Migranten-Ansturm auf Ceuta: „Eher eine politische Krise“
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
„Ceuta und Melilla sind ja nicht nur die spanische Außengrenze, sondern auch die der Europäischen Union“, erklärt der Dominikaner Xabier Gómez, der für die spanische Bischofskonferenz das Migranten-Dossier verantwortet, in einem Interview, das wir am Mittwochabend mit ihm geführt haben.
„Mittlerweile hat sich die Lage wieder relativ beruhigt. Nach offiziellen (spanischen) Angaben sind etwa 8.000 Menschen in Ceuta angekommen; mindestens 4.800 (inzwischen sind es 5.600, Anm.d.Red.) von ihnen sind nach Marokko zurückgebracht worden (bzw. selbst zurückgekehrt). Andere – vor allem die nicht begleiteten Kinder und Jugendlichen – sind in Aufnahmelagern; man sieht einige aber auch in der Stadt auf den Straßen herumlaufen. So wie es aussieht, hat Marokko wieder damit angefangen, seine Grenze zu schließen und zu kontrollieren.“
Marokko kontrolliert seine Grenze wieder
Das war für ein paar Tage nicht der Fall. Offenbar aus Ärger über die spanische Haltung im Westsahara-Konflikt hat Marokko am letzten Montag plötzlich die Schleuse geöffnet und Migranten in die spanische Enklave hineingelassen. Jetzt scheint die Regierung in Rabat zum Status quo ante zurückgekehrt.
In Marokko halten sich viele Migranten auf, die in der Regel versuchen, per Boot auf einer höchst gefährlichen Überfahrt die zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln zu erreichen. In Spanien stellen Marokkaner längst die größte Gruppe unter den Migranten, und Spanien - nicht Italien - war 2020 überhaupt das Land, in dem innerhalb der EU die meisten Migranten ankamen.
„Jetzt ist die Lage wieder so wie vor drei Tagen – dass nämlich auf der anderen Seite der Grenze viele Menschen (Familien und Jugendliche) ohne Arbeit und ohne Perspektiven leben. Menschen, die nur in der Migration nach Europa eine Zukunft für sich sehen. Die Wirtschaftskrise wird durch die Pandemie verschärft; diese Menschen und ihre Verzweiflung wurden außerdem von der Politik instrumentalisiert.“
Darum sei das jetzt „weniger eine Migrationskrise und eher eine politische Krise“ gewesen, urteilt der spanische Dominikaner. Diese politische Krise habe schwerwiegende Auswirkungen für eine „verarmte, unter prekären Bedingungen lebende Bevölkerung“.
Die Madrider Linksregierung hat aus Pater Gómez‘ Sicht ganz gut auf die plötzliche Ceuta-Krise reagiert. „Die Regierung und die betroffenen Verwaltungen haben von Anfang an den politischen Kontext im Auge gehabt und gleichzeitig für den Schutz der Grenze gesorgt – hoffentlich auf eine Weise, die auch die Rechte der Migranten respektiert. Aber das war ja eine Lage, die keiner vorhergesehen hatte. Wir können die Regierenden und auch die lokale Bevölkerung beim Umgang mit so etwas nicht alleinlassen.“
Knapp 85.000 Menschen leben in Ceuta. Sie fühlen sich normalerweise von der spanischen Regierung vernachlässigt. Das Auffanglager der Stadt ist nur für 200 Migranten ausgerichtet; am Montag und Dienstag langten aber 2.000 unbegleitete, minderjährige Migranten in Ceuta an. Die meisten wurden provisorisch in Lagerhallen und einem Stadion untergebracht.
Panik und Parteienstreit vermeiden
„Es liegt jetzt an jedem von uns, Panik zu vermeiden und dazu beizutragen, dass sich nicht eine Kultur der Feindseligkeit breitmacht. Oder dass das Drama der Armut und die Migranten in den Parteienstreit geraten.“
Die Migranten sind nämlich, wie der Pater betont, „Menschen mit dem Recht auf ein würdiges Leben und auf Zukunft in ihrem eigenen Land“. „Ideal“ wäre es aus seiner Sicht, in den Herkunftsländern der Migranten gute Lebensbedingungen zu schaffen, so dass „unnötige Migrationen“ vermieden werden könnten.
„Man kann nur hoffen, dass jetzt die Lage jedes Migranten, der nach Ceuta gelangt ist, Fall für Fall geprüft werden kann und dass seine Rechte dabei respektiert werden! Im Moment sehen wir, dass die Regierung Minderjährige nach Marokko zurückschicken will, obwohl sie schon spanisches Territorium erreicht haben und hierbleiben möchten. Für sie ist aus meiner Sicht eigentlich Spanien schon in der Verantwortung!“
In den letzten Tagen habe zwar Ceuta besonders von sich reden gemacht. Doch das Migrationsphänomen sei viel umfassender, bemerkt Pater Gómez: „Es ist nicht nur Marokko, es ist auch nicht nur Afrika, die Migration betrifft viele Regionen weltweit. Darum sollten wir den Blick weiten und uns als Kirche und Gesellschaft für die verletzlichsten Menschen engagieren. Sie sind Fleisch von unserem Fleisch – sie sind wir!“
Die Welt gerechter machen
Das Migrationsbüro, das der Dominikaner leitet, will allen spanischen Bistümern und Pfarreien Hilfestellung beim Umgang mit Flüchtlingen und Migranten geben. „Wir arbeiten daran, dass unsere Gemeinschaften aufnahmefreudig werden und kreativ. Dabei knüpfen wir auch gutnachbarschaftliche, solidarische Bande zu denen, die nicht unseren Glauben teilen, die aber dieselbe Leidenschaft wie wir haben: dass die Welt nämlich gerechter und geschwisterlicher wird.“
(vatican news)
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