hagia Sophia soll keine Moschee werden

Eine scharfe Absage erteilte der Patriarch neo-osmanischen Bestrebungen zur neuerlichen Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee: „Die Hagia Sophia gehört der ganzen Menschheit. Für uns wird sie immer eine historische, traditionsreiche und glorreiche christliche Kirche sein. Wir möchten, dass sie ein Museum bleibt, sodass Besucher aus aller Welt sie weiterhin bewundern können“.

Was die jüngeren autokephalen orthodoxen Kirchen betreffe, müsse daran erinnert werden, dass sie in Konstantinopel ihre Autokephalie (Selbständigkeit) und „gewissermaßen ihre eigene Persönlichkeit“ gewonnen haben. Leider gebe es „undankbare Kinder“, die nicht anerkennen wollen, was sie aus Konstantinopel empfangen haben: Die Taufe, die Kultur, das Alphabet usw. Die Mutterkirche von Konstantinopel habe sich selbst entäußert, um anderen etwas geben zu können, so Bartholomaios I. Weil sie Mutter sei, werde die Kirche von Konstantinopel weiterhin alle Welt lieben. Sie sei keine „Rabenmutter“, wie ein Metropolit der orthodoxen Kirche von Griechenland sie beschuldigt habe: „Sie war, ist und bleibt eine wahre Mutter“.

(pro oriente - mg)

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11. Februar 2020, 11:03