Hagia Sophia: Möge es ein Ort des Friedens und des Dialogs sein
Maria Milvia Morciano – Vatikanstadt
Beim Angelus am Sonntag sagte Papst Franziskus, er sei „sehr betrübt“, wenn er an die Hagia Sophia in Konstantinopel denke. Die ehemalige christliche Basilika, die 537 unter dem christlichen Kaiser Justinian eingeweiht wurde, wurde 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen zu einer Moschee und 1934 von Atatürk in ein Museum umgewandelt. Nun soll die Hagia Sophia, wie von den türkischen Behörden am 10. Juli beschlossen, wieder zu einer islamischen Kultstätte werden. Es gab viele Reaktionen auf diese Entscheidung. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat den türkischen Präsidenten Erdoğan gebeten, den Entscheid zu überdenken, um gegenseitiges Verständnis, Respekt, Dialog und Zusammenarbeit zu fördern und alte Feindseligkeiten, Ausgrenzungen und Spaltungen zu vermeiden.
Eine lange Geschichte
Die byzantinische Kathedrale der Hagia Sophia hat seit den Anfängen ihres Baus im sechsten Jahrhundert erstaunt und fasziniert. Es war das Hauptgebäude für die Gottesdienste in der byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel und ist auch heute noch das erkennbarste Symbol der modernen türkischen Stadt Istanbul. Die Hagia Sophia ist der sichtbare Ort der Ereignisse, die den Lauf der Geschichte jener Stadt geprägt haben.
Das Transzendente, das herabsteigt, um greifbar zu werden
„Die heilige Sophia - sagte Lucian Blaga, rumänischer Dichter und Philosoph - hängt im Raum, von oben bis unten, durch einen unsichtbaren Faden ist alles mit dem Himmel verbunden... Die ganze Kathedrale stellt eine autarke Welt dar, die auf nichts ruht, die sich zu nichts erhebt, sondern sich einfach zeigt, sich offenbart. Tatsächlich besteht dort der Gedanke, mehr gelebt als gedacht zu sein, der sich in dieser Art des Bauens niedergelassen hat; eine Idee, dass das Transzendente herabsteigt, um greifbar zu werden, und so eine Offenbarung von oben nach unten möglich macht, damit die Gnade von oben Gestalt annimmt und sensibel wird.“
Göttliche Weisheit
Die antike Basilika war der göttlichen Weisheit gewidmet, wie der griechische Name (Αγία Σοφία) sagt. Das Konzept der Weisheit nimmt in der Heiligen Schrift einen grundlegenden Platz ein. In den siebziger Jahren waren die ersten Übersetzungen des Alten Testaments ins Griechische verfasst worden. Das Substantiv Sophia ist die Übersetzung des hebräischen „ḥoḵma“, Weisheit, das zentrale Thema der Weisheitsbücher. Im Alten Testament wurde die Personifizierung der Weisheit (hebräischer „Chokhmah“) sowie der Begriff der Weisheit („Sophia“) aus der griechischen Philosophie, insbesondere aus dem Platonismus, übernommen. Im Christentum wird der Sohn Gottes, die zweite Person der Dreifaltigkeit, der Logos, mit der göttlichen Weisheit identifiziert (vgl. 1 Kor 1,24). Die Zentralität Jesu kommt in der Basilika der Heiligen Sophia in dem Mosaik von Christus Pantokrator zum Ausdruck, das in der Kuppel, dem optischen Zentrum des Gebäudes, platziert ist.
Das Licht der Auferstehung
Jüngste archäologische Untersuchungen haben die Konturen und Funktionen der Außen- und Innenräume des Gebäudes neu zur Geltung gebracht. Zu den Neuentdeckungen gehören ein rundes Baptisterium, eine Bibliothek und ein Vestibül sowie dekorative Elemente wie Mosaiken, Fresken und Skulpturen. Ein Detail fügt jedoch eine tiefe symbolische Bedeutung hinzu. Im Außenbereich wurden sowohl in den Fußböden als auch in den Gewändern weiße Marmorplatten gefunden, die eine Rekonstruktion eines Gebäudes ermöglichen, das sich von dem unterscheidet, das man bisher gesehen hatte. Die Marmorplatten reflektierten das Licht und verliehen ihm eine außergewöhnliche, auch von weitem sichtbare Leuchtkraft, in Übereinstimmung mit der byzantinischen Symbolik, die mit dem Licht verbunden ist. Die Farbe Weiß ist im Christentum die Farbe des Lichts, der Auferstehung Christi.
