Peru: Pandemie-Folgen für Mädchen verheerend
In Peru wurde der Präsenzunterricht bereits bis Juli 2021 ausgesetzt. Welche schlimmen Folgen diese Situation für die soziale und psychische Entwicklung der Kinder - insbesondere der Mädchen - mit sich bringt, hat der in Lima tätige Autor und Ordensmann P. Juan Goicochea jetzt gegenüber der Nachrichtenagentur Kathpress dargelegt.
Warnungen über die Langzeitfolgen der Schulschließungen gibt es längst von offizieller Stelle: Im Fall Perus hat am Freitag zum „Internationalen Tags der Kinderrechte“ Ana Mendoza vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) erklärt, die zehn Monate Schulschließung im Jahr 2020 hätten den Kampf des Landes gegen Kinderarmut um zehn Jahre zurückgeworfen.
Vier Millionen Kinder von Armut betroffen
Vier Millionen Kinder - 1,2 Millionen mehr als zu Jahresbeginn, jetzt insgesamt 40 Prozent der Altersgruppe - seien nun von Armut betroffen, jedes zehnte Kind von extremer Armut. Man rechnet damit, dass insgesamt 500.000 Schülerinnen und Schüler in Peru wegen der überlangen Homeschooling-Phase ihre Bildungslaufbahn abbrechen werden; die Hälfte davon habe dies bereits getan.
Mit den ganz konkreten Folgen dieser Situation für die Lebensrealität der Kinder in Peru ist Pater Juan Goicochea vertraut: Der Ordensmann versorgt mit seinem Corona-Hilfswerk in Chorillos, einem verarmten Vorort der Hauptstadt Lima, 3.500 Familien mit Lebensmitteln und steht mit den Menschen dabei auch in ständigem Kontakt. Der Comboni-Missionar, der in Innsbruck Theologie studierte, hat als Gefangenen-, Drogenabhängigen- und Obdachlosenseelsorger in Innsbruck, Nürnberg und Peru gearbeitet und setzt sich für Straßenkinder ein.
Doppelbelastung für Kinder
Viele der Probleme sind auch aus dem Lockdown in Europa bekannt, doch findet man sie in Peru zugespitzt wieder: Arbeitsplatz-Verluste der Eltern - allerdings ohne staatliche Hilfen; Stress, familiäre Spannungen bis hin zu Gewalt infolge der Ausgangssperren - allerdings mit kleineren Wohnungen und viel mehr Kindern. Der Ordensmann berichtet auch von einer Verstärkung patriarchaler Rollenbilder, wonach der Mann die Erwerbsarbeit und die Frau Familie und Haushalt verantwortet.
„Meist übersieht man dabei aber auch, dass Frauen heute auch in Peru oft Familienoberhäupter sind und arbeiten gehen müssen. Die Verantwortung innerhalb eines Hauses übernehmen dann die Kinder, insbesondere die Töchter“, so Goicochea.
Fast immer betreuen Mädchen im Teenager-Alter bei Abwesenheit, Arbeit, Krankheit oder Tod der Mutter die jüngeren Geschwister, besorgen den Haushalt und kochen für ältere Brüder und den Vater. „Sie müssen ihre Zeit so organisieren, dass sie nebenbei noch Zeit für den virtuellen Schulbetrieb finden“, erklärt der peruanische Priester. Besonders schlimm war es im Sommer, als Perus Covid-Krise den Höhepunkt erreichte und allgemein der Eindruck herrschte, der Großteil der Bevölkerung sei infiziert. „Kinder sprangen ein, wenn kranke Eltern und Großeltern betreut, mit Essen versorgt oder ins Spital gebracht werden mussten. Wurden Kinder bei Verwandten oder Freunden untergebracht, so gab es nachher viele Berichte von Schikanen und sexueller Belästigung bis hin zu Missbrauch.“
Jähes Ende der Schullaufbahn
Dass der Schulerfolg der Kinder dadurch massiv beeinträchtigt wird, liegt auf der Hand. Zigtausende Kinder in Peru hätten die Schule bereits abgebrochen, vor allem jugendliche Mädchen, die für ein Überleben der Familie arbeiten gehen, sagt Pater Goicochea. Auch dass 44 Prozent der Haushalte Perus gar keinen Internetzugang besitzen und somit keine Teilnahme am Online-Unterricht möglich ist, spielt hier mit.
Besonders heikel ist die Lage bei den Übergangen: „Fast 50 Prozent der diesjährigen Mittelschul-Abgänger in Peru glauben, dass sie wahrscheinlich nicht mehr an einer technischen Schule oder Oberstufe weitermachen - meist aus finanziellen Gründen.“ Eine Entwicklung mit schwerwiegenden Langzeitfolgen, bei der erneut gilt: Mädchen und alle Bemühungen um ihre Teilhabe an der Gesellschaft leiden am meisten darunter.
Ein verlorenes Jahr
Zwar gibt es auch in Peru Familien, die über gute Erfahrungen durch das enge Zusammenleben berichten wie etwa mehr Gemeinschaft, Respekt und Verantwortung für die Haushaltsaufgaben, erklärt Goicochea. Für die meisten Kinder sei 2020 jedoch ein „verlorenes Jahr“ für die schulische, persönliche, emotionale und soziale Entwicklung.
„Ich erlebte viele Szenen der Verzweiflung: Weinende Kinder an den Fenstern, die hinausgehen wollen, Eltern, die sich ohnmächtig fühlen, oder Jugendliche, die ohne Handys den Kontakt zu Freunden verloren haben und sich total isoliert fühlen.“ Viele andere seien infolge von Stress, Angst oder auch Trauer über den Verlust geliebter Menschen ins Internet geflüchtet, teils verbunden mit Problemen, die von Online-Spielsucht bis hin zu Cybermobbing, Sexting, Grooming und gesundheitsschädlichen Social-Media-Gruppen reichen.
(kap – sk)
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