Explosiv: Wird die Hagia Sophia zur Moschee?
Die türkische Denkmalschutzvereinigung hat an den Verwaltungsgerichtshof (Daniştay) appelliert, zu prüfen, ob das Dekret von 1934 über die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum manipuliert ist. Wenn das Gericht den Appell am 2. Juli als verhandelbar einstuft und sich bestätigen sollte, dass die Unterschrift Kemal Atatürks auf dem Dekret von 1934 gefälscht ist, würde das Verfahren zur Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee in Gang gebracht werden, so die Zeitung.
Die Denkmalschutzvereinigung hatte bereits früher Vorstöße unternommen, um eine Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee zu erreichen; diese Vorstöße waren aber zurückgewiesen worden.
Erdogan geht vorsichtig, aber beharrlich vor
Nach Angaben der Zeitung „Hürriyet“ vom 5. Juni will der türkische Präsident Recep T. Erdogan das Statut der Hagia Sophia so verändern, dass sie auch wieder als islamisches Gotteshaus genutzt werden kann. „Hürriyet“ berief sich auf „vertrauliche Quellen“. Der Plan soll von Erdogan selbst bei einer Sitzung des Exekutivkomitees seiner Partei, der AKP, angekündigt worden sein.
Der Präsident habe die Entwicklung einer Formel verlangt, um das Bauwerk trotz der Nutzung als islamisches Gotteshaus weiterhin für Touristen zugänglich zu machen, „genau wie bei der Sultanahmet-Moschee (Blaue Moschee)“. Das Projekt sei „mit Vorsicht und ohne Eile“ durchzuführen, da es sich bei der Hagia Sophia um ein „sensibles“ Thema handle, über das jedoch „nur unsere große Nation entscheiden kann“, wurde der Präsident in der Zeitung zitiert.
Streit um islamisches Gebet in der früheren Kathedrale
Die Frage nach dem Status der Hagia Sophia ist wieder in den Mittelpunkt internationaler Kontroversen gerückt, nachdem die türkische Regierung beschlossen hatte, zum 567. Jahrestag der osmanischen Eroberung von Konstantinopel am 29. Mai 1453 in der Basilika aus dem Koran die sogenannten „Sure der Eroberung“ (Sure 48) verlesen zu lassen. Außerdem wurde auf dem Vorplatz der Basilika eine Multimediaschau mit Gebeten über die Eroberung von 1453 veranstaltet. Die Initiative löste eine sofortige heftige Reaktion der griechischen Regierung aus. Athen bezeichnete die Vorgänge in der und um die Hagia Sophia am 29. Mai als „Beleidigung der weltweiten christlichen Gemeinschaft“ und Verletzung des Welterbe-Status der Kathedrale.
Die Hagia Sophia-Kathedrale wurde nach dem Fall von Konstantinopel – ebenso wie unzählige andere Kirchen in der Bosporus-Metropole - in eine Moschee umgewandelt. Sie blieb die osmanische „Reichsmoschee“ bis zum Ende des Osmanischen Reiches. 1931 wurde der islamische Gottesdienst in der Hagia Sophia eingestellt. Auf Grund des jetzt wieder umstrittenen Dekret Atatürks wurde sie 1935 in ein Museum umgewandelt.
Metropolit aus Moskau warnt vor interreligiösen Spannungen
Im Hinblick auf die Koran-Rezitation vom 29. Mai in der Hagia Sophia stellte der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion (Alfejew), am 6. Juni fest, jeder Versuch, den Museums-Status der Kathedrale zu verändern, würde die „heute bestehende fragile interkonfessionelle Balance in Frage stellen“. Der Metropolit plädierte dafür, dass die Hagia Sophia ein Museum mit offenem Zugang für alle bleibt; er hoffe, dass es durch Vorkommnisse wie die Koran-Rezitation nicht zu „interreligiösen Spannungen“ komme.
