Australien: Neue Ermittlungen gegen Kardinal Pell
Videos australischer Medien zeigen, wie am Dienstag mindestens vier Polizeibeamte das Priesterseminar in Melbourne betraten, in dem der 78-Jährige seit seinem Freispruch durch Australiens Oberstes Gericht in der vergangenen Woche lebt. Unterdessen gab Pell sein erstes Interview seit seiner Freilassung. Der frühere Erzbischof von Melbourne und Sydney sowie ehemalige Präfekt des vatikanischen Wirtschaftssekretariates hat immer wieder dementiert, sich an Kindern und Jugendlichen sexuell vergriffen zu haben.
Verurteilung aufgehoben
Der australische High Court hatte in der vergangenen Woche Pells Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs zu sechs Jahren Haft aufgehoben. Nach Ansicht der Richter hatten die Geschworenen nicht ausreichend die Aussagen von Entlastungszeugen berücksichtigt.
Rechtsexperten betonten nach dem Aufhebungsurteil ausdrücklich, in dem Verfahren vor dem Obersten Gericht sei es nicht um die Frage gegangen, ob Pell die Straftaten Mitte der 1990er Jahre begangen habe oder nicht, sondern um juristische Formfehler im Strafprozess sowie im nachfolgenden Berufungsverfahren. Die Beurteilung des „Falls Pell“ ist für die Öffentlichkeit sehr schwierig, weil die Aussage des mutmaßlichen Opfers nie veröffentlicht wurde und nur den unmittelbar beteiligten Prozessparteien bekannt ist.
Pell-Kritik an „einseitiger“ Berichterstattung
In einem ersten Interview nach seiner Entlassung nach 405 Tagen im Gefängnis reklamierte Pell, er sei Opfer „einseitiger“ Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen australischen Senders ABC. „Ein nationaler Sender, der in überwältigender Weise eine Sichtweise und nur eine Sichtweise präsentiert, ist Betrug am nationalen Interesse“, sagte der Kardinal im Interview mit seinem Vertrauten Andrew Bolt. Auszüge des Interviews für den Sender Sky News wurden bereits am Ostermontag veröffentlicht. Das vollständige Interview mit dem Journalisten Bolt, einem langjährigen Vertrauten Pells, wird am Dienstagabend australischer Zeit ausgestrahlt.
In Melbourne waren bereits vor den jetzt bekanntgewordenen neuen Ermittlungen zivilrechtliche Klagen gegen Pell wegen des Missbrauchs Jugendlicher anhängig. Zudem sind strafrechtliche Verfahren wegen des Verdachts von Behinderung der Justiz bei seinen Aussagen vor dem staatlichen Missbrauchsausschuss wahrscheinlich. Belege dafür könnten sich in den zwei Bänden des Abschlussberichts der Kommission finden, die nach dem jetzt abgeschlossenen Verfahren freigegeben werden sollen.
(kna – pr)
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