Vor der Hagia Sophia
Der Bau der ersten Kirche, bekannt unter dem Namen Μεγάλη Ἐκκλησία (Megálē ekklēsía), der „Großen Kirche“, die aufgrund ihrer Größe größer als die anderen Kirchen der Stadt ist, wurde auf Geheiß von Konstantin I. begonnen, der sie zur Kathedrale der neuen Hauptstadt bestimmte. Sie befand sich 337, im Todesjahr des Kaisers, noch im Bau und wurde 360 durch den Patriarchen Eudoxis von Antiochien zur Zeit von Konstantin II. geweiht. Nach einem Brand wurde sie von Theodosius II. wieder aufgebaut und 415 neu geweiht.
Die größte Basilika des Christentums
Nach dem blutigen Aufstand von Nika im Jahr 532 brannte das Gotteshaus erneut ab und wurde von Justinian unter der Leitung der Architekten Antemius von Tralle und Isidor von Milet (dem Älteren) wieder aufgebaut. Die Quellen beschreiben ihre Pracht: ihre Größe, die sie zur größten Kathedrale der Christenheit machte; die für ihren Bau eingesetzten Kräfte, mit Arbeitern aus allen Orten des Reiches mit insgesamt zehntausend Menschen und die Menge des Marmors, die vom Artemis-Tempel nach Ephesus oder aus den Steinbrüchen Ägyptens, des Bosporus, Thessaliens und Syriens transportiert wurde. Und schließlich wirkt die gewaltige Kuppel, als würde sie in der Luft schweben, so leicht. Der Bau der Kathedrale wurde im Jahr 537 abgeschlossen und dann am 27. Dezember desselben Jahres vom Patriarchen Eutikius geweiht. Es scheint, dass Justinian bei dieser Gelegenheit ausgerufen hatte: „Ehre sei Gott, der mich dessen würdig gemacht hat!“
Die Plünderungen während des Vierten Kreuzzuges
Die folgenden Jahrhunderte sind von Erdbeben, Bränden und Verwüstungen geprägt. Während des Vierten Kreuzzuges, mit der Einnahme Konstantinopels im Jahr 1204, wurde die Hagia Sophia geschändet und geplündert, um dann bis 1261, als die Stadt von den Byzantinern zurückerobert wurde, katholisch verehrt zu werden. Die Kirche befand sich in einem sehr schlechten Zustand, der durch ein Erdbeben noch verschlimmert wurde, das ihre Schließung verursachte, bis 1354, als die Architekten Astras und Peralta unter dem östlichen Kaiser Johannes V. Paleologus neue Restaurierungsarbeiten durchführten.
Die Basilika wird zur Moschee
1435 wurde Konstantinopel von Sultan Muhammad II. belagert und erobert und die Hagia Sophia erneut geplündert. Viele von denen, die sich zum Beten in die Kathedrale geflüchtet hatten, wurden getötet oder versklavt. Die Kirche wurde unter dem Namen Aya Sofya in eine Moschee umgewandelt. Es wurde erneut restauriert, die Struktur dem islamischen Gottesdienst angepasst, die Mosaiken verputzt und Minarette hinzugefügt. Im 16. Jahrhundert führte der osmanische Architekt Mimar Selim wichtige Konsolidierungsarbeiten an dem Bauwerk durch und fügte zwei weitere große Minarette hinzu. An der Spitze der Kuppel wurde ein goldener Halbmond installiert. Im 14. Jahrhundert beauftragte Sultan Abdul Mejid nach weiteren äußeren und inneren Eingriffen den Tessiner Architekten Gaspare Fossati und seinen Bruder Giuseppe mit neuen Konsolidierungsarbeiten, insbesondere an der Kuppel und den Gewölben. Auch die Innendekoration wurde neu gestaltet, darunter acht große Medaillons mit den Namen Allahs, Mohammeds, seiner zwei Neffen und vier Kalifen.
Die Umwandlung in einen Museumskomplex
Im Jahr 1934 machte der Gründer der Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, die Hagia Sophia zu einem Museum und brachte die Fußböden und Mosaiken nach Jahrhunderten zum Vorschein. Im Laufe der Jahre wurde eine Reihe von Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten durchgeführt, die vom Weltdenkmalfonds subventioniert wurden.
Benedikt XVI. in Istanbul: „Gott lasse uns den Weg zu Liebe und Frieden finden“
Am 30. November 2006 besuchte Benedikt XVI. während seiner apostolischen Reise in die Türkei die Blaue Moschee und die Hagia Sophia in Istanbul. Als er sich in das goldene Buch des Museums eintrug, schrieb er: „In unserer Vielfalt stehen wir vor dem Glauben an den einen Gott. Möge Gott uns erleuchten und uns den Weg der Liebe und des Friedens finden lassen.“
Aus dem Italienischen von Mario Galgano übersetzt.
(vatican news)
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