Joe Biden: Ein Katholik im Weißen Haus
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Wilmington, 7. November 2020. In dieser Chemie- und Hafenstadt im Bundesstaat Delaware hält der neu gewählte Präsident Joe Biden seine Siegesrede. Der 78-Jährige schwört die USA nach den Verheerungen der Trump-Ära auf einen neuen Aufbruch ein, betont die Gemeinsamkeiten.
„Wir sind gute Leute! Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gab noch nie etwas, das wir nicht erreicht hätten, wenn wir es zusammen getan haben!“
Auf Adlerflügeln
Und dann kommt der katholische Akzent in seiner Rede, ganz am Schluss: „Leute, in den letzten Tagen des Wahlkampfs ist mir immer wieder ein Kirchenlied durch den Kopf gegangen, das mir und meiner Familie schon immer viel bedeutet hat, vor allem meinem verstorbenen Sohn Beau. Es bringt den Glauben auf den Punkt, der mich trägt und der, wie ich glaube, Amerika trägt…“
Der gewählte Staatschef meint das Kirchenlied „On Eagle’s Wings“, zu deutsch: Auf Adlerflügeln. Ein katholischer Priester namens Michael Jones hat es 1976 getextet, inspiriert von Psalm 91. Biden – damals Vizepräsident von Barack Obama – sang das Lied vor fünf Jahren, als sein Sohn Beau, der an einem Gehirntumor gestorben war, beigesetzt wurde.
„So lautet es: Er hebt dich auf Adlerflügeln empor, er behütet dich, wenn die Dämmerung hereinbricht. Er lässt dich strahlen wie die Sonne und birgt dich in seiner Hand.“
Der Tröster von Wilmington
Ein Lied für dunkle Zeiten. Biden hat schon zwei Kinder verloren, unter tragischen Umständen; das erste Mal war das 1971, ganz zu Beginn seiner politischen Karriere. In diesen Momenten war es nach eigenem Bekunden sein Glaube, der dem Sohn irischer Einwanderer immer wieder neue Kraft gab.
Als Tröster in schwerer Stunde hat Biden in den USA über die Jahrzehnte viel Glaubwürdigkeit aufgebaut. Psalm 91, das Vorbild seines Lieblings-Kirchenlieds, spricht ausdrücklich von Gottes Schutz „vor dem Schrecken der Nacht“ und „der Pest, die im Finstern schleicht“ – darum bezieht der gewählte Präsident „On Eagle’s Wings“ auch auf Corona.
„Ich hoffe, es kann den 230.000 Amerikanern ein bisschen Trost und Erleichterung geben, die dieses Jahr durch diesen furchtbaren Virus einen lieben Angehörigen verloren haben. Mein Herz wendet sich jedem einzelnen von euch zu – hoffentlich gibt dieses Kirchenlied auch euch Trost!“
Kennedy: Der erste Katholik im höchsten Amt
Als vor sechzig Jahren John F. Kennedy – gleichfalls aus irischer Familie – ins Weiße Haus einzog, befürchteten viele Amerikaner, ihr Präsident würde sozusagen Befehle und Anweisungen aus dem Vatikan entgegennehmen. Das Misstrauen gegenüber Rom war groß, schließlich waren die USA einst als Bastion der Gewissensfreiheit entstanden. Volle diplomatische Beziehungen zum Vatikan nahmen sie erst 1984 auf.
„Lasst uns vorwärtsgehen und das Land führen, das Gott liebt“, so hatte Kennedy bei seiner Amtseinführung in Washington gerufen. „Wir bitten um seinen Segen und seine Hilfe. Aber wir wissen, dass hier auf Erden Gottes Werk unser eigenes Werk sein muss.“
Debatte um Lebensschutz
Bei Biden, dem zweiten Katholiken im höchsten Amt, liegen die Dinge nun anders als bei „JFK“. In der Gesellschaft als ganzer hat es keine nennenswerte Debatte über Bidens katholische Konfession gegeben; schließlich ist auch Trumps scheidender Vizepräsident Mike Pence katholisch aufgewachsen und – obwohl zu den Evangelikalen konvertiert – deutlich katholisch geprägt. Das Katholische erfährt in den USA immer weniger Misstrauen und immer mehr Achtung.
Eher gab und gibt es unter den US-Katholiken schon seit vielen Jahren eine Debatte, ob der regelmäßige Kirchgänger aus Wilmington denn katholisch genug ist. Schließlich hat er sich nicht der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe entgegengestemmt. Und Abtreibung lehnt er zwar persönlich ab, will aber nichts gegen das Urteil des Obersten Gerichts von 1973 („Roe vs Wade“) tun, das Abtreibung erlaubt.
Der Traum von der geheilten Nation
Der starke Lebensschützer-Flügel in der katholischen Kirche der USA hat deswegen Vorbehalte gegen einen Präsidenten Biden, der in seiner Zeit im Weißen Haus auch auf linke Tendenzen in seiner Demokratischen Partei wird Rücksicht nehmen müssen. 52 Prozent der Katholiken haben bei der Wahl im letzten Herbst Biden ihre Stimme gegeben, Trump kam bei den katholischen Wählern immerhin auf 48 Prozent.
„Und jetzt werden wir zusammen auf Adlerflügeln an das Werk gehen, das Gott und die Geschichte uns aufgetragen haben“, ruft der 46. US-Präsident in seiner Siegesrede von Wilmington. „Vertrauen wir auf Amerika und auf uns selbst… Lasst uns die Nation sein, die wir sein können – das wissen wir doch! Eine geeinte, eine gestärkte – eine geheilte Nation.“
Schnittmengen
Bidens Appell zur Einigkeit gilt auch den Katholiken der USA. Auch in der Bischofskonferenz schlägt ihm einige Skepsis entgegen, das hat ihre erste Stellungnahme nach seiner Wahl deutlich gemacht. Viele Bischöfe erinnern sich noch an das Ringen mit Washington in der Obama-Zeit, als Biden Vizepräsident war; da ging es vor allem um die Gesundheitsreform, bei der aus katholischer Sicht wichtige lebensrechtliche Prinzipien über Bord gingen.
Andererseits gibt es viele wichtige Anliegen der katholischen Kirche, die mit einem Präsidenten Biden wohl in größere Reichweite rücken. Das gilt vor allem außenpolitisch. Die Stichworte lauten: Ende der Isolierung Kubas, neue Friedensgespräche im Nahen Osten, Rückkehr zur Klimaschutz-Politik.
Was Großvater sagte
Der neu gewählte Präsident Biden will sich jedenfalls seinen Glauben und sein Gottvertrauen nicht nehmen lassen.
„Ich erinnere mich: Wenn ich als Kind meinen Großvater besuchte, sagte der am Schluss immer: Joey, behalt den Glauben! Und unsere Großmutter sagte dann: Nein Joey – verbreite ihn. Verbreite den Glauben!“
An Sendungsbewusstsein jedenfalls mangelt es dem Tröster aus Wilmington, der jetzt als zweiter Katholik US-Präsident wird, nicht.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.