Italien: Palermos Erzbischof fordert neue EU-Asylpolitik
Francesca Sabatinelli und Gudrun Sailer - Vatikanstadt
„Mein Appell ist, dass 2021 im Zeichen eines neuen, echten Nachdenkens steht, das bald zu einer Änderung in der Akzeptanz der europäischen Regeln führen wird", schrieb der Erzbischof vor wenigen Tagen. Eine Aufstellung humanitärer Organisationen über Migrationszahlen besagt, dass letztes Jahr etwa 12.000 Migranten, die versuchten, übers Meer nach Europa zu gelangen, vor der Küste Libyens abgefangen und zurückgeschickt wurden. Bei solchen Aktionen seien 323 Menschen ertrunken; 417 gelten als vermisst. Das Zurückschicken der Migranten nach Libyen ist für Erzbischof Lorefice ein „schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte“. Hier werde „das Evangelium mit Füßen getreten und die universelle Geschwisterlichkeit verraten“. Besonders entsetzt zeigte sich der Erzbischof in seinem Statement über den Tod von vier Kindern vor Libyen im Zug von Rückführungen von Flüchtlingsbooten.
„Sie sind gestorben, weil sie zurückgeschickt wurden“, erklärte Erzbischof Lorefice im Gespräch mit Radio Vatikan. „Ich denke, dass dies wirklich der Höhepunkt einer Verhärtung der Herzen ist. Doch unsere Herzen können wir nicht zum Schweigen bringen, weil wir Menschen sind und, noch mehr, weil wir Christen sind.“
Er wolle hier nicht auf Emotionen zielen, stellte der Erzbischof klar: Es gehe um Verantwortung. „Ich bin auch Italiener, und Italiener können sich eigentlich nicht am Zurückweisen dieser Boote beteiligen. Schließlich tragen wir auch wirtschaftlich zu dieser Logik des Zurückweisens bei, und das geht nicht!“
Auch Europa in der Pflicht
Die Verantwortung für die Menschen in den Booten betreffe allerdings nicht Italien allein, sondern „ganz Europa, das eindeutig für die wirtschaftliche und soziale Lage in den von Migration betroffenen Ländern mitverantwortlich ist“, erklärte Lorefice. „Die Menschen fliehen vor dem, was wir im Westen angerichtet haben: vor der Ungleichheit, vor der Ausbeutung, die dann ein Vorbote des Krieges ist und auch ein Vorbote der wirtschaftlichen Ungleichheit und der Armut. Sie fliehen vor Armut und Krieg, und deshalb haben wir als Europäer auch eine Verantwortung.“
Die Lösung auf die Asylfrage liegt „nicht im Zurückweisen“, sagte der Erzbischof. „Ich appelliere an Europa, denn wir können nicht umhin, dieses Problem gemeinsam anzugehen. Ich denke dabei an [Rettungsschiffe wie] Mediterranea und Open Arms, dank derer wir die Geschehnisse im Mittelmeer kennen.“ Erst vor wenigen Tagen war ein Rettungsschiff von „Open Arms” mit 265 geretteten Bootsflüchtlingen an Bord in einem sizilianischen Hafen eingelaufen. Der Einsatz dieser NGOs werde in Europa kriminalisiert, bedauerte Lorefice.
„Ich hingegen bin ihnen sehr dankbar, und es ist schön, dass die Kirche, insbesondere die sizilianische Kirche, mit diesen Leuten, die ein menschliches Herz bewahren, einen sehr guten Dialog führt. Denn im Grunde treffen wir uns auf demselben Prinzip, nämlich dem der Person. Dieses Prinzip sorgt dafür, dass das Gemeinsame Haus, die Erde, auch ein Haus der Geschwisterlichkeit sein kann.“
Der sizilianische Erzbischof, in dessen Kirchenprovinz unter anderem die Insel Lampedusa liegt, hat schon oft für eine menschlichere Migrationspolitik Partei ergriffen. Menschen haben eine große Verantwortung füreinander, begründet Lorefice diesen Einsatz – heute mehr denn je. Und besonders gelte das für gläubige Menschen, die sich zum Christentum bekennen.
„Es ist ein Moment, in dem alle Christen, die Kirchen, die Gemeinschaften, die Pfarreien, die Gruppen, die Diözesen sich bewusst sein müssen, dass wir Rechenschaft über das Evangelium ablegen müssen. Eine Kirche, die das Evangelium nicht verkündet, auch wenn es unbequem ist, riskiert, irgendein Klub zu sein, aber nicht die Kirche des Herrn“, verdeutlicht der Erzbischof. „Sterben lassen ist das genaue Gegenteil vom Zeugnis des Herrn, vom Gebot des Herrn: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“
(vatican news)
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