Immer mehr Bootsflüchtlinge aus Tunesien in Italien
In einer einzigen Nacht landeten kürzlich mehr als 200 Tunesier bzw. Westafrikaner an der Küste der Sizilien vorgelagerten Insel. Das Aufnahmezentrum auf Lampedusa, das für höchstens 192 Migranten ausgelegt ist, platzt aus allen Nähten, weit über tausend Migranten sind hier im Moment untergebracht.
Italiens Außenminister Luigi di Maio war vor ein paar Tagen in Tunis; dort hat er die Regierung aufgefordert, das Ablegen von Booten in Richtung Europa zu unterbinden. Im Gegenzug versprach er Geldhilfen, vor allem für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Aber die italienische Caritas findet, damit würden nur Heftpflaster verteilt, statt die Probleme wirklich an der Wurzel anzugehen.
„Es ist ja das Recht jedes Einzelnen, um irgendeine Form von internationalem Schutz zu bitten, ganz unabhängig von der Lage in seinem Herkunftsland“, sagt Olivero Forti, Migrantenbeauftragter der Caritas Italien, in unserem Interview. „Natürlich kann man die Lage in Tunesien nicht mit der in Kriegs- oder Konfliktgebieten vergleichen. Aber man sollte auch nicht denken, dass man mit elf Millionen Euro, einer eher bescheidenen Summe, dafür sorgen könnte, dass die illegalen Migrantenströme nach Italien verebben.“
Mitten in der Corona-Krise wird Italien auf einmal wieder mit dem alten Phänomen der Bootsflüchtlinge konfrontiert – nur dass die Migranten jetzt eher von Tunesien aus ablegen, nicht wie früher aus Libyen. Im Vergleich zu 2019 sind 2020 schon fünfmal mehr Bootsflüchtlinge an italienischen Küsten gelandet, ihre Zahl nähert sich der 7.000er-Marke.
Salvinis Spiel
Natürlich gab es auch schon Fälle von Covid-infizierten Migranten, und das lässt die Aktien des Lega-Nord-Chefs Matteo Salvini im politischen Spiel wieder steigen. Mit Anti-Einwanderer-Rhetorik versucht der rechte Populist, der letztes Jahr als Innenminister mehrere Monate lang eine Politik der „geschlossenen Häfen“ durchsetzte, Stimmung gegen die linke Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte zu machen. Längerfristig will Salvini Conte im Amt beerben.
„Gebraucht würde jetzt eigentlich ein ernsthafter Plan, mit dem nicht nur Italien, sondern Europa einem Land (Tunesien) unter die Arme greift, dessen Wirtschaft sehr wackelig ist. Genau das ist es ja, was die Menschen zum Weggehen veranlasst. Es ist auch bedauerlich, dass es dieses Jahr keine Dekrete gegeben hat, die zumindest einer bestimmten Zahl von Menschen aus Tunesien erlaubt hätten, regulär in Italien zu arbeiten. So etwas wäre eine angemessenere Antwort. Show-Maßnahmen sind sicher nicht dazu geeignet, das Ablegen von Migrantenbooten drastisch zu reduzieren.“
Nur noch ein privates Rettungsschiff im Mittelmeer
Im Mittelmeer zirkuliert derzeit nur noch ein einziges Schiff, das sich die Rettung von Migranten aus Seenot zur Aufgabe gemacht hat: die „SeaWatch 4“, finanziert von der evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Es startete vor wenigen Tagen von Spanien aus in Richtung Libyen. Hier, vor Libyen, hält auch die italienische Küstenwache die Augen offen. Die Route von Tunesien nach Italien dagegen ist für die Fischer- oder Schlauchboote, die vor allem von der Stadt Sfax aus ablegen, einigermaßen offen.
„Es liegt ja klar zutage, dass die wirtschaftliche Lage in Tunesien verzweifelt ist. Die Wirtschaft kommt einfach nicht wieder in Gang. Hier müsste man ansetzen, um wirklich langfristig über die Jahre hinweg die Bedingungen dafür zu schaffen, dass das Land zu Stabilität findet und die Menschen nicht mehr auswandern wollen. Und das müsste dann einhergehen mit Maßnahmen, um das Ablegen von Booten zu verhindern. Nur so ein doppelter Ansatz wäre erfolgversprechend.“
Der Lockdown in der Corona-Krise hat der tunesischen Wirtschaft im Frühjahr einen schweren Schlag versetzt. Jetzt, im Sommer, bleiben die Touristen aus – ein Desaster, das tausendfach Arbeitsplätze vernichtet. Italien schickt Migranten aus Tunesien ins Land zurück – doch viele von denen, die es bis nach Italien geschafft haben, versuchen unterzutauchen und in Europa zu bleiben.
(vatican news – sk)
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