Mosambik: Zehntausende auf der Flucht
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge rechnet damit, dass die Zahl der Flüchtlinge bis Dezember in der Provinz Nampula auf 40.000 Menschen steigt. Mosambik ist eines der am wenigsten entwickelten Länder des Planeten; hohe Staatsschulden, Korruption, die Spätfolgen eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs, Naturkatastrophen, ein Knäuel von internen Konflikten – all das macht dem Land zu schaffen.
„Die Provinz Capo Delgado ist eigentlich eine der reichsten des Landes – vor allem wegen ihrer Bodenschätze“, erklärt uns der italienische Missionar Roberto Maver, der in Maxixe in der Provinz Inhambane – also südlich von Capo Delgado - lebt. “Da gibt es die Edelsteine, die Rubine von Montepuez, und das Erdgas von Palma, einer nördlich gelegenen Stadt. Allerdings fließen die Einnahmen in der Regel in die Taschen örtlicher Machthaber oder transnationaler Unternehmen, die die Ressourcen ausbeuten. Die Bevölkerung hingegen lebt von dem, was man hier Familienwirtschaft nennt: kleine Gärten, die meistens von den Frauen gepflegt werden, und ein Fischfang, der hier an der Küste sehr viel bringt und von den Männern durchgeführt wird.“
In den letzten Monaten aber sei die Lage dramatisch geworden: Die Menschen – vor allem die von den Quirimbas-Inseln – fliehen nach Mavers Angaben Hals über Kopf, und zwar normalerweise in die Hauptstadt, nach Pemba.
„Man spricht von circa 300.000 Flüchtlingen seit dem Beginn des Konflikts vor ein paar Monaten, und natürlich leben sie in Pemba unter sehr prekären Umständen, denn in Pemba waren die Umstände schon vor ihrer Ankunft nicht gut. Immerhin helfen die dortigen Einwohner aber den Flüchtlingen, die nach Pemba kommen, mit allem, was sie haben. Die Hilfen von Privatleuten, von der Kirche, von der Caritas und vom Staat reichen aber nicht aus, um diesen Menschen akzeptable Lebensbedingungen zu bieten.“
Wenn man ihn fragt, was hinter dem Konflikt in Mosambiks Norden steckt, muss Pater Maver ein bisschen ausholen.
Ein Knäuel geopolitischer Interessen
„Um welche geopolitischen Interessen es geht, lässt sich schwer beschreiben, denn es gibt in der Provinz Capo Delgado eine ganze Reihe davon. Nehmen wir zunächst mal Montepuez, wo die Rubine herkommen: Da trat 2017 ein Unternehmen auf den Plan, das die Ausschreibung zur Gewinnung der Rubine für sich entschieden hatte. Die Förderung sollte von da an legal vor sich gehen; das wollten die illegalen Diamantensucher aber nicht hinnehmen, die bisher die Rubine auf dem nationalen oder auch internationalen Markt verkauft hatten. Das hat zu einem schweren Konflikt geführt, der von bewaffneten Sicherheitsdiensten zum Teil auf harte Weise unterdrückt wurde.“
Dann seien da die großen Unternehmen, die das Erdgas förderten, darunter auch ENI aus Italien. Und schließlich eine bewaffnete islamistische Gruppe, die sich 2017 gebildet hat und seither immer wieder, wie der Missionar formuliert, „für Probleme sorgt“.
Was wollen die Islamisten?
„Anfangs hat sie sich nur der nationalen Armee entgegengestellt. Aber seit neuestem richtet sich die Gewalt auch gegen die Bevölkerung, und das zwingt viele zur Flucht. Die Behörden, die Polizei und Sicherheitskräfte sind sehr darauf aus, den multinationalen Unternehmen im Gebiet ein Gefühl der Stabilität und Sicherheit zu vermitteln, damit die Wirtschaft in Capo Delgado so produktiv bleibt wie bislang. Aber das gelingt nicht immer, die Instabilität ist in Wirklichkeit sehr groß… und dann gibt es noch weitere Interessen örtlicher Wirtschaftsakteure, die ebenfalls eine Rolle spielen und zum Druck in der Provinz beitragen.“
Auch worauf die Islamisten aus sind, lässt sich gar nicht so leicht auf den Punkt bringen, sagt der Missionar. Das liege auch daran, dass im Landesinnern kaum Informationen zirkulierten und die Fernsehnachrichten über das Thema so gut wie gar nicht sprächen.
Der Staat möchte ein internationales Eingreifen vermeiden
„Die Art und Weise des Vorgehens der Bewaffneten lässt aber vermuten, dass sie einen Staat im Staate bilden wollen. Beunruhigend ist die Tatsache, dass es ihnen gelungen ist, sich eines Hafens (in Mocimboa da Praia) zu bemächtigen, denn dadurch bekommen sie Nachschub an Leuten und Material von außen. Der Staat tut sein Bestes, um gegen diese Gruppe vorzugehen, war aber wohl nicht richtig auf so etwas vorbereitet. Ein internationales Eingreifen will der Staat nicht – vielleicht, um Stärke und Selbständigkeit zu demonstrieren.“
Beerdigungen mit leerem Sarg
Die Extremisten sind offenbar gut organisiert und verfügen über moderne Waffen und Geld, das sie sich unter anderem durch Entführungen verschaffen; es gelingt ihnen, auf viele Jugendliche Einfluss zu gewinnen. Dadurch rekrutieren sie Kämpfer – und bauen gleichzeitig ein Netzwerk von Informanten in den Dörfern auf. Von vielen jungen Leuten, die sich (freiwillig oder gezwungen) den Bewaffneten anschließen, verliert sich jede Spur. In Maxixe, Pater Mavers Stadt, gab es vor kurzem drei Beerdigungen von jungen Leuten mit leeren Särgen: Denn die Islamisten überlassen die sterblichen Überreste der ums Leben Gekommenen nicht den Familienangehörigen.
„Natürlich ist das Konfliktgebiet sehr problematisch für Missionare. Die meisten Ordensleute haben beschlossen, die Bevölkerung in diesem schwierigen Moment nicht im Stich zu lassen, sondern an ihrer Seite auszuharren. Dazu gehört Mut. Als dann aber viele Menschen anfingen, die Flucht zu ergreifen, haben sich die Ordensleute in der Regel in sichere Gegenden zurückgezogen oder sind mit den Flüchtenden gegangen, um ihnen weiter beizustehen. Der Bischof (Luis Fernando Lisboa, ein Brasilianer) und die Ordensoberen haben die Missionare gebeten, vorsichtig zu sein und sich im Notfall aus unsicheren Gebieten zurückzuziehen, und dem haben viele gehorcht. Die Kirchenverantwortlichen von Mosambik helfen der Ortskirche von Capo Delgado, wo sie nur können, damit sie diesen Moment harter Prüfung übersteht.“
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.