Wörtlich stellte der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats fest: „Diese Kirche ist ein Symbol für Byzanz. Sie ist aber auch ein Symbol der Orthodoxie für Millionen von Christen in aller Welt, vor allem für die orthodoxen Gläubigen“. Die Kathedrale sei im 6. Jahrhundert von Kaiser Justinian als zentrales Gotteshaus des Oströmischen Reiches errichtet worden.
Kritischer US-Bericht
Für das russische Volk sei die Hagia Sophia besonders bedeutsam, weil dort die Abgesandten des Kiewer Großfürsten Wladimir die Göttliche Liturgie erlebten, „als ob sie im Himmel wären“. Die Erzählung darüber habe dann den Ausschlag für die Entscheidung Wladimirs für die „Taufe der Rus“ gegeben.
Im diesjährigen „International Religious Freedom Report“ hatte auch das US-Außenministerium festgestellt, dass amerikanische Regierungsvertreter in „privaten und öffentlichen Gesprächen“ mit türkischen Repräsentanten auf die „außerordentliche Bedeutung“ der früheren orthodoxen Kathedrale in Konstantinopel hingewiesen hätten. Diese Bedeutung müsse in einer Weise bewahrt werden, die der religiösen Geschichte der Hagia Sophia gerecht wird. Zugleich sei von amerikanischer Seite darauf verwiesen worden, dass die Hagia Sophia ein „Symbol der friedlichen Koexistenz, des wahren Dialogs und des Respekts zwischen den Religionen“ sei.
Präsident Erdogan reagierte auf die internationale Kritik am 8. Juni: Die Türkei habe das Recht, „unabhängig“ über eine Änderung des Status der Hagia Sophia zu entscheiden. Ankara müsse auch nicht in Athen um Erlaubnis fragen, ob die Hagia Sophia wieder eine Moschee werden dürfe. Im Hinblick auf die gesetzliche Lage werde auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs gewartet, danach werde man „entsprechend vorgehen“.
Der Vorsitzende der rechtsextremen „Milliyetci Hareket Partisi“ (MHP), Devlet Bahceli, erklärte: „Die Hagia Sophia ist eine Moschee, ein Symbol der Eroberung durch das türkische islamische Volk. Das ist eine Wahrheit, die sich nicht ändert, jeder muss das anerkennen. Durch den Willen Gottes ertönt nicht der Klang von Glocken, sondern der ‚Adhan‘ (islamischer Gebetsruf, Red.) von der Hagia Sophia“.
Auch in der islamischen Welt gibt es negative Reaktionen
Doch in der islamischen Welt gibt es nicht nur positive Reaktionen auf das Projekt, die Hagia Sophia zur Moschee zu machen. Das ägyptische islamisch-sunnitische Ordinariat (Dar-al-Fetwa) bezeichnete die osmanische Eroberung von Konstantinopel als „Besatzung“ und die Umwandlung der Kathedrale in eine Moschee als eine unglückliche Entscheidung. Die Entscheidung des Dar-al-Fetwa erfolgte unter dem Vorsitz des ägyptischen Großmufti. Politische Beobachter sehen einen Zusammenhang mit dem „geopolitischen Tauziehen“ zwischen Kairo und Ankara wegen der Situation im vom Bürgerkrieg zerrissenen Libyen.
Auch in der türkischen Presse gibt es negative Kommentare im Hinblick auf eine „Re-Islamisierung“ der Hagia Sophia. So schrieb Orhan Bursal, Kolumnist der Zeitung “Cumhuriyet”, die Hagia Sophia-Frage werde vom Establishment um Präsident Erdogan für Wahlzwecke instrumentalisiert, um „mögliche Feinde“ zu identifizieren und so das Unbehagen der türkischen Öffentlichkeit im Hinblick auf die coronabedingte Wirtschaftskrise auf ein anderes Ziel abzulenken. (e
(pro oriente – sk)
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