Jahrhundertpolitiker Schuman: Vorbild für EU-Politik heute
Olivier Bonnel und Anne Preckel - Vatikanstadt
Durch Robert Schuman (1886-1963) wirken Europas christliche Wurzeln sozusagen bis heute weiter, macht der Postulator des Seligsprechungsprozesses für den Jahrhundertpolitiker Schuman deutlich. Im Interview mit uns spricht Pater Bernard Ardura im Präsenz von dem „Architekten der europäischen Versöhnung“, wie Schuman auch gerne genannt wird – wohl um die Bedeutung seines Erbes zu unterstreichen. So interpretiert Pater Ardura den heroischen Tugendgrad, den Franziskus Schuman am Samstag zugesprochen hat, auch als Appell ans heutige Europa:
„Es bedeutet, dass politisches Handeln immer zugunsten des Menschen, der Person erfolgen muss. Das ist es, was alles Tun von Robert Schuman bestimmt hat. Indem er die Versöhnung der damals ,freien Welt‘ mit dem Sowjetimperium förderte, ermöglichte er die Schaffung einer Gesellschaft, in der sich Menschen entfalten konnten. Dies war die wesentliche Voraussetzung dafür, dass sich die Gesellschaft vom Zweiten Weltkrieg erholen konnte. Und ich glaube, dass solche Voraussetzungen es uns ermöglicht haben, uns auf die Gesellschaft zuzubewegen, in der wir heute leben.“
Gründervater der EU
Der 1886 im luxemburgischen Clausen als „Reichsdeutscher“ geborene Schuman gilt durch seinen „Schuman-Plan“ als Gründervater der EU. Bereits seit den 20er Jahren hatte der überzeugte Katholik ein dichtes Netz von Kontakten mit christlich-demokratischen Politikern aus ganz Europa geknüpft, etwa Konrad Adenauer oder dem Italiener Alcide de Gasperi. Diese Beziehungen sollten nach 1945 Früchte tragen. Auch die Straßburger Konvention für die Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 gilt als Schumans Werk.
Schumans „Ideal des Teilens und der Solidarität“ könne in der heutigen europäischen Staatengemeinschaft noch besser verinnerlicht werden, merkt Pater Ardura im Interview mit uns im Blick auf negative Entwicklungen in der Europäischen Union an. Er dürfte dabei an nationalistische Tendenzen und anti-europäische Ressentiments in mehreren EU-Ländern denken, wo die Überzeugung umgeht, es ginge auch ganz allein. Schumans Botschaft ist dagegen eine Botschaft der Solidarität und der geteilten Verantwortung. Ardura:
„Dies ist ein wichtiger Aspekt, der im Leben von Politikern und insbesondere im Leben derjenigen, die auf europäischer Ebene Verantwortung tragen, vorhanden sein muss. Denn der eigentliche Sinn der Europäischen Union besteht darin, dass sie eine Gemeinschaft darstellt, eine Lebensgemeinschaft, die in Solidarität zwischen allen Ländern, die Mitglied sind, geteilt wird.“
Erbe des Christentums
Pater Ardura sieht Schumans Einsatz für Europa klar christlich inspiriert. In seiner Person wirkten Europas christliche Wurzeln sozusagen „in Aktion“, formuliert der Postulator – dieses Erbe sei keinesfalls „ein Museumsstück“: „In der Art und Weise, wie Robert Schuman seine verschiedenen Missionen durchführte, sehen wir, wie dieser christliche Glaube, diese Nächstenliebe das Leben eines Menschen verwandeln kann und seinen Dienst am Nächsten wirklich zur Erfüllung der Berufung eines Mannes macht, der sein getauftes Leben bis zum Ende leben wollte.“
Als Frankreichs Außenminister nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Schuman über eine neue, gemeinsame Wirtschaftspolitik bei der Stahl- und Kohleproduktion die einstigen Erbfeinde Frankreich und Deutschland gemeinsam in die Pflicht genommen. Dieses Instrument der „Friedenspolitik“, das auch für den Beitritt anderer Länder offenstand, sollte zur Keimzelle der europäischen Einigung werden. Zwischen 1947 und 1953 gehörte Schuman allen schnell wechselnden französischen Regierungen an - zunächst als Finanzminister, dann als Premier- und Außenminister. Gegen Anfeindungen der Gaullisten betrieb er mit Energie seine Idee der europäischen Einigung und einer deutsch-französischen Annäherung.
Dienst an der Gemeinschaft
Dass der EU-Politiker einer Seligsprechung jetzt einen bedeutenden Schritt nähergekommen ist, sei „Höhepunkt eines langen Prozesses, der in den 1980er Jahren in der Diözese Metz begann“, wo Schuman zuletzt lebte und verstarb, so der Postulator. Schuman habe sein ganzes Leben und Wirken in den Dienst seiner Mitmenschen gestellt, erinnert er:
„Schuman war vor allem ein großer Diener des Gemeinwohls, ein Diener der Gesellschaft, ein Diener des Friedens und der Versöhnung, insbesondere mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Er ist, glaube ich, das Vorbild eines Christen, der sich in den Dienst der Gesellschaft und in das politische Leben stellt. In diesem Sinne können wir sagen, dass Robert Schuman sicherlich ein Beispiel ist, nämlich das eines Laien, der seinen christlichen Glauben zutiefst lebte und sein ganzes Leben in den Dienst der anderen stellte. Ob auf lokaler oder regionaler Ebene, in Lothringen, oder auf nationaler Ebene als Minister bei vielen Gelegenheiten, als Präsident des Europäischen Parlaments und Außenminister.“
Unaufdringlicher Glaube
Dabei habe der Glaube Schumans ganzes Leben durchwirkt, es sei „ein totaler Glaube“ gewesen, der alle seine Handlungen inspirierte – ohne „die Fahne zu schwenken“ oder aufdringlich zu sein. Es sei zugleich ein aufgeklärter Glaube gewesen, der nach Erkenntnis strebte, betont Pater Ardura:
„Dieser Glaube ist auch ein Glaube, der sich mit Erziehung und Bildung beschäftigt hat. Wir wissen zum Beispiel, dass er während des Zweiten Weltkriegs, als er untergetaucht war, einige Zeit im Trappistenkloster Notre-Dame des Neiges oder in anderen Ordenshäusern verbrachte, dass er die Summa des heiligen Thomas von Aquin eingehend studierte, dass er Latein und Griechisch beherrschte und auch von den Schriften des heiligen Augustinus sehr inspiriert war. Schuman war ein Mann, der einen Glauben hatte, der nach Intelligenz und Verstehen suchte. In dem Maße, wie man Gott liebt, will man ihn kennen, und in dem Maße, wie man ihn kennt, hat man auch die Fähigkeit, ihn mit Wissen zu lieben. So ist der Glaube von Robert Schuman, obwohl er bescheiden und unaufdringlich ist, ein Glaube von großer Tiefe und Vitalität.“
Schumans Seligsprechungsprozess wurde 1990 in seinem Heimatbistum Metz eingeleitet. 2004 wurde die Akte an Rom übergeben. Der heroische Tugendgrad drückt aus, dass ein Mensch die christlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in seinem Leben in vorbildlicher Weise gelebt hat. Liegt kein Martyrium vor, ist er Voraussetzung für Selig- und Heiligsprechungen. Für eine Seligsprechung muss darüber hinaus ein Wunder oder ein Martyrium vorliegen und nachgewiesen werden.
(vatican news/kna – pr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.