Syrien: Neun Jahre Krieg – und nun auch noch das Virus
„Viele Menschen hier sagen, dass sie bereits seit Kriegsausbruch vor neun Jahren leiden. Sie machen sich wenig Sorgen um das Corona-Virus. Andere sind vorsichtiger und besorgen sich Schutzmasken und Desinfektionsmittel“, erzählte der armenisch-katholische Priester Antoine Tahhan dem weltweitem päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“.
Wie in zahlreichen Ländern der Welt, ließ auch die syrische Regierung ab 19. März alle Geschäfte schließen. Zwischen 18 und 6 Uhr gilt zudem eine strenge Ausgangssperre. Wenige Tage später beschlossen die syrischen Bischöfe, auch die Kirchen zu schließen, um die weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhindern. Seitdem feiert Tahhan jeden Morgen allein die heilige Messe in der Heilig-Kreuz-Kirche in Aleppo und geht danach sofort nach Hause, um die Schutzmaßnahmen einzuhalten.
Gesundheitswesen nicht für COVID-19 gerüstet
Sonst gibt es wenig, das getan werden kann in einem Land wie Syrien, in dem der Krieg auch das Gesundheitssystem zerstört hat. „In Aleppo sind viele Krankenhäuser und Gesundheitszentren schwer beschädigt, Medikamentenvorräte wurden geplündert“, erklärt der Priester. Zudem seien viele Ärzte geflüchtet, nachdem islamistische Milizen einige ihrer Kollegen entführt und gedroht hatten, sie zu töten.
Die denkbar schlechtesten Voraussetzungen also in Zeiten der Corona-Pandemie, befürchtet Tahhan: „Ich denke nicht, dass es genug Beatmungsgeräte gibt. Wir benötigen dringend Schutzmasken, Schutzkleidung und Ausrüstung zum Sterilisieren.“ Auch müsse die Bevölkerung noch mehr für die Gefahren von COVID-19 sensibilisiert werden. „Noch immer gehen viele Leute in den Parks spazieren und begrüßen sich, ohne die behördlichen Maßnahmen zu beachten“, erklärt der Priester.
Viele sind nicht gerüstet für diesen unsichtbaren „Krieg“. Die sichtbaren Kämpfe und Angriffe in Aleppo sind seit Ende 2016 vorbei. Nur ein paar wohlhabendere Familien konnten seitdem ihre Häuser wiederherstellen. Gerade unter den Christen der Stadt gibt es aber viele arme Leute. Sie können nur überleben, weil die Kirchengemeinden sie mit Lebensmitteln, Mietbeihilfen oder Medikamenten unterstützen. Das Geld dazu kommt von Organisationen wie „Kirche in Not“.
Corona verschärft die Wirtschaftskrise
Der durch den Krieg und die Folgen ausgelöste Exodus sei nach wie vor ein schwerer Schlag, erklärt Tahhan: „Vor dem Krieg lebten in Aleppo 30 000 christliche Familien. Nun sind es noch rund 10 000. Zwei Drittel davon sind ältere Menschen.“ Die Überalterung schafft nun in ganz Syrien in Zeiten von Corona neue Probleme.
Die Wirtschaftskrise in Syrien verschlimmert sich zusehends. Hinzu kommen die Sanktionen, so der Priester: „Die Löhne reichen nicht, um die Familien zu ernähren. Die Sanktionen fügen der Bevölkerung weiteres Leid zu, und die schlechte wirtschaftliche Lage im Libanon beeinträchtigt auch die Wirtschaft in Syrien. Der Dollarkurs und die Lebenshaltungskosten sind in die Höhe geschossen.“
Die Sanktionen aufheben
Aus der armenisch-katholischen Gemeinde seien seit der Befreiung Aleppos 75 Familien zurückgekehrt – allesamt Vertriebene innerhalb Syriens. „Um Familien zur Rückkehr zu ermutigen, müssen die Sanktionen aufgehoben werden, wie es auch der Papst in seiner Osterbotschaft gefordert hat“, schließt Tahhan.
Das Corona-Virus ist für die Menschen in Syrien eine weitere Sorge unter vielen anderen. Die Pandemie lässt die Menschen vor allem die wirtschaftlichen Folgen fürchten. Sie könnte zum einen ihren Leidensweg erschweren und zum anderen eine Verringerung der ausländischen Nothilfeprogramm zur Folge haben, die jetzt für ihr Leben wichtiger sind denn je.
(kirche in not – sk)
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