Weltweite Reaktionen zu Umwandlung der Hagia Sophia in Moschee
Wenige Stunden nach der Veröffentlichung des verschriftlichen Bescheids des Verwaltungsgerichtsgerichtshofs äußerte sich Erdogan in einer TV-Botschaft an das Volk. Der türkische Präsident versicherte dabei, dass selbstverständlich in Zukunft auch alle Christen das Gotteshaus besuchen könnten, und zwar ohne – wie bisher – Eintritt bezahlen zu müssen.
Umwandlung könnte interreligiösen Dialog belasten
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian bedauerte die Entscheidung, die einen der symbolischsten Akte der modernen und säkularen Türkei in Frage stelle. „Die Hagia Sophia muss weiterhin die Pluralität und Vielfalt des religiösen Erbes, des Dialogs und der Toleranz repräsentieren", forderte Drian. Der russisch-orthodoxe Außenamtschef Hilarion nannte den Schritt einen „Schlag für die Weltorthodoxie, denn für alle orthodoxen Christen auf der ganzen Welt ist die Hagia Sophia so ein Symbol wie der Petersdom in Rom für Katholiken". Die türkische Staatsführung habe gezeigt, dass sie keine Kompromisse eingehen wolle und nicht auf Kirchenführer und Politiker höre, die für die Beibehaltung des Museumsstatus plädierten, sagte der Metropolit im russischen Fernsehen.
Auch der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hatte sich mehrmals deutlich gegen jede Statusveränderung der Hagia Sophia ausgesprochen. Die Hagia Sophia sei eines der bedeutendsten Baudenkmäler der menschlichen Zivilisation und gehöre nicht bloß ihren unmittelbaren Eignern, sondern „der ganzen Menschheit“, sagte der Patriarch bei einem Gottesdienst in Istanbul. Das türkische Volk trage die Verantwortung, diese Universalität hervorzuheben, fügte der Patriarch hinzu. Als Museum könne die Hagia Sophia als „Ort und Symbol der Begegnung, des Dialogs und des friedlichen Zusammenlebens der Völker und Kulturen, des gegenseitigen Verständnisses und der Solidarität zwischen Christentum und Islam“ fungieren, betonte Bartholomaios I. Eine Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee hingegen würde „unzählige Christen in aller Welt enttäuschen“ und zu Brüchen führen. Dies genau in einer Zeit, fügte der Patriarch hinzu, „in der die geplagte und leidende Menschheit aufgrund der tödlichen Pandemie des neuen Coronavirus Einheit und gemeinsame Orientierung braucht“.
Vorschläge für gemeinsame Nutzung
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, schrieb am Samstag auf Twitter: „Dass man in der Hagia Sophia beten darf, ist richtig, sie ist kein Museum, der Säkularismus Atatürks war gegen jede Religion. Könnte diese großartige Kirche nicht ihre 900 christliche und 500 Jahre islamische Geschichte dadurch spiegeln, dass Muslime und Christen darin beten?", regte er eine gemeinsame Nutzung an. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek:
„Können nicht Muslime und Christen im großen Gotteshaus jeweils ihren Gottesdienst beten?", schrieb er am Samstagnachmittag auf Twitter. Dies könne ein großes und einzigartiges Zeichen des gegenseitigen Respektes und eine Geste tiefen Religionsverständnisses sein. Im Hinblick auf den Dialog der Religionen und Völker könne Erdogans Entscheidung problematisch sein. Zugleich betonte er, die Hagia Sophia, wo über ein Jahrtausend gebetet wurde, sei kein Museum. Die Deutsche Bischofskonferenz zeigte sich besorgt und warb „für eine politische Entscheidung, die die Einheit des Landes und das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Muslimen und Christen stärkt, statt Bitterkeit zu schüren und Fliehkräfte zu begünstigen", sagte Sprecher Matthias Kopp bereits am Freitag.
Hintergrund:
Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei hatte am Freitag den Status des berühmten Bauwerks als Museum aufgehoben. Erdogan unterzeichnete darauf ein Dekret zur Nutzung als Moschee. In einer TV-Ansprache kündigte er für 24. Juli das erste Freitagsgebet in der Hagia Sophia an. Die Hagia Sophia („Göttliche Weisheit") wurde 537 als Reichskirche des griechisch-orthodoxen Kaiserreichs Byzanz geweiht und war die größte Kirche des Christentums. Nach der Eroberung Konstantinopels, des heutigen Istanbul, durch die türkischen Osmanen wurde sie 1453 zur Moschee und mit Minaretten versehen. Republikgründer Mustafa Kemal "Atatürk" machte sie 1934 zum Museum.
Seit 2004 hatte eine nationalistische Vereinigung für Denkmalschutz versucht, die Nutzung der Hagia Sophia als islamisches Gotteshaus wieder durchzusetzen, war aber wiederholt gescheitert. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan forcierte zuletzt vehement eine Umwidmung und bezeichnete den von Mustafa Kemal „Atatürk" 1934 getroffenen Beschluss für den Museumsstatus als „großen Fehler“.
(kna/diverse – sst)